Freitag 12.04.24, 17:31 Uhr

Solikreis Kohlenstraße fordert ein Ende von Zwangsräumungen


Am Samstag, den 6. 4. nahmen bis zu 150 Menschen an einer Demonstration unter dem Motto “Zusammenhalt statt Zwangsräumung – Eine Stadt für Menschen und nicht für Büros und Betonklötze!” teil. Mit Parolen wie „Die Häuser denen, die drin wohnen“ oder „One struggle, one fight – Wohnraum erhalten, Klaus bleibt!“ zog die bunt gemischte Truppe an Demonstrierenden durch die Bochumer Innenstadt, inklusive dem Bermudadreieck. Spät, aber nicht zu spät erreichte uns dieser Bericht des Solikreises:

»Anlass der Veranstaltung waren steigende Mietpreise und die anstehende Zwangsräumung von Klaus, dem Mieter in der Kohlenstraße, der sich gegen den drohenden Abriss seiner Häuserreihe stemmt. Er wohnt bereits seit über 60 Jahren in einem Haus, das die Stadt Bochum seit Jahrzehnten verkommen lassen hat und nun abreißen will. Als Besitzerin der gesamten Häuserreihe hätte sie längst Sanierungen vornehmen müssen. In Bochum fehlt jede Menge Wohnraum, besonders Günstige für Menschen, die für den Mindestlohn oder niedrige Gehälter arbeiten, für Auszubildende, Studierende und Arbeitslose.

Mit Bezug auf die Kohlenstraße erklärt Kaya, eine Organisatorin der Demonstration: „In den Häusern könnten nach wie vor 25 Wohnungen erhalten werden. Für Menschen, die dringend eine Wohnung suchen, wäre dies eine große Erleichterung. Das ist zwar nur ein kleiner Teil der in Bochum fehlenden Wohnungen, aber umso wichtiger angesichts der zugespitzten Lage auf dem Wohnungsmarkt.”

Auch in seiner Ansprache forderte der Solikreis Kohlenstraße, dass die Stadt dringend mehr günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen muss. Das Angebot reicht zur Zeit hinten und vorne nicht. Daher braucht es auch eine alternative Lösung für die Situation in der Kohlenstraße. Büroflächen gibt es schon mehr als genug!

Statt immer mehr Betonklötze mit Gewerbe zu bauen, könnten sich die Bochumer Politiker:innen lieber ein Vorbild an den Abgeordneten der KPÖ in der österreichischen Stadt Graz nehmen. Diese zahlen einen Teil ihrer Diäten in einen Sozialfonds ein, der Menschen bei Mietrückständen unterstützt.

Neben dem Solidaritätskreis Kohlenstraße, welcher die Demo organisiert hat, gab es zwei weitere Redebeiträge. Einer wurde vom Zentrum für Kultur aus Duisburg Hochfeld beigesteuert. Die Rednerin machte deutlich, dass auch die Stadt Duisburg Aufwertungsprozesse nicht nur rechtlich absichert, sondern sich mit der sog. „Taskforce Schrottimmobilien“ aktiv an der Verdrängung der armen Bevölkerung aus Hochfeld beteiligt. Das Zentrum für Kultur versucht sich gegen diese menschenfeindliche Praxis zur Wehr zu setzen und Betroffene zu unterstützen.

Auf der Endkundgebung machte die Gruppe Schlafen statt Strafen aus Dortmund deutlich, dass kein Mensch mehr zwangsgeräumt werden darf, denn dann besteht die reale Gefahr der Obdachlosigkeit. Darüber hinaus wurde skizziert, was Obdachlosigkeit bedeutet. Neben alltäglichen Herausforderungen wurden in Dortmund in den letzten Tagen zwei Obdachlose getötet – einer durch die Polizei – und das Nachtlager einer weiteren obdachlosen Frau angezündet. Die Demonstration endete daher mit
einer Gedenkminute.«

 

Und hier noch die Reden, die auf der Kundgebung gehalten wurden:

 

Liebe Genoss:innen, liebe Kämpfer:innen für eine solidarische Gesellschaft der Vielen, lieber Klaus

vielen Dank für die Einladung. Dieser Protest ist wichtig. Er ist nicht nur symbolisch.

Unsere Antwort gegen Zwangsräumungen, Verdrängung und Entrechtung, in Bochum und überall, muss lauten: Informieren – Solidarisieren – Organisieren – Mobilisieren.

Ich bin Lena Wiese, vom Zentrum für Kultur aus Duisburg Hochfeld. Wir organisieren im ZK eine ehrenamtliche Sozialberatung, Angebote für Kids und Kneipenabende. Aber wir organisieren auch Protest gegen Zwangsräumung, Verdrängung, Rassismus, Antiziganismus und Kriminalisierung von Armut und Migration. Denn der Stadtteil Hochfeld wird in Presse, Politik und Stadtplanung als Problemstadtteil beschrieben. Die Menschen werden zu Problem-Migranten, die Kinder werden zu Problem-Kindern, die Häuser werden zu Problem-Häusern. Der Diskurs der Entmenschlichung ist vielfältig.

Die Probleme in Hochfeld sind in erster Linie strukturelle Probleme. Sichtbar werden Ausgrenzung und Diskriminierung in allen Lebensbereichen, aber vor allem durch Zwangsräumungen aus den eigenen vier Wänden und somit der Verdrängung aus dem Stadtteil. Armut verschränkt sich mit Rassismus und Antiziganismus auf brutale Art und Weise.

Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung haben die Stadt und Investoren nun eine blendende Idee: sie wollen Geld investieren, viel Geld. Geld für die Verschönerung der Häuser-Fassaden, Geld für den Bau eines neuen, angrenzenden Stadtteils, Geld für die Internationale Gartenausstellung in 2027. Es wird viel Geld in Beton investiert. Der Stadtteil ist von Investor:innen regelrecht umkämpft. Und ihnen wird freie Hand gelassen.

Das Ziel: Endlich eine Aufwertung des Stadtteils und ein besseres Image. Aber: Aufwertung funktioniert nur mit Verdrängung. Immer. Es gibt so etwas wie eine „gesunde soziale Mischung“ nicht. Aber es gibt Ideologien bürgerlicher Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit, die unseren Alltag prägen. Und die eng mit der Frage verknüpft sind: wem gehört die Stadt?

Ich möchte euch auf eine ganz besonders entmenschlichende Verdrängungspraxis der Stadt Duisburg aufmerksam machen: Die antiziganistischen Zwangsräumungen von Rom:nja aus Bulgarien und Rumänien durch die „Taskforce Problemimmobilien“.

Mittwochs zwischen 8 Uhr und 9 Uhr morgens verschafft sich die Taskforce Zugang zu dem jeweils zu überprüfenden Haus. Im Fokus steht die Überprüfung des Brandschutzes, der Flucht- und Rettungswege (Treppenraum), der Statik und der elektrischen Installationen. In circa 40 Minuten wird das Urteil gefällt, dass für die Bewohner:innen unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht und die sofortige Zwangsräumung somit das letzte Mittel sei. Vermeintlich als Schutz der Menschen vor Ausbeutung auf dem Wohnungsmarkt und vor dem Verbrennungstod werden die zwangsgeräumten Menschen ohne Vorwarnung und unverschuldet wohnungs- und mittellos.

Es ist den familiären und solidarischen Selbsthilfenetzwerken zu verdanken, dass die Menschen nicht schlicht dem Tod überlassen werden, denn es gibt keinerlei Präventions- oder Nachsorgesystem, das die Wohn- und Lebenssituation der Familien verbessern will.

Armut und Obdachlosigkeit machen krank und schaffen Abhängigkeiten. Armut zerstört Perspektiven und ein selbstbestimmtes Leben. Aber statt z.B. Sozialen Wohnungsbau zu fördern, wird in den Kommunen der Profit über Gemeinwohlorientierung gestellt.

Der alltägliche Kampf um die kleinen Krümel vom Kuchen und eine neoliberale Politik des Teilens und Herrschens ist eine der größten Hürden, um solidarische Kämpfe miteinander zu verbinden. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen: Was hat die Zwangsräumung von Klaus und der Abriss der Häuser an der Kohlenstraße mit unserem Leben zu tun?

Die Vergesellschaftung von Wohnraum ist ein erkämpfenswertes Ziel. Und für dieses Bewusstsein müssen wir Mehrheiten finden, uns organisieren und mobilisieren. Dafür brauchen wir eine spektrenübergreifende soziale, antirassistische und antifaschistische Bewegung, die das Problem an den Wurzeln packt und ihre linke Bubble verlässt. Schafft oder unterstützt soziale Orte der Begegnung und politischer Teilhabe in den Kiezen, tretet in Gruppen ein, tretet in Parteien ein, gegen Spaltungstendenzen, Individualismus und Egoismus.

Denn Solidarität ist eine politische Praxis: In Zeiten, in denen die demokratischen Grundfeste immer weiter zerbröseln, darf es nicht mehr nur um Solidarität unter Vertrauten und Freund:innen gehen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Gegenoffensive, die für konkrete Solidarität über Klassen- und Kulturgrenzen hinweg einsteht und wieder die soziale Frage stellt.

Das Gemeinsame muss sein, dass wir uns als Gleiche unter Gleichen, als Menschen begegnen wollen – für Gerechtigkeit und gegen Dynamiken der Entmenschlichung und Entrechtung.

Ohne strukturellen Wumms bringt das alles aber nichts: Wir brauchen eine Umverteilung von Macht und Ressourcen, die wir selbst in die Hand nehmen müssen. Für umfassende gesellschaftliche und materielle Teilhabe, soziale Gerechtigkeit und gleiche Rechte Aller. Für ein selbstbestimmtes, würdevolles Leben.

Kein Kompromiss mit der bürgerlichen Mitte! Kein Kompromiss mit der bürgerlichen Kälte! Wir sagen nein zur Zwangsräumung von Klaus und dem Abriss der Häuser an der Kohlenstraße.

Keiner oder Alle, Alle oder Nichts!

ZK Hochfeld

 

 

In den letzten Monaten sind viele Menschen aus Bochum auf verschiedenen Wegen in einen politischen Kampf gegen das Unrecht eingetreten, das die Stadt mit dem Abriss der Häuser in der Kohlenstraße anrichten will. Unter anderem wurden über 1200 Unterschriften für den Erhalt der Häuser in Form einer Petition gesammelt. Zudem hat sich ein Solidaritätskreis zusammengefunden, der die völlige Frechheit, dass die Stadt bewohnten Wohnraum leer stehen und verrotten lässt, nicht hinnimmt. Wohnungen sind zum Wohnen da, daher müssen die Häuser bleiben!

Der Plan, die Häuserreihe in der Kohlenstraße abzureißen und stattdessen Gewerbeflächen anzulegen, hat sowohl einen inhaltlichen Bezug zur Wohnungskrise als auch zur ökologischen Frage. Es werden Probleme sichtbar, die keine individuellen sind. Und diese Probleme sind nicht nur in ihrem Ausdruck, sondern, davon sind wir überzeugt, auch in ihrer Ursache verbunden.

Wohnraum ist nicht für alle Menschen gleich verfügbar. Je knapper günstige Wohnungen sind, desto höher steigen die Mieten. Wer lediglich über ein niedriges bis mittleres Einkommen verfügt, hat selbst in Bochum mittlerweile schon Schwierigkeiten ein lebenswertes Zuhause zu finden. Die ökonomisch am schlechtesten gestellten Personengruppen, die also auch am meisten unter den steigenden Mieten leiden, sind alleinerziehende Frauen, ihre Kinder und Migrant:innen. Bisherige Maßnahmen, wie die Mietpreisbremse, haben diese Probleme nicht lösen können, und seit mittlerweile drei Jahren kommt noch die stetige Inflation dazu. Neben effektiven Maßnahmen, welche die Miethöhe begrenzen, braucht es daher auch Löhne und Sozialleistungen, von denen alle Menschen gut leben und wohnen können.

Je knapper günstiger Wohnraum ist, desto höher sind aber nicht nur die Mieten, sondern desto größer ist auch die unmittelbare Macht auf Anbieterseite. Die Wohnungskrise hat in nahezu allen deutschen Großstädten zu einer Situation geführt, in der auf freie Wohnungen hunderte Bewerber:innen kommen, zwischen denen die Vermieter:innen selektiv auswählen können. Bei diesem Auswahlprozess wird mitunter diskriminiert. Während WGs oder mehrköpfige Familien teilweise schon nicht gern gesehen sind, weisen Studien vor allem auf die Benachteiligung von queeren Paaren und auf die Benachteiligung von Menschen mit Namen oder einem Aussehen hin, das als „nicht deutsch“ wahrgenommen wird. Es wäre also schon mal ein Anfang, wenn das Menschenrecht auf Wohnen und Diskriminierungsverbote tatsächlich politisch und gerichtlich durchgesetzt würden.

Die Wohnungskrise wirft aber darüber hinaus auch ganz grundsätzlich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Organisation des Wohnungsmarktes nach ökonomischen Prinzipien auf. Der eigene Wohnraum ist häufig einer der intimsten Orte. Hier ziehen wir uns zurück, erholen uns, essen, treffen unsere Liebsten und so weiter. Dennoch verfügt der Großteil von uns, also alle die Mieter:innen sind, nicht selbst über diesen sehr zentralen Bestandteil ihres Lebens. Die Häuser gehören also meistens nicht denen, die darin wohnen. Private Eigentümer:innen und insbesondere Immobilienkonzerne, denen unser Wohnraum gehört, haben ein strukturelles Interesse daran, dass ihre Investitionen sich auszahlen. Neben größtmöglichen Gewinnen rührt das auch daher, dass sie weiterhin attraktiv für Investor:innen sein müssen, um sich auf dem Markt zu behaupten. Dieses Interesse ist zwar nicht auf die Boshaftigkeit Einzelner zurückzuführen, hat jedoch trotzdem zur Folge, dass unsere Bedürfnisse nach einem bezahlbaren und lebenswerten Zuhause maximal zweitrangig sind. Steigende Mieten sind demnach als Produkt der herrschenden kapitalistischen Verhältnisse zu verstehen. Als solche sind sie veränderbar, aber als solche sind sie auch durch rechtliche Regelungen nur bedingt einzudämmen, solange der Wettbewerb und die Möglichkeit Gewinne zu erzielen, im Bereich der Daseinsvorsorge nicht grundlegend infrage gestellt werden.

Besonders gewaltvoll werden wir an die Folgen der marktförmigen Organisation des Wohnungsmarktes erinnert, wenn es zu Zwangsräumungen kommt. Viele von ihnen führen direkt in die Obdachlosigkeit. Die Zahl der Räumungen schwankt in Bochum jährlich zwischen 150 und 300. Ihr Zweck besteht meist darin eine vermeintlich profitablere Nutzung der entsprechenden Wohnungen zu ermöglichen. Es ist ein Skandal, dass nur deshalb jemand seines Zuhauses beraubt werden kann und psychische Krisen bewusst in Kauf genommen werden, damit irgendein Immobilienkonzern Gewinne an seine Aktionär:innen ausschütten kann.

Am konkreten Beispiel der Kohlenstraße sehen wir aber auch, dass der Staat nicht nur das Privateigentum garantiert, indem er Zwangsräumungen gerichtlich absegnet und durch die Polizei durchsetzen lässt, sondern dass er auch den Umgang mit seinem eigenen Eigentum viel zu oft dem ökonomischen Mantra der Gewinnmaximierung unterwirft. Im Gerichtsprozess, den Klaus seit Jahrzehnten für den Erhalt der Wohnhäuser kämpft, beruft sich die Stadt Bochum auf die Unwirtschaftlichkeit einer Renovierung der Häuserreihe. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine solche nicht möglich wäre. Abreißen und Neubauen (in Sachen Ressourcen, Transport etc.) mag vielleicht wirtschaftlich sein. Ökologisch betrachtet ist ein solches Vorgehen in Sachen Ressourcen, Transport etc. aber problematisch. Bestand hingegen kann im Vergleich wesentlich kostengünstiger, zeitsparender und ressourcenärmer wieder in Schuss gebracht werden. Die Häuser in der Kohlenstraße hätten ohne die kalkulierte Unterlassung von Renovierungen durch die Stadt jahrzehntelang lebenswerten Wohnraum geboten und können auch heute nachhaltig und gemeinwohlorientiert saniert werden.

Mit ihrem Vorgehen beweist die Stadt einmal mehr: Wohnen ist in der bestehenden Gesellschaft, wie so vieles, nicht primär für die Befriedigung unserer Bedürfnisse da. Das bedeutet: Wenn wir wollen, das Wohnraum unter kollektivem Zugriff und nach kollektiven Interessen organisiert wird, dann müssen wir für diese Veränderung selbst eintreten. Nur kollektiv können wir gegen die Ursachen der Wohnungskrise effektiv kämpfen. Für uns als Solikreis steht daher fest: Wir werden Klaus mit seinem Kampf für den Erhalt der verbliebenen Häuser nicht alleine lassen!

Wir fordern, dass Klaus in seiner Wohnung bleiben kann, in der er bereits seit seiner Geburt lebt!

Wir fordern den Erhalt der Häuser, gegen den nur ihre vermeintliche Unwirtschaftlichkeit spricht!

Und wir fordern eine andere Daseinsvorsorge, in der die Befriedigung von Grundbedürfnissen nicht dem Markt überlassen wird. Wir wollen, dass unser Wohnraum nicht nur kollektiv durch Miete und Steuern bezahlt wird, sondern dass wir auch demokratisch darüber mitbestimmen, wie unsere Städte aussehen und genutzt werden!

Solikreis Kohlenstraße

 

 

Wir sind heute aus Dortmund rüber zu euch gekommen, um über Obdachlosigkeit zu sprechen. Danke für die Einladung!

Dass Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit irgendwie zusammenhängen, ist ja vermutlich allen von euch klar. Ist ja logisch: wenn Menschen aus ihrer Wohnung geworfen werden, kann es sein, dass sie auf der Straße landen. Aber es macht Sinn, diesen Zusammenhang mal genauer anzuschauen. Das wollen wir jetzt machen. Und dann sehen wir, dass Zwangsräumungen und eine Wohnungspolitik, die Zwangsräumungen zulässt, direkt und massiv dazu beiträgt, dass es immer mehr Menschen gibt, die ohne Wohnung oder sogar ohne Obdach leben müssen.

Wenn wir schauen, warum Menschen obdachlos werden, dann sind die Gründe oftmals eine Kombination aus einschneidenden Lebensereignissen wie dem Verlust wichtiger Menschen oder der Arbeit, Überschuldung, psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen. Das kann extrem schnell gehen und sobald das geregelte Einkommen wegbricht und mensch die Wohnung nicht mehr bezahlen kann, ist die Wohnungslosigkeit nicht weit. Und so steht am Anfang von Wohnungslosigkeit in vielen Fällen eine Zwangsräumung. Das kann uns allen passieren und es kann schneller gehen, als mensch denkt. Wer kein persönliches Umfeld hat, das vielleicht noch eingreifen und unterstützen kann, hat besonders schlechte Karten.

Und wenn ein Mensch dann erst einmal die Wohnung verloren hat und nicht direkt eine neue findet, dann fangen die Probleme erst richtig an. Wir haben einen Wohnungsmarkt mit zu wenigen Wohnungen – vor allem zu wenigen bezahlbaren Wohnungen – und zu vielen Interessent*innen. Das heißt, die Vermieter*innen können sich aussuchen, wer eine Wohnung bekommt. Und dann ist ja klar, dass die Menschen, die nur ein kleines oder kein Einkommen haben, die Schulden haben, die vielleicht psychische Erkrankungen oder Suchterkrankungen haben, es noch viel schwerer haben als alle anderen. Für Menschen, die zum Beispiel einen schlechten Schufa-Score haben, ist es fast unmöglich, auf normalem Weg an eine Wohnung zu kommen. Menschen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, haben noch schlechtere Karten. Und wenn mensch erst einmal komplett raus ist, also eine Zeit lang keine eigene Wohnung gehabt hat, dann wird es immer schwerer und schwerer, wieder aus der Situation heraus zu kommen. Je länger die Zeit ohne Wohnung, desto schwieriger ist es, wieder in eine zu kommen. Ein Teufelskreis.

Und so landen viele Menschen, die ihre Wohnung verlieren, in Notunterkünften. Das sind so Massenunterkünfte, in denen die Menschen dann in Mehrbettzimmern leben, ohne Privatsphäre, wo sie sich zu Dutzenden eine Dusche teilen müssen. Wo es in der Regel viel zu wenig Hilfestellung dabei gibt, wieder auf die Beine zu kommen. Wir haben mehrere solcher Notunterkünfte in Dortmund und kennen viele Menschen, die dort wohnen oder mal gewohnt haben. Und die Zustände, von denen diese Menschen uns erzählen, sind katastrophal. Keine Ruhe, keine Privatsphäre, ständig Unruhe, Gewalt und Schikane durch das Sicherheitspersonal oder unter den Bewohner*innen, unglaublich eklige hygienische Bedingungen. Komplett menschenunwürdig. Also Zustände, in denen Menschen nicht einmal für kurze Zeit wohnen sollten. Und schon gar nicht über einen längeren Zeitraum. Aber genau das passiert: Weil es nicht genug Wohnungen gibt, sind die Menschen oft dazu gezwungen, viele Monate oder Jahre unter unmenschlichen Bedingungen in Notunterkünften zu leben. Und diese unmenschlichen Bedingungen sind kein Zufall, sonder Absicht, weil die Notunterkünfte teils durch profitorientierte Konzerne wie European Homecare betrieben werden, die den eigenen Profit über Menschenrechte stellen. Das ist absolut inakzeptabel! Ein Land, das sich so viel auf das angeblich tolle soziale Sicherungssystem einbildet, sollte sich echt dafür schämen, wie mit diesen Menschen umgegangen wird!

Weil die Notunterkünfte so beschissen sind, schlafen viele Menschen selbst im Winter lieber auf der Straße. Andere haben nicht einmal eine Wahl. Weil nicht alle Menschen Zugang zu den Notunterkünften haben, wenn sie zum Beispiel den falschen Pass haben. Außer sie bezahlen selbst für die Übernachtung, aber das können sie sich halt oftmals einfach nicht leisten. Auch für Menschen mit psychischen Problemen, mit Suchtdruck oder mit Tieren ist es noch schwieriger als für andere, irgendwo unterzukommen. Und dass ein solcher Ort kein Schutzraum für queere oder rassifizierte Menschen ist und deshalb oft keine Option, ist ja auch irgendwie klar. Wenn also der Dortmunder Oberbürgermeister behauptet, dass in Dortmund niemand auf der Straße schlafen muss, dann lügt er ganz bewusst. In Dortmund sind diesen Winter mehrere Menschen auf der Straße gestorben, mindestens einer davon erfroren. In ganz Deutschland erfrieren jeden Winter Dutzende Menschen. Dazu gibt es keinen Rückzugsraum, man ist jeder Gewalt schutzlos ausgeliefert. Vor einigen Monaten haben Jugendliche in Herford einen schlafenden Obdachlosen totgeprügelt, weil sie es lustig fanden. Das passiert leider auch ziemlich regelmäßig. Und leider ist es schon wieder passiert, und zwar bei uns in Dortmund. Erst vorgestern wurde am Hafen ein 31-jähriger obdachloser Mensch von vier Jugendlichen getötet. Wir sind entsetzt! Wir wissen bisher nicht viel und auch nicht, wer der Mensch war, aber eines ist klar: Menschen, die in Wohnungen leben, sind vor solcher Gewalt sicher. Menschen auf der Straße sind ihr oftmals schutzlos ausgeliefert.

Dazu kommt die Stigmatisierung und die Diskriminierung. Obdachlosen Menschen wird nicht einmal das letzte bisschen Würde gelassen, das sie noch haben. Die Städte überbieten sich inzwischen darin, ihre Innenstädte möglichst unattraktiv zu machen. Obdachlosenfeindliche Architektur, also beispielsweise Bänke, auf denen man nicht schlafen kann, Bettelverbote, Campierverbote, fehlende Toiletten, Ordnungsämter, die explizit gegen obdachlose Menschen vorgehen. Das ist Alltag in den meisten Städten. Auch in Dortmund, wo der Oberbürgermeister unter dem Einfluss der Händler*innenlobby steht und es sich – gegen den Rat aller Expert*innen – zum Ziel gesetzt hat, durch massive Repression obdachlose und substanzabhängige Menschen aus der Innenstadt und aus dem Blickfeld zu verdrängen. Er hat damit leider durchaus Erfolg. Kein Mensch hält diesen Repressionsdruck lange durch. Aber die Menschen sind dadurch ja nicht weg, sie weichen nur in andere Stadtviertel aus, die Probleme bleiben aber bestehen.

Und auch in diesem Zusammenhang mit staatlicher Diskriminierung und Gewalt mussten wir diese Woche in Dortmund schon sehen, wohin das führen kann. Am Mittwoch wurde ein 52-jähriger obdachloser Mensch, der sich offenbar in einer psychischen Ausnahmesituation befand, von der Polizei erschossen. Es gibt erschütternde Videos von dieser Tat und die große Frage, warum das schon wieder passieren musste? DIe Polizei ist nicht fähig und nicht gewillt, solche Situationen ohne Gewalt zu lösen. Nein, solche Gewalt gehört ganz normal dazu und obdachlose Menschen sind ihr schutzlos ausgesetzt. Wir könnten hier jetzt einen eigenen Redebeitrag zu Polizeigewalt gegen Obdachlose halten, aber das würde den Rahmen jetzt leider sprengen.

Wir möchten euch aber bitten, mit uns gemeinsam in einer Schweigeminute den beiden getöteten Menschen zu gedenken und allen anderen obdachlosen Menschen, die einfach nur deshalb Ziel tödlicher Gewalt wurden, weil sie ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße hatten.

…..

Danke! Wir werden an diesen beiden Fällen dran bleiben und auf Social Media über Entwicklungen berichten.

Aber wie lösen wir jetzt das eigentliche Problem? Die Antwort ist so einfach: Mehr bezahlbare Wohnungen, Sozialwohnungen, in vergesellschaftetem, nicht profitorientiertem Besitz. Die Rechnung ist da wirklich einfach: Wir brauchen mehr Wohnungen, als es Menschen gibt, die eine Wohnung brauchen. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosigkeit waren 2022 ungefähr 450.000 Menschen wohnungslos, davon 50.000 obdachlos auf der Straße. Also brauchen wir bezahlbare Wohnungen für eine halbe Million Menschen, vor allem in den Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet, wo es aktuell kaum Leerstand gibt. Das ist natürlich eine Ansage. Eine halbe Million Wohnungen baut man nicht über Nacht. Deshalb ist es umso unverständlicher, wenn auch noch bezahlbarer Wohnraum vernichtet wird wie hier in der Kohlenstraße, um stattdessen Luxus zu bauen.

Wenn die Häuser in der Kohlenstraße saniert würden und bezahlbar den Menschen zur Verfügung gestellt würden, dann würde das dazu beitragen, den Wohnungsmarkt in Bochum zu entspannen. Die Wohnungen könnten auch gezielt dazu eingesetzt werden, Menschen von der Straße zu bekommen, beispielsweise durch Housing First. Das ist ein Konzept, das Menschen ohne Bedingungen eine Wohnung gibt. Das wird sehr erfolgreich in vielen Ländern gemacht, beispielsweise in Finnland. Und da zeigt sich, dass bei Menschen in einer eigenen Wohnung auch ganz oft Begleitprobleme wie Sucht und psychische Probleme reduziert werden. Den Menschen geht es besser, wenn sie eine eigene Wohnung haben und nicht jeden Tag Sorge haben müssen, wie sie die Nacht überstehen. Das ist natürlich nicht überraschend. Und dazu passt es natürlich auch, dass viele Menschen, die auf der Straße leben, genau das fordern. Die sagen „Gebt uns einfach eine Wohnung, alles andere ist nicht so wichtig!“ Das ist natürlich keine Lösung für alle, so leicht sollte man es sich nicht machen, aber es würde schon sehr viel helfen.

Aus diesem Grund: Lasst uns weiter streiten! Gegen jede Zwangsräumung! Gegen die Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum! Gegen einen profitgetriebenen und klassistischen Wohnungsmarkt! Gegen die Diskriminierung von armen und wohnungslosen Menschen! Und für das gute Leben für alle!

Häuser denen, die drin wohnen!

Schlafen statt Strafen!