Donnerstag 09.05.24, 17:24 Uhr
Jonathan Radkowski am 8. Mai 2024 auf dem Friedhof Freigrafendamm in Bochum

Gedenken an Jakob und Ella Eichenwald


Wir befinden uns hier auf einem Friedhof. An einem Ort, an dem die Toten in Frieden ruhen und an den wir kommen, um unserer Angehörigen zu gedenken. Jakob und Ella Eichenwald allerdings bekamen nie einen Platz, an dem sie in Frieden ruhen können, sondern sie wurden tausend Kilometer von hier entfernt auf brutalste Weise ermordet, nur weil sie jüdisch waren. Sie waren ganz normale Mitbürger.

Jakob Eichenwald wurde 1879 in Herbede geboren, hatte die deutsche Staatsangehörigkeit und war jüdischen Glaubens. Er besuchte die Volksschule, absolvierte eine kaufmännische Lehre, arbeitete zunächst im Geschäft der Mutter in Herbede als Kaufmann und eröffnete schließlich in Herbede sein eigenes Geschäft. 1904 heiratete er Helene Hilde Joseph, mit der er fünf Töchter hatte.
Seine erste Frau starb Mitte der 1920er Jahre, im Zuge der Weltwirtschaftskrise war Jakob Eichenwald gezwungen, sein Geschäft aufzugeben und arbeitete nun als selbstständiger Vertreter.
Er heiratete erneut. Mit seiner zweiten Frau Ella, geborene Herzfeld, verwitwete Romberg, zog er in die Goethestraße 9 in Bochum. Ihre Wohnung dort wurde während der Reichspogromnacht am 09. November 1938 verwüstet, ab 1941 waren sie gezwungen einen Davidstern zu tragen und schließlich mussten sie ihre Wohnung in der Goethestraße verlassen und in ein Judenhaus in der Horst-Wessel-Straße (Kanalstraße) 56 ziehen.
1942 wurden Jakob und Ella Eichenwald über Dortmund nach Riga deportiert. Im Rigaer Ghetto wurde Jakob Eichenwald vermutlich 1942 erschossen. Ella Eichenwald kam in das Konzentrationslager Stutthof in der Nähe von Danzig, wo sie wahrscheinlich 1944 ermordet wurde.
Die Kinder Jakob Eichenwalds aus erster Ehe konnten den Holocaust überleben, denn sie flohen in die Niederlande, nach Argentinien, nach Brasilien und nach Chile.
Über das Schicksal von Jakob und Ella Eichenwald gab es zunächst Unklarheit. 1952 wurden sie für tot erklärt, als Todesjahr wurde 1945 festgelegt. Die Kinder kämpften Ende der 1950er Jahre um eine Entschädigung, die ihnen in Form von wenigen tausend DM gewährt wurde. 2007 wurde ein Stolperstein vor dem Haus in der Goethestraße 9 verlegt.
Der 08. Mai 1945 war der Tag der Befreiung. Das ist nun 75 Jahre her. An diesem Tag müssen wir uns jedoch auch an ein zweites Datum erinnern, nämlich den 08. Mai 1949, vor 75 Jahren. Damals billigte der Parlamentarische Rat den ersten Entwurf des Grundgesetzes. In Artikel 1 steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das war Ende der 1940er Jahre jedoch keine Realität, denn die Würde von Menschen wie Jakob und Ella Eichenwald wurde nur wenige Jahre zuvor aufs gröbste verletzt, sie wurden ihrer Rechte und ihres Lebens beraubt. Heute, ein Dreivierteljahrhundert später, müssen wir darauf achten, dass so etwas nicht vergessen wird, dass Menschen, die diese Geschehnisse leugnen, keine politische Verantwortung übernehmen und dass wir der durch Grundgesetz aufgetragenen, unverzichtbaren Verpflichtung nachkommen, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.

Jonathan Radkowski, Schüler am Neuen Gymnasium Bochum