Montag 20.11.23, 22:42 Uhr

Rede GEW Bochum Hochschulaktionstag 2023


Redemanuskript Hochschulaktionstag 20.11.2023 Rebecca Sirsch GEW Bochum

Ich freue mich hier auf dem Hochschulaktionstag für den Stadtverband der GEW Bochum sprechen zu können.

Dies ist ein ganz besondere Aktionstag, denn unsere beiden Gewerkschaften die GEW und Verdi haben zusammen zum Streik aufgerufen, zusammen mit anderen Initiativen aufgerufen, sich an diesem Aktionstag zu beteiligen. Jetzt sind wir zusammen auf der Bühne. Das ist eigentlich relativ ungewöhnlich, zeigt aber, wie dringlich unsere Forderungen sind.

Jetzt ist es Zeit unsere Kräfte zu bündeln und ich freue mich sehr über die Zusammenarbeit mit unseren Kolleg*innen von Verdi.

Alle, die hier sind, kennen unsere Forderungen nach

  • 10,5 Prozent mehr Gehalt
  • mindestens aber 500 Euro mehr im Monat
  • 200,- Euro monatlich mehr für alle in Ausbildung
  • unbefristete Übernahme von Auszubildenden und Studierenden

Zudem wollen wir den Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TV Stud)!

An diesem Tag haben wir „unsere“ GEW Kolleg*innen aufgerufen, sich zu beteiligen und zu streiken.

Ich möchte aber betonen, dass wir auch solidarisch sind, mit unseren Kolleg*innen von Verdi, die im Rahmen der Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst der Länder streiken. Denn die Ruhr Universität läuft nicht, ohne die Beschäftigten in Technik und Verwaltung.

Auch dies sind die Menschen, die einen wichtigen Teil unserer Infrastruktur beisammen halten. Mal ganz ehrlich, ob ein Shampoo mehr oder weniger produziert wird, ob ein Versicherungsvertrag mehr oder weniger abgeschlossen wird, ist nicht so mega entscheidend, Aber ohne die Mitarbeiter*innen in der Poststelle hier, weiß niemand ob entscheidende Korrespondenz angekommen ist, ohne Elektriker*innen ist kein Experiment mit Strom versorgt, ohne die IT Leute, die auch auf die duseligste Frage eine Antwort haben, würde der eine oder andere Bildschirm schwarz bleiben.

Als ich hier angefangen habe zu studieren, habe ich bei meinem ersten Campusrundgang gelernt, dass der Campus hier der Hafen des Wissens sein soll, mit dem Audimax als Muschel in der Mitte.

Wer schon mal einen Hafen besucht hat weiß, dass sich nichts bewegen würde, ohne all die vielen Menschen mit ihren unterschiedlichen Qualifikationen.

Wissen soll der Standortfaktor der Zukunft sein

Wer eine jedoch Karriere in der universitären Wissenschaft anstrebt, ist zunehmend mit prekären Beschäftigungsbedingungen konfrontiert.

92 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen unter 45 Jahren, ohne Professor*innen, haben einen befristeten Arbeitsvertrag (Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021). Auch im administrativ-technischen Bereich liegt die Befristungsquote weit über dem Durchschnitt anderer Branchen.

Die rechtliche Grundlage hierfür ist ein Sonderrecht, das nur für die Wissenschaft gilt: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) macht befristete Beschäftigung im wissenschaftlichen Mittelbau zum Normalfall.

Fehlende Planbarkeit und hohe Abhängigkeit von den Vorgesetzten sind in diesem System der permanenten Bewährung die Folge. Erst durch längere Vertragslaufzeiten sind Beschäftigte auch besser über ihre Rechte informiert und können diese wahrnehmen. So, wie wir jetzt hier…

Für Promotionen und Habilitationen werden oft Stipendien vergeben. Klingt nach einer tollen Sache, aber diese sind natürlich immer an Bedingungen geknüpft. Anstatt dessen, müssen genügend sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen werden. Nach dem Studium, dessen Jahre im Hinblick auf die Rente wenig einbringen, sollten nicht noch drei bis vier weitere Jahre ohne Rentenversicherung an der Hochschule verbracht werden.

Zurecht kann sich hier die Frage gestellt werden, wer unter diesen Voraussetzungen den Mut hat, diesen Weg einzuschlagen. Nicht nur die Statistiken unserer Hans Böckler Stiftung beweisen immer wieder auf Neue, dass Menschen aus nicht akademischen Familien, je höher die Karriereleiter ist, immer weniger vertreten sind. Dies ist kein genetischer Defekt, sondern auch eine Folge dieser Beschäftigungspolitik. Wer ein finanzielles Back Up durch die Familie hat, kann wesentlich entspannter diese prekären Beschäftigungen annehmen. Dann spielt wissenschaftlicher Erfolg eine größere Rolle, als die Frage, ob die Wohnung am Ende des Jahres noch finanzierbar ist.

Wer nicht nebenher noch Kinder oder Angehörige betreuen muss, ist klar im Vorteil. Das bedeutet, dass besonders Menschen, die Sorgearbeit verrichten und das sind meist die Frauen unter uns, im Nachteil sind. Das heißt, diese prekären Beschäftigungsverhältnisse begünstigen konservative Familienmodelle, bei denen (ich veranschauliche es jetzt mal mit einer Übertreibung) es eine Person gibt, die die Haus- und Sorgearbeit verrichtet, während sich der Forschende voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren kann und im Notfall finanzielle Unterstützung aus der Familie bekommt.

Noch immer sind nach den Zahlen des statistischen Bundesamtes von 2023 nur ein Drittel der Professuren von Frauen besetzt, hier an der Ruhr Universität sind es 31,1 %. Auch hier liegt kein genetischer Defekt, sondern eine strukturelle Benachteiligung, auch durch bestehende Arbeitsverhältnisse vor.

Obwohl Lehre und Forschung gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind, ist die Möglichkeit der Teilhabe an diesen Aufgaben für große gesellschaftliche Gruppen, wie Frauen, POC´s, und Menschen aus einkommensschwachen Haushalten begrenzt. Es ist inzwischen bekannt, dass die Forschung an den Interessen dieser Gruppen oft vorbeigeht.

So geht es nicht weiter.

Lehre und Forschung muss von allen Menschen aus unserer Gesellschaft gemacht werden und für alle Menschen unserer Gesellschaft gemacht werden. Eine wissenschaftliche Laufbahn darf nicht von sozialer oder kultureller Herkunft oder Geschlecht bestimmt werden.

Darum braucht es gute Bezahlung und ein Ende der Befristungen

Das Gleiche gilt auch für die studentischen Beschäftigten

Als ich angefangen habe, hier an der RUB zu studieren wurde uns gesagt, dass für unsere Laufbahn ungemein fördernd wäre, wenn wir uns einen Job als Studentische Hilfskraft angeln könnten. Ich gehe davon aus, dass es diese Empfehlung immer noch gibt.

Die Studie Jung, akademisch, prekär. vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen zeigt, wie der Arbeitsalltag aussieht:

Studentische Beschäftigte sind vom Tarifvertrag der Länder und vielfach auch von der Mitbestimmung durch Personalräte ausgeschlossen. Durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz kommt ein Sonderbefristungsrecht obendrauf. Die Konsequenzen sind erheblich und strukturell bedingt. Arbeitnehmer*innenrechte werden nicht eingehalten – und das ist die Regel!

Rund 39 Prozent der Hilfskräfte und Tutor*innen machen regelmäßig Überstunden, etwa genauso viele nehmen ihre Urlaubsanspruch nicht wahr, Krankheitstage werden nachgearbeitet. Gleichzeitig laufen die Verträge, im Schnitt 5,7 Monate.

Ich könnte den Text von gerade noch mal aufsagen… Wer kann diese Jobs machen in Ihrer Prekarität ausführen, ohne Existenzängste zu spüren. Nur Leute, die nicht richtig darauf angewiesen sind. Auch hier gilt es durch Tarifverträge echte Chancengerechtigkeit zu schaffen.

Jetzt müssen wir aber mal von einem ermutigenden Beispiel berichten:

2018 konnten wir in Berlin sehen, was Gewerkschaften und solidarischer Arbeitskampf bewirken können: Nach über 40 Streiktagen war der TVStud III dort beschlossene Sache.

Es lohnt sich also, sich in Bewegung zu setzen.

Gemeinsam mit unseren Bündnispartner*innen fordern wir außerdem einen Inflationsausgleich für Alle.

Das bedeutet auch, dass die BAföG Sätze deutlich angehoben werden müssen. Es braucht eine BAföG-Strukturreform und Bedarfssätze, die in Echt zum Leben reichen!

Ich habe letzte Woche mit Schüler*innen der Fritz Steinhoff Gesamtschule Hagen über Studienorientierung gesprochen. Es ging darum, welche Universität die Schüler*innen nach dem Abitur besuchen könnten. Sie sagten zu mir: Nun ja, für uns kommt ja sowieso nur Wuppertal oder Bochum in Frage. Kaum jemand von uns könnte sich doch eine Wohnung leisten, wenn wir wegziehen müssten. So können wir zu Hause wohnen bleiben. Mit Bildungs- oder Chancengerechtigkeit hat das nichts mehr zu tun.

In dem Zusammenhang möchte ich noch mal auf den viel beweinten Fachkräftemangel eingehen. Die potentiellen Fachkräfte sind da, sie müssen aber eine Gelegenheit bekommen, ausgebildet zu werden. Und das wird nur passieren, wenn Studierende in erster Linie studieren können und das Studium nicht an der Finanzierung scheitert.

Oft ist die Rede von der Gefährdung der Demokratie durch Fake News. Wir brauchen eine demokratische Bildungsoffensive, um dem entschlossen entgegenzuwirken.

Das heißt, gute Forschung und Lehre benötigt eine stabile Grundfinanzierung, unabhängig von Drittmitteln und Projektförderung.

Wissenschaft und Forschung ist ein wichtiger Teil unserer Infrastruktur, ohne sie ist kein gesellschaftlicher Fortschritt möglich. Aus diesem Grund sind wir nicht nur als Beschäftigte, sondern auch als Gesellschaft aufgefordert, die Forderungen zu unterstützen.

Das Ruhrgebiet und Bochum sieht den Bildungssektor als zukunftsweisend, um dem Strukturwandel, mit unsere Region kämpft, zu begegnen. Das Buch ist zentral im Stadtwappen der Stadt. Darum fordern wir auch die Entscheider*innen in der Politik auf, sich unseren Forderungen anzuschließen.

Gemeinsam fordern wir ein Ende von prekären Arbeits- und Studienbedingungen. Mit allen, die hier stehen, mit allen, die hier heute gekommen sind, denn Bildung geht uns alle an, ob als Lehrende, Studierende, Beschäftigte, als Eltern, als Gesellschaft…

Ich sage es noch mal, Bildung ist eine zentrale Säule einer demokratischen Gesellschaft und darum braucht es dort Arbeits- und Lernbedingungen, die dies auch ermöglichen.