Liebe Menschen,
Unser Zusammenhalt gegen ihre Dystopie ist das Motto – klingt gut.
Doch fragen wir uns was ist den „unser Zusammenhalt“, mit wem halten wir zusammen? Was ist „ihre Dystopie“?
Die Antwort auf die letzte Frage ist tragisch offensichtlich: Die Dystopie der Festung Europa hat sich längst manifestiert. Durch die verschärfte Durchsetzung des europaweiten Asylsystems GEAS wurden die Mauern noch höher gezogen. Flüchtende Menschen haben praktisch keine Chance mehr, in Europa Asyl zu beantragen. Ganze Familien werden ohne angemessene rechtliche Unterstützung in Lagern an den Außengrenzen der EU zusammengepfercht.
Auch das sogenannte “Asylrückführungsverbesserungsgesetz”, verabschiedet von der aktuellen Regierungskoalition, erfüllt die grausame Vision des ehemaligen CSU-Innenministers Horst Seehofer und bedeutet nichts anderes als ein Einknicken vor rechtem Populismus und rechtem Terror.
Als Seehofer 2015 von Transitzonen für Geflüchtete sprach, musste er zurückrudern. Heute wird genau dies von einem SPD-geführten Innenministerium umgesetzt.
Die katastrophalen Konsequenzen der GEAS-Reform und des Asylrückführungsverbesserungsgesetzes haben wir in einem Flyer festgehalten und verteilen diesen während der Demonstration.
Asyl ist ein grundlegendes Menschenrecht und eine internationale Verpflichtung laut dem Genfer Abkommen von 1951, dem auch die EU-Mitgliedsstaaten angehören. Es ist im deutschen Grundgesetz in Artikel 16 verankert.
Die Genfer Abkommen entstanden aus den Lehren von zwei Weltkriegen, nachdem Deutschland Europa in einen Trümmerhaufen mit Leichenbergen verwandelt hat. Sie wurden geschaffen, um sicherzustellen, dass sich solche Gräueltaten NIE WIEDER wiederholen. Doch im Jahr 2023 sitzt ein führender Politiker der CDU, Jens Spahn, bei Markus Lanz und bezeichnet die Menschenrechtskonvention als veraltet. Ein führender Politiker des Landes, das der Welt auf grausame Weise gezeigt hat, wie wichtig festgeschriebene und universell gültige Menschenrechte sind, sitzt im Fernsehen und hält diese für überholt.
Hier ist unser Zusammenhalt gegen diese Dystopie dringend gefordert!
Doch wie konnte es soweit kommen?
In den 90iger Jahren eskalierte der Naziterror in Deutschland. So tobte tagelang in Hoyerswerda ein reicher Mob gegen Vertragsarbeiter:innen und geflüchtete Menschen – mit Unterstützung und unter dem Jubel von Anwohner:innen, während der rechte Pöbel in Rostock Lichtenhagen das von migrantisierten Menschen bewohnte Sonnenblumenhaus niederbrannte, herrschte Volksfeststimmung, Imbissbuden wurden aufgebaut, die Polizei zog sich fast völlig zurück und die im brennenden Haus eingeschlossenen Menschen wurden völlig allein gelassen. Nur durch ein Wunder kam kein Mensch zu Tode. 1992 und 1993 brannten u.a. in Mölln und Solingen Wohnhäuser nach Brandanschlägen durch Neonazis. 8 Menschen der Familien Genc, Yilmaz und Arslan starben, mehrere wurden z.T. sehr schwer verletzt. Und dies waren nur die allerschlimmsten Auswüchse des täglichen Naziterrors der sogenannten Baseballschlägerjahre.
Die Politik gab dem Druck der Straße nach und höhlte nach monatelangem populistischem Geschwafel von Ausnutzen des Asylrechts und „Wirtschaftsflüchtlingen“ 1993 das Asylrecht aus.
Niemand, der zuvor in einem sogenannten “sicheren Drittstaat” war, hatte fortan ein Recht auf Asyl in Deutschland.
Die Nazis von der Straße haben dies als Sieg verstanden und gefeiert.
Kommt Euch dies bekannt vor?
Aktuell erleben wir erneut eine Zunahme rechter Gewalt, wieder brennen Heime und Wohnhäuser geflüchteter Menschen. So zählt der Verfassungsschutz 20.967 rechtsextremistische Straftaten im Jahr 2022, das sind im Schnitt 50-60 pro Tag. Auch die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten stieg im Jahr 2022 um rund 7,5 % gegenüber dem Vorjahr (2022: 1.016, 2021: 945) an.
Und wieder gibt die Politik dem Druck des braunen Mobs nach!
Der Ökonom Prof Fratzscher legt in einem Zeit-Interview die wirtschaftliche Notwendigkeit und den ökonomischen Vorteil von jeglicher Migration dar. Auf die Frage, warum er als Politikberater damit nicht bei der Bundesregierung durchdringt, verweist er auf den Druck der Straße. Versteht uns nicht falsch, wir sind weit davon entfernt, den Wert eines Menschenleben an der ökonomischen Verwertung zu messen, aber das noch nicht einmal diese Argumente zu einem Umdenken in der Asyl- und Migrationspolitik führt, weil rassistischer Populismus und Gewalt wieder zunehmen, macht uns Angst.
Die Verschärfung des gemeinsamen europäischen Asylsystem, das Asylrückführungsverbesserungsgesetz und auch die geplante diskriminierende Bezahlkarte für Geflüchtete ist nicht nur ein Erfolg von konservativen Politiker*innen und der AFD, dies ist auch ein Erfolg derjenigen, die mit Gewalt Angst und Schrecken unter migrantisierten Menschen verbreiten.
Und wenn wir das Motto der heutigen Demo ernst nehmen, liebe Menschen, dann fordern wir heute EUREN Zusammenhalt gegen die bereits wahr gewordene rassistische Dystopie an den EU-Aussengrenzen ein.
Wir von der Seebrücke stehen für sichere Flucht- und Migrationswege und damit für die Einhaltung universell gültiger Menschenrechte.
Unser Widerstand gegen die unmenschliche Realität der Festung Europa – das ist unser Leitmotiv.
Wir stehen gegen die Kriminalisierung von Seenotretter*innen und anderen Hilfsorganisationen.
Wir stehen für ein sicheres Kommen und ein menschenwürdiges Bleiben.
Wir stehen für ein Arbeitsrecht für Alle, statt populistischem Geschwafel von Arbeitspflicht.
Die diskriminierende Bezahlkarte lehnen wir ab.
Schließt euch unserem Kampf an! Werdet aktiv gegen die Festung Europa! Tretet ein für universelle Menschenrechte! Überlassen wir die Flüchtlings- und Migrationspolitik nicht den rassistischen Straßenschlägern.
Flucht ist kein Verbrechen!
Refugees are welcome here!