Von Heiko Koch erreicht uns der folgende Bericht zu Josef Gera: »Am 3. September 2024 wurde auf einer Pressekonferenz des Landeskriminalamts das Mordopfer Josef Anton Gera durch das Innenministerium NRW als ein Opfer rechter Gewalt benannt. (https://lka.polizei.nrw/presse/landeskriminalamt-nordrhein-westfalen-bewertet-mehrere-gewaltdelikte-mit-todesfolge-nachtraeglich-als-taten-mit-rechtsextremistischer-motivation).
Ein Projekt des LKA hatte seit 2022 rund 30 sogenannte „Grenzfälle“ aus 26 Jahren untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass sieben Tötungsdelikte aus eindeutig rechten Motiven erfolgten. Darunter auch Josef Gera. (https://www.waz.de/lokales/bochum/article407189840/bochumer-totgepruegelt-kripo-stuft-tat-als-rechtsextrem-ein.html)
Der Frührentner Josef Gera war vor fast 27 Jahren, am 14. Oktober 1997, von zwei wohnungslosen Rechtsradikalen auf dem ehemaligen Krupp-Gelände an der Alleestraße so schwer zusammengeschlagen worden, dass er zwei Tage später im Elisabethhospital seinen schweren Verletzungen erlag. Das Motiv der Täter war ihr Hass auf homosexuelle Männer. Zeigten die polizeilichen Ermittlungen noch die Motive der Täter auf, entpolitisierte die Staatsanwaltschaft und die Bochumer Lokalpresse die Tat und definierten diese zu einer Exzesstat unter Alkoholeinfluss. Somit war im offiziellen Bild der Stadt Bochum kein rechtsextremer Mord zu verzeichnen. Ein Jahr später wurde die um den rechtsextremen Hintergrund bereinigte Version durch einen Richterspruch am Bochumer Landgericht bestätigt und die Rechtsradikalen milde abgeurteilt. Seitdem galt Josef Gera offiziell als Opfer einer kriminellen Straftat, nicht aber als Opfer rechter Gewalt. In der offiziellen Statistik für Opfer rechter Gewalt wurde er als solches nicht geführt. Seine Täter wurden in Schutz genommen, der virulente Rechtsextremismus verharmlost und das Ansehen der Gesellschaft um ihre toxische Homophobie bereinigt.
Seit 1997 wurde um die offizielle Anerkennung Josef Geras als Opfer rechter Gewalt gestritten. Das Erinnern war zunächst marginal. 1997 waren es allein meine Recherchen und Artikel, die die Widersprüche der Fakten und Aussagen zu der staatlichen und journalistischen Version aufzeigten und über die „Antifa-NRW-Zeitung“ und die lokale Antifa-Jugend-Zeitung „Bambule“ publik machte. Diese Recherchen und Berichte schafften die Grundlage aller späteren Publikationen zu dem Fall. Erst 10 Jahre später kam es zu den ersten kleinen Kundgebungen zu Josef Gera. Und immer wieder zu temporären Einbrüchen in der Kontinuität des Gedenkens. Bis heute habe ich mich immer wieder in der Organisation von Demonstrationen, Kunst- und Graffitiaktionen, Artikeln und Dokumentationen zu Josef Gera bemüht.
Dokumentarfilm zu dem Gedenken an Josef Gera: https://www.youtube.com/watch?v=_i3kPQ5A-qI
Josef Gera Memoria – Facebook Site: https://www.facebook.com/profile.php?id=100091785697208
2023 – Josef Gera – Gedenkgraffito nun mit städtischer Plakette: https://www.bo-alternativ.de/2023/06/21/josef-gera-gedenkgraffito-nun-mit-staedtischer-plakette/
2022 – Ein Reverse Graffito für Josef Anton Gera: https://www.bo-alternativ.de/2022/10/06/ein-reverse-graffito-fuer-josef-anton-gera
2019 – Erinnerung Josef Gera: https://www.bo-alternativ.de/2019/10/16/erinnerung-an-josef-gera-2019
2017- Ein Graffito für Josef Gera!: https://www.bo-alternativ.de/2017/11/01/ein-graffito-fuer-josef-gera
2017 – Der rechtsradikale Mord an Josef Gera: https://www.bo-alternativ.de/2017/10/02/der-rechtsradikale-mord-an-josef-gera/
2012 – Kaltland – Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland: https://linksunten.archive.indymedia.org/node/69222/index.html
In den letzten Jahren kamen andere ProtagonistInnen zur Erinnerungsarbeit. (Was ich von dem Wahrheitsgehalt, der gesellschaftspolitischen wie wissenschaftlichen Qualität der Um- und Überschreibungspraxis lokaler Widerstands- und Stadtgeschichte und deren Auswirkungen auf die Erinnerungskultur halte, habe ich an anderer Stelle schon hinlänglich dokumentiert: (https://www.bo-alternativ.de/2021/10/24/dokumentation-zum-mord-an-josef-anton-gera)
Ich habe geteilte Gedanken zu dieser Bewertung durch das LKA. Zum einen freue ich mich, dass Josef Geras Todesumstände die angemessene Würdigung zukommen und sich das Bemühen gegen das Verschweigen und Kaschieren rechter Gewalt in diesem Fall als erfolgreich erwiesen hat. Ich empfinde auch eine gewisse Genugtuung zu meinem Engagement und Arbeit. Zum anderen empfinde ich es als bitter in einem Land zu leben in dem die Behörden und Medien „auf dem rechten Auge blind“ sind und zur Wahrheit gezwungen werden müssen. Das hat u.a. zu den rechtspopulistischen Zuständen geführt in dem sich dieses Land derzeit befindet. Je demokratisch dysfunktionaler Behörden und Medien funktionieren, umso schlimmer steht es um Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Ob sich in den letzten Jahren bundesweit in den Behörden und den Medien über die vielen kleinen Gruppen der Erinnerungs- und Gedenkkultur zu rechter Gewalt etwas positiv geändert hat ist zu hoffen, wage ich aber zu bezweifeln. Eine Kritik an der Projektgruppe „ToreG NRW“ und ihren Forschungsergebnissen kann man von anderer Seite lesen: (https://backup-nrw.org/projekt-toreg-nrw-opferberatungsstellen-beklagen-ungenutzte-chancen-und-fehlende-transparenz)
Erinnerungs- und Gedenkkultur muss immanent allen politisch progressiven Strömungen sein, denn:
Senza memoria, nessun futuro! – Ohne Erinnerung, keine Zukunft!
Heiko Koch, September 2024«