Sonntag 10.11.24, 17:23 Uhr
Statement der Awareness-AG des Bochumer Antifa Treffs (BAT)

Umgang mit einer Tätervergangenheit beim BAT 1


Die Awareness-AG des Bochumer Antifa Treffs hat eine Stellungnahme mit der Triggerwarnung vor Partner*innenschaftlicher Gewalt, misogyner Gewalt, sexualisierter Gewalt im Text veröffentlicht. Sie weist darauf hin, dass das ganze nichts mit den Vorgängen rund ums Neuland zu tun hat: »Wir, die Awareness-AG des BAT, haben uns in den vergangenen Monaten mit der Aufarbeitung eines Falls beschäftigt, der im Juli an uns herangetragen wurde. Diese Prozess neigt sich nun fürs Erste dem Ende entgegen. Deswegen möchten wir in diesem Text innehalten und unsere Schritte und Entscheidungen reflektieren und transparent machen. Wir möchten damit zu einer besseren Fehlerkultur rund um den Umgang mit Gewalt und Diskriminierung in der linken Szene in Bochum beitragen und als Teil einer offenen Gruppe anderen die Möglichkeit geben, unseren Lernprozess mitzugestalten.

Deswegen bitten wir ausdrücklich: Wenn ihr Kritik an unserem Vorgehen habt, teilt sie mit uns (Zum Beispiel per Mail an bat-161@riseup.net (PGP-Public-Key)). Egal ob Einzelpersonen oder andere Gruppen, wir sind gesprächs- und lernbereit.

Beginnen müssen wir leider mit einer Selbstkritik: Das Thema Awareness ist von uns zu lange zu wenig priorisiert worden. Die Awareness-AG gibt es zwar bereits seit März 2024, allerdings haben wir die Arbeit an einem ausführlichen Awarenesskonzept und eine Awarenessschulung für die Mitglieder der AG immer wieder zugunsten des aktivistischen Alltags hinten angestellt. Das hätten wir definitiv nicht so handhaben dürfen. Die Übergriffe, mit denen wir konfrontiert wurden, und die uns schließlich zum Handeln bewegt haben, lagen in der Vergangenheit des Täters. Sie fanden nicht im BAT-Kontext statt und die betroffene Person ist nicht beim BAT aktiv. Wir müssen uns aber ganz klar eingestehen: Wir haben im Vorfeld nichts von Bedeutung unternommen, um einem akuten Awareness-Fall präventiv entgegen zu wirken, und wir wären auf einen solchen Fall absolut nicht vorbereitet gewesen. Dass wir diese Situation in Kauf genommen haben, war unverantwortlich und wir arbeiten hart daran, dass wir adäquat reagieren können, wenn es doch einmal soweit kommen sollte.

Dafür haben wir folgende Schritte unternommen:

  • Das Nachholen einer dringend nötigen Awareness-Schulung Ende September.
  • Regelmäßige Awareness-Plena, in denen wir als AG unser Vorgehen reflektieren und auf dieser Basis unser Awarenesskonzept erarbeiten.
  • Mehr Sichtbarkeit der Awareness-AG und ihrer Mitglieder im Offenen Plenum des BAT und bei unseren Veranstaltungen.

Die Vorwürfe, von denen wir im Juli erfuhren, richteten sich gegen eine Person, die seit einigen Monaten im BAT aktiv war, zu fast allen Treffen kam und viele wichtige Aufgaben in der Gruppe übernommen hatte. Im Juni hatte dieser Mensch auch zum ersten Mal an einem Strukturplenum teilgenommen.

Er war bereits vor einigen Jahren in einer anderen Gruppe und Stadt politisch aktiv gewesen und dort mit einer Genossin in einer romantischen Beziehung, mit der er auch zusammengelebt hat. An dieser Person übte er schwerste, teilweise lebensgefährliche, partnerinnenschaftliche Gewalt aus, sowohl sexuell als auch anderweitig. Informiert wurden wir durch ein Mitglied dieser Gruppe, das festgestellt hatte, dass der Täter im BAT aktiv war. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe äußerte eine FLINTA-Person aus der Awareness-AG, dass der Täter ihr gegenüber unangenehm aufgefallen war und sie bei ihm ein Bewusstsein für angemessene körperliche Nähe und Distanz vermisste.

Zunächst wurden nur die Mitglieder der Awareness-AG bei einem Treffen über den Fall in Kenntnis gesetzt, bei dem wir auch unser weiteres Vorgehen planten. Unterstützung und Beratung erhielten wir dabei von einer externen Awareness-Struktur. Wir führten drei Tage später ein Gespräch mit dem Täter, bei dem wir ihn über unseren Kenntnisstand informierten und ihm Gelegenheit gaben, Stellung zu nehmen. Wir informierten ihn darüber, dass er bis auf weiteres von allen Aufgaben beim BAT entbunden und bei keiner unserer Veranstaltungen willkommen war. Wir erkundigten uns außerdem, bei welchen Orgas er über das BAT hinaus aktiv war, woraufhin er uns eine Orga nannte. Wir forderten ihn auf, dieser Orga gegenüber seine Vergangenheit transparent zu machen und kündigten an, dass wir überprüfen würden, ob er dieser Bitte nachgekommen sei. Eine dritte betroffene Orga war durch personelle Überschneidungen bereits informiert und hatte sich schon für einen permanenten Ausschluss entschieden. Auch das teilten wir ihm bei diesem Gespräch mit. Dem Täter wurden verschiedene Adressen aus der Region mit auf den Weg gegeben, an die er sich für eine betreute Aufarbeitung seiner Vergangenheit wenden kann. Schließlich wurde ihm ein Mitglied der Awareness-AG als Kontaktperson für die weitere Kommunikation zugeteilt.

In den darauffolgenden Tagen informierten wir unser Offenes Plenum über den Fall und luden zu einem kurzfristigen Notfallplenum ein, bei dem über den Umgang unserer Struktur mit dem Täter abgestimmt werden sollte. Dieses Plenum war zunächst nur für FLINTA-Personen geöffnet, um einen safe space zu ermöglichen, in dem die klare patriarchale und misogyne Dimension der Taten besprochen werden konnte. Anschließend sollten die restlichen Teilnehmerinnen dazustoßen und über den endgültigen Ausschluss des Täters aus unserer Struktur abgestimmt werden. Da dieses Plenum extrem kurzfristig abgehalten wurden und mitten in die Sommerpause fiel, nahmen allerdings nur sehr wenige Personen daran Teil. Im Ergebnis wurde der Ausschluss vor allem durch die Mitglieder der Awareness-AG beschlossen. Es handelte sich hierbei allerdings eher um eine Formsache, da wir uns innerhalb der AG im Vorhinein einig waren, dass ein Verbleib des Täters wenn überhaupt nur einstimmig vertretbar gewesen wäre und bereits Personen angekündigt hatten, dass sie für einen Ausschluss stimmen würden.

Der Täter wurde über das Ergebnis des Plenums informiert, akzeptierte dieses und hat bisher auch nicht versucht, sich über den Ausschluss hinwegzusetzen. Anfang August gab er Bescheid, dass er die verbleibende Orga, bei der er aktiv war, informiert hatte. Auf Nachfrage unsererseits konnte das leider nicht wirklich bestätigt werden, sodass wir im Nachgang sehr viel Energie in die Aufklärung investieren mussten, was genau dort vom Täter falsch kommuniziert wurde.

Wir haben zusätzlich die Verantwortlichen der linken Räume in Bochum in Kenntnis gesetzt, sodass sie reagieren können, sollte der Täter außerhalb von BAT-Veranstaltungen in diesen auftauchen. Auch hier müssen wir uns selber kritisieren: Wir haben uns für diese Aufgabe eindeutig zu viel Zeit gelassen und werden solche Informationen in Zukunft zeitnah weiterleiten, damit auch die Räume, in denen das BAT nicht regelmäßig aktiv ist, so schnell wie möglich handlungsfähig sein können.

Als offene Gruppe stehen wir immer vor der Herausforderung, dass wir nie genau wissen können, wer zu unseren Treffen kommt. Wir haben allerdings Einfluss darauf, wen wir größere Mengen an Verantwortung übernehmen lassen. Diesen Einfluss werden wir in Zukunft verantwortungsbewusster wahrnehmen und haben entsprechende Konsequenzen gezogen. Wir haben nichts dagegen unternommen, dass der Täter die Macht, die mit seiner hohen Involviertheit in unserer Struktur einherging, hätte missbrauchen können. Das ist uns bewusst und wir werden in Zukunft deutlich vorsichtiger sein. An dieser Stelle bitten wir allerdings um Verständnis, dass wir diese Konsequenzen aus Gründen des Strukturschutzes nicht öffentlich machen.

Wir werden außerdem unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, wenn eine Person, die selbst ein wichtiger Bestandteil unserer Gruppe ist, sich erst nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe getraut hat, ihre schlechten Gefühle bezüglich des Täters zu äußern. Unser Anspruch an das BAT ist, dass die Offenheit des Raumes nicht die Sicherheit derer gefährdet, die sich in ihm aufhalten, vor allem nicht diejenigen, die im Alltag ohnehin schon mit Diskriminierung und Gewalt zu kämpfen haben. Jeder Mensch muss sich wohl damit fühlen können, uns Beeinträchtigungen dieser Sicherheit anzuvertrauen, auch wenn es „nur“ um ein schlechtes Gefühl geht. Wir vertrauen auf die Instinkte von FLINTA*-Personen, wenn es um patriarchale Hierarchien geht. Das gilt genauso für alle Arten von Diskriminierung. Aber auf diese Instinkte können wir nur in einer Atmosphäre bauen, in der sie auch Raum und Ausdruck finden. Diese Atmosphäre herzustellen und am Leben zu halten, ist unser Job als Awareness-AG, und wir sind ihm hier nicht gerecht geworden.

All dies zu verbessern ist ein Lernprozess für uns, der vermutlich nie zu Ende sein wird. Unseren Umgang mit diesem Fall öffentlich transparent zu machen, ist für uns Teil dieses Prozesses. Wir wollen sowohl für unsere Nachlässigkeit und Passivität, als auch für unser aktives Handeln Verantwortung übernehmen und uns für Kritik und Dialog öffnen. Wir wollen die Fehler, die uns bewusst sind, nicht verheimlichen und geben euch mit diesem Text hoffentlich die Chance, uns mitzuteilen, was wir in Zukunft besser machen können. Außerdem möchten wir betonen: Es ist nie zu spät, um sich mit einem Erlebnis an uns zu wenden! Wenn ihr in der Vergangenheit bei einem BAT-Treffen Gewalt oder Diskriminierung erfahren und diese bisher nicht gemeldet habt, dann seid ihr ausdrücklich willkommen, auch jetzt noch oder in Zukunft auf uns zuzukommen. Wir wissen, dass die Awareness-AG bisher nicht sichtbar genug war, und wie viel Überwindung es kosten kann, über solche Erfahrungen zu sprechen. Deswegen werden wir Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung auf keinen Fall weniger ernst nehmen, nur weil wir erst später darüber informiert wurden.

Wir verstehen, dass es im Umgang mit Gewalt und Übergriffen keine perfekten Lösungen gibt. Aber wir wollen uns nicht hinter dieser traurigen Wahrheit verstecken, sondern trotzdem unser Bestes geben, das BAT als sicheren Ort für alle Menschen zu gestalten, die antifaschistisch aktiv werden wollen, und zu verhindern, dass Übergriffe, Gewalt und Diskriminierung bei uns konsequenzenlos stattfinden können.

Wir danken allen Menschen, die uns in diesem Prozess dazu anhalten, unserer Verantwortung gerecht zu werden.

Solidarische Grüße,
Die Awareness-AG des Bochumer Antifa Treffs.«


Ein Gedanke zu “Umgang mit einer Tätervergangenheit beim BAT

  • Karsten Finke

    Ich möchte ein großes Lob an die Awareness-AG des Bochumer Antifa Treffs aussprechen. Es ist extrem wichtig, dass wir in der linken Szene und auch in der Gesamtgesellschaft Awareness-Strukturen aufbauen und stärken. Ich möchte der AG danken für ihre ehrliche, transparente und selbstkritische Reflexionsarbeit. Viele Linke aus meiner Generation könnten noch viel davon lernen.
    Wir dürfen Awareness-Strukturen aber auch nicht als Ausrede nutzen, um unser eigenes Verhalten nicht zu reflektieren. Gerade in Zeiten des Rechtsruckes müssen wir mehr aufeinander Acht geben und uns noch entschiedener gegen Misogynie, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit, Rassismus und jegliche weitere Menschenfeindlichkeit stellen.

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