Freitag 26.01.24, 13:00 Uhr

„Bürgerbeteiligung“ soll plötzlich ganz schnell gehen


Zwischen 2019 und 2022 hat es in Bochum einen zunächst hoffnungsvoll erscheinenden Diskussionsprozess zwischen Stadtverwaltung und diversen Gruppen um die Einführung einer erweiterten Bürgerbeteiligung gegeben. Sogar zwei sogenannte „Akteursforen“ wurden durchgeführt und die partnerschaftliche Erarbeitung von Leitlinien schien zum greifen nahe. Dann hat sich die Stadtverwaltung jäh aus dem Prozess zurückgezogen, um zunächst intern zu beraten, was sie sich zum Thema Bürgerbeteiligung vorstellen kann und was nicht. Danach sollte der Dialog fortgesetzt werden.

Doch nun gibt es plötzlich eine Verwaltungsvorlage, die ohne jeden weiteren Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern bereits am 1. 2. Vom Rat der Stadt verabschiedet werden soll. Darin gibt es statt verbindlichen „Leitlinien“ nur unverbindliche „Eckpunkte“. Diese stellen es völlig in das Belieben der Verwaltung, bei welcher Maßnahme sie welche Art von Bürgerbeteiligung durchführt, von bloßer Information bis zu Mitentscheidung z. B. in einer Jury. Würde dies so beschlossen, wäre Bochum die erste Stadt in NRW, die eine Bürgerbeteiligung einführt, ohne das Wie mit den Bürgern gemeinsam zu entwickeln.

11 Gruppen und Organisationen haben einen Brief an die Ratsmitglieder geschrieben, um dies in letzter Minute zu verhindern. Wir dokumentieren den Inhalt.

Bochum, im Januar 2024

An die Mitglieder des Rates der Stadt Bochum

Sehr geehrte Damen und Herren,

in der nächsten Ratssitzung am 1. Februar liegt Ihnen die Vorlage der Verwaltung Nr. 20232815 „Eckpunkte der Bürgerbeteiligung“ zum Beschluss vor. Wir, Mitglieder in verschiedenen Organisationen der Bochumer Zivilgesellschaft, bitten Sie, dieser Vorlage nicht zuzustimmen, sondern die Verwaltung zu beauftragen, den abgebrochenen Gesprächsfaden mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt wieder aufzunehmen und den Prozess der gemeinsamen Erarbeitung von Leitlinien für Bürgerbeteiligung fortzusetzen. Die Vorlage kann dabei als Diskussionsgrundlage dienen.

Zum Hintergrund:

Zwischen 2019 und 2022 führten wir Gespräche mit dem Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation, die man zumindest in der Anfangsphase als durchaus konstruktiv beschreiben kann. Ziel war der Entwurf einer erweiterten Bürgerbeteiligung, wie sie in etlichen anderen Städten in NRW bereits vor Jahren eingeführt worden ist, zum Beispiel Bonn (2012), Oberhausen (2014), Plettenberg (2016), Soest (2015), Wuppertal (2016), Solingen (2017), Schwerte (2019).

Am 26. 6. 2020 und am 29. 3. 2021 wurden erfolgreiche Akteursforen veranstaltet, erste Strukturen einer Bürgerbeteiligung zeichneten sich ab. Es wurde eine gemeinsame Vorhabenliste erstellt und die Einführung der Plattform Consul beschlossen, die inzwischen unter www.bochum-mitgestalten.de online ist.

Die Corona-Pandemie hat weitere Fortschritte bei der Arbeit immer wieder verzögert und schließlich brach der Gesprächsfaden ganz ab. Auf der Podiumsdiskussion „Bürgerbeteiligung statt Politikverdrossenheit“ am 3. 11. 2022 im Kolpinghaus Höntrop erklärte der Leiter des Referats für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation, Thorsten Lumma, öffentlich, die Verwaltung habe sich aus dem Prozess zurückgezogen, um zunächst intern zu beraten, welche Vorstellungen über Bürgerbeteiligung man habe. Sobald dieser interne Beratungsprozess abgeschlossen sei, werde man wieder auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen.

Unabhängig davon, dass wir ein solches Vorgehen kontraproduktiv finden, weil eine für alle Seiten konstruktive Bürgerbeteiligung nur gemeinsam entwickelt werden kann, warten wir seither drauf, dass die Verwaltung wieder auf uns zukommt. Stattdessen erfuhren wir durch ein Telefonat Mitte Januar, dass die Verwaltung ein Eckpunktepapier erarbeitet hat, das sie ohne weitere Konsultation der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt kurzfristig vom Rat verabschieden lassen will.

Aus unserer Sicht sind diese Eckpunkte auf ganzer Linie enttäuschend. Sie sind an Unverbindlichkeit kaum zu überbieten und bleiben meilenweit hinter dem zurück, was andere Städte zum Thema Bürgerbeteiligung beschlossen haben. Es ist zudem ein denkbar schlechter Start für eine erweiterte Bürgerbeteiligung in einer Stadt, wenn die Bürger nicht mal an der Konstruktion dieser Beteiligung beteiligt worden sind.

Ein Beschluss dieser Eckpunkte wäre für eine Bekämpfung von Politikverdrossenheit nicht förderlich. Es ist jetzt nicht die Zeit, die Debatte abzuschließen, sondern sie neu zu eröffnen.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Biedassek, BoKlima
Martin Budich, attac/occupy
Ingo Franke, AkU
Brigitte Giese, BUND
Aichard Hoffmann, Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend e. V.
Ulrike Hohendorff, Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung
Karl-Heinz Hüsing, Radwende
Rainer Midlaszewski, Stadt für Alle
Veronika Nickl, Gabriele Mohnhaupt, EssBO! Ernährungsrat Bochum
Holger Rüsberg, VCD Bochum-Gelsenkirchen-Herne e.V.
Stefan Wolf, Freundinnen und Freunde des Hallenfreibades Höntrop e.V.

Die Verwaltungsvorlage zu den Eckpunkten findet sich hier.