Seit letzter Woche herrscht Empörung in Deutschland: Dank der correctiv Recherche ist nun nicht mehr zu ignorieren, was eigentlich schon lange bekannt ist: Die AfD will massenhaft Menschen abschieben und die parlamentarische Demokratie abschaffen. Wir begrüßen es daher natürlich, dass heute tausende Leute mit uns auf die Straße gehen. Aber es spricht auch Bände, dass viele erst dann demonstrieren, wenn sie das Gefühl haben, dass es bald an ihren eigenen Kragen gehen könnte. Nie wieder ist nicht erst jetzt!
Ohne große Gegenwehr hat der im Rahmen der Wiedervereinigung erstarkende Faschismus durch rassistische Mobilisierungen, man erinnere sich z.B. an Rostock-Lichtenhagen, CDU und SPD bereits 1993 dazu gebracht, die erste großen Einschränkung des Asylrechts umzusetzen. Und auch im Sommer, als das Gemeinsame Europäische Asylsystem beschlossen wurde, herrschte Schweigen auf Deutschlands Straßen. Die Ampel trägt mittlerweile eine europäische Politik mit, die durch Pushbacks und unterlassene Hilfe mehr Menschen tötet als es sich der faschistische Mob von Schneeberg und Heidenau 2015 hätte erträumen können.
Die Asylrechtsverschärfungen sind aber nicht nur menschenfeindlich, sondern auch verlogen: Alle Versuche sich abzuschotten haben bisher nicht funktioniert. Selbst unter Meloni kamen 2023 in Italien mehr Flüchtlinge an als je zuvor. Und weil die Regierenden gar nicht liefern können, was sie ankündigen, erscheinen sie schwach. Davon profitieren einzig jene, die versprechen, wirklich ernst zu machen, wenn sie denn nur an die Macht kämen. Daher empfehlen wir allen, die außer dem ständigen Gerede über illegale Migration und angebliche Pull-Faktoren nichts zu sagen haben, einfach mal die Fresse zu halten!
Dass jetzt viele Menschen schockiert über die Deportationspläne der AfD sind, ist nur etwas Wert, wenn der Abbau von Menschenrechten endlich gestoppt wird, egal von wem er geplant ist. Die Chancen darauf stehen jedoch schlecht: Solange Bauchschmerzen dabei sind, scheint für die meisten Deutschen auch nach wie vor jede Grausamkeit akzeptabel zu sein. Erst gestern wurde das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ beschlossen, welches unter anderem unangekündigte und nächtliche Abschiebungen möglich macht.
Aber nicht nur in der Migrationspolitik setzen die Regierenden viele Dinge in vorauseilendem Gehorsam um, die von der AfD gefordert werden. Auch ihre Austeritätspolitik bereitet den Nährboden für den Faschismus, indem sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt erodiert. Es stimmt zwar, dass der Großteil der AfD-Wähler:innen die inhaltlichen Positionen der Partei teilt, allerdings sind diese Menschen ja erst in einer Gesellschaft zu Faschisten geworden, die von den etablierten Parteien gestaltet wird.
Der Umgang mit der aktuellen Inflationskrise setzt der katastrophalen Sparpolitik der letzten Jahrzehnte die Krone auf. Statt die Kosten für Produkte des täglichen Bedarfs mit effektiven Preisdeckeln und Steuersenkungen zu drücken, werden viele Dinge durch die Hochzinspolitik noch teurer. Statt die Daseinsvorsorge wieder zu Entprivatisieren, wird sich krampfhaft an die Schuldenbremse geklammert. Und das, obwohl wir alle wissen, wohin uns das bisher geführt hat: zu teuren Mieten, überlasteten Krankenhäusern und einem kaputten Schienennetz. Aber nicht zu Qualitätsverbesserungen oder Einsparungen. Statt die ökologische Transformation voranzutreiben und die Reichen mit ihren großen Unternehmen dafür zahlen zu lassen, werden lieber halbherzige Klimaschutzmaßnahmen getroffen, deren unausgegorene Finanzierung die Menschen verunsichert. Statt in Bildung, Forschung und Demokratieförderung zu investieren, wird genau da gekürzt, wo sich Menschen gegen den Faschismus stark machen. Auch wenn die AfD nur strategisch argumentiert, schafft die desolate Situation, in der sich die Daseinsvorsorge und die öffentliche Infrastruktur befindet, eine ideale Angriffsfläche. Jede Investition, die für etwas bestimmt ist, was ihr nicht passt, kann mit dem Verweis darauf in Frage gestellt werden, dass es dringendere Probleme gäbe.
Das Schlimmste ist aber, dass die Politik der Ampel die materielle Lebensgrundlage von Millionen von Menschen weiter verschlechtert. Angefangen hat damit schon die SPD im Jahr 2002 als sie Hartz-IV eingeführt und damit den größten Niedriglohnsektor in der EU geschaffen hat. Endlich konnte man Leistungsbeziehende durch Sanktionen zwingen, jede schlecht bezahlte Drecksarbeit anzunehmen. Die freie Arbeitswahl, welche Unternehmen wenigstens ein Mindestmaß an akzeptablen Arbeitsbedingungen abnötigt, wurde abgeschafft. Durch die nach unten gedrückten Lohnkosten konnten die deutschen Unternehmen sich im internationalen Wettbewerb weiter behaupten. Der Preis dafür: Menschen, die aufgrund von Krankheiten, Care-Verpflichtungen oder aus anderen Gründen nicht arbeiten können, werden seitdem dauerhaft in ein Leben unter dem Existenzminimum gezwungen. Sie werden von Wohlstand, Freizeitangeboten und Kultur abgeschnitten. Statt zu leben, sollen sie nur zuschauen. Und auch allen anderen Lohnabhängigen wurde klargemacht, dass sie sich in den Dienst des Standorts zu stellen haben. Dass sie arbeiten sollen, ohne sich zu beschweren, weil sie ansonsten durch die Mühlen des Jobcenters gedreht werden. Auch wenn es auf individueller Ebene keine Entschuldigung sein darf, ist es dennoch keine Überraschung, dass Menschen unter diesem Druck empfänglich für faschistische Propaganda werden. Dass sie Schuldige für ihre Armut suchen oder sich aus Angst vor finanziellem Abstieg gegen Veränderungen wehren. Statt die Reform des Bürgergeldes endlich dazu zu nutzen, das Vertrauen in die Gemeinschaft zu stärken, wird das Sanktionsregime nun nach kurzer Pause fortgesetzt.
Die demokratischen Parteien scheinen nicht anders zu können: Trotz der Unterschiede steht ihre Politik nicht konträr zur AfD, sondern stellt nur eine andere Spielart des deutschen Nationalismus dar. Das primäre Ziele ist dasselbe: Den Wirtschaftsstandort stärken. Wenn es sein muss, dann auf Kosten derjenigen, die sich am schlechtesten dagegen wehren können.
Trotz der Kritik haben die Regierenden in den nächsten Monaten ja die Möglichkeit zu zeigen, dass sie den sich formierenden Faschismus ernsthaft bekämpfen wollen. Wir nehmen die Grünen und die SPD Bochum, die beide zur heutigen Demo aufgerufen haben, beim Wort: Möglichkeiten der AfD mit einer progressiven Politik den Wind aus den Segeln zu nehmen, gibt es auch vor Ort. Denkbar wäre zum Beispiel die Umwandlung der städtischen VBW in ein gemeinwohlorientiertes Wohnungsunternehmen. Stattdessen plant die Stadt gerade aber lieber den Abriss von 25 Wohnungen in der Kohlenstraße, um Büroflächen zu bauen. Dazu will sie den letzten verbliebenen Mieter zwangsräumen. Wir fordern die Verantwortlichen der SPD dazu auf, die Zwangsräumung zu stoppen und in einen Dialog um alternative Nutzungskonzepte einzutreten. Wenn ihr das genauso seht, dann unterschreibt die Petition für den Erhalt der Häuser in der Kohlenstraße unter: www.weact.campact.de/p/klaus und beteiligt euch regelmäßig auch an Aktionen, die für eine Sozialpolitik eintreten, die der AfD das Wasser abgräbt!