Freitag 09.06.23, 20:28 Uhr

Hauptausschuss für „Weiter So im Wohnungsbau“!


Der Hauptausschuss musste sich in seiner Sitzung am 07. 06. 2023 auf Anordnung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen mit der vom Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung gemeinsam mit weiteren sieben Bürgerinitiativen eingereichten Eingabe nach § 24 Gemeindeordnung NRW befassen.

Das Netzwerk schreibt: »Heike Schick, Mitglied in der Bürgerinitiative „Grabeland Am Ruhrort“ sowie im Netzwerk, wollte zu Beginn der Sitzung stellvertretend für alle Initiativen nochmal mündlich begründen, warum Aktivitäten in sämtlichen zurzeit laufenden Bebauungsplanverfahren zum Wohnungsneubau so lange ausgesetzt werden sollten, bis das in Überprüfung befindliche „Handlungskonzept Wohnen“ fortgeschrieben, der „Klimaplan“ sowie das Konzept für eine „Global Nachhaltige Kommune“ beschlossen sind und das Wohnbauflächenprogramm aktualisiert ist. Die Initiativen wollen so erreichen, dass alle Bochumer Wohnbauvorhaben im Hinblick auf die zu lösenden Probleme gleich behandelt werden.

Oberbürgermeister Thomas Eiskirch unterbrach die Rednerin bereits nach wenigen Sätzen, als sie zu Beginn ihrer Ausführungen auf die erforderlich gewordene gerichtliche Hilfe eingehen wollte. Sie dürfe nur zum Inhalt der Petition, nicht aber zum Verfahrensablauf vortragen. Wollte der Oberbürgermeister vielleicht nicht an den gerichtlich festgestellten Fehler in der Bochumer Hauptsatzung erinnert werden? Nachdem die Rednerin eingelenkt hatte, konnte sie die gemeinsame Petition ohne weitere Unterbrechung begründen. Sie schloss mit dem Hinweis, dass Bochum sich die Zukunft zu verbauen drohe, wenn nicht heute die Chance genutzt werde, nachhaltiges Bauen und Wohnen und damit Klima- und Naturschutz in Bochum konkret umzusetzen (die ungekürzte Rede unten).

Bis auf zwei Mitglieder lehnte der Ausschuss die Anregung ab. Das „Weiter So im Wohnungsbau“ auch nur mit einem Wort zu rechtfertigen, hielt die Mehrheit nicht für erforderlich. Sie verweigerte jede Debatte zur Eingabe. Aber vielleicht war es der Mehrheit auch nur peinlich, sich auf gerichtliche Anordnung mit einer Eingabe befassen zu müssen, mit der sie sich nach der erst im März 2021 beschlossenen Änderung der Hauptsatzung gerade nicht mehr befassen wollte.

Damit ist die Gerichtsentscheidung aber keineswegs vom Tisch. In der Ratssitzung am 15.06.2023 steht ein Antrag aus der Opposition auf der Tagesordnung, die Hauptsatzung in dem vom Gericht beanstandeten Punkt zu ändern. Ob die Mehrheit im Rat hier zu einer Debatte bereit sein wird?«

 

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses,

sehr geehrte Stadtverwaltung,

ich bin Mitglied in der Bürgerinitiative Am Ruhrort und im Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung und spreche heute für alle Initiativen, die diese Eingabe eingebracht haben.

Dass ich heute hier spreche, verdanke ich der auf meinen Antrag ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 27.04. zum § 9 h der Bochumer Hauptsatzung. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gibt der Stadtverwaltung, die doch immer so sehr auf Rechtssicherheit bedacht ist, nun die Aufgabe, die Hauptsatzung in diesem Punkt zu ändern, weil sie mit § 24 der Gemeindordnung NRW und dem dort in Anlehnung an Art. 17 des Grundgesetzes garantierten kommunalen Petitionsrecht nicht vereinbar ist. Das Urteil ist ein großer Gewinn für Bürgerbeteiligung in Bochum!

Es ist also mein Recht, hier stellvertretend für die sieben Initiativen ein Moratorium der Bebauungspläne im Verfahren zu fordern, bis das überarbeitete Handlungskonzept Wohnen sowie Vorgaben zum Bauen aus dem Klimaplan und dem GNK-Prozess vorliegen. Und ich finde es außerordentlich beschämend für die Stadt Bochum, dass ich mein per Gemeindeordnung verbrieftes Recht erst einklagen musste, zumal das Netzwerk bereits im März 2021 auf die Problematik dieses Paragraphen hingewiesen hat.

Ich bin mir sicher, dass ich hier Ausführungen zur 1,5 Grad-Grenze, Auswirkungen über die Folgen von Versiegelung für Stadtklima und Grundwasser und Auswirkungen der Vernichtung von Freiflächen für die Biodiversität nicht noch einmal wiederholen muss, die von UN-Generalsekrätär António Guterres als ‚Highway zur Klimahölle‘ bezeichnet werden.

Das Umweltbundesamt veröffentlichte im Februar die „Empfehlungen für den Wohnungs- und Städtebau“. Diese Empfehlungen zusammen mit den für Bochum individuell entwickelten Vorgaben aus einem neuen Handlungskonzept Wohnen, dem Klimaplan und dem GNK Prozess formulieren die Gestaltungsrichtlinien für zukünftiges Bauen. Was jetzt entschieden wird, ohne diese Vorgaben zu berücksichtigen, sind Entscheidungen wider besseren Wissens, ohne die Realität der Klimakrise und die Notwendigkeit für bezahlbaren Wohnraum anzuerkennen.

In ihrer Stellungnahme schreibt die Verwaltung auf 5 Seiten, dass es einen Mangel an Wohnraum geben wird. Doch Zahlen liegen bisher noch nicht vor. Die brauchen Sie aber, um fundierte Entscheidungen zum Bauen und Wohnen treffen zu können. Deshalb unsere Forderung: Bebauungspläne so lange ruhen zu lassen, bis die Zahlen des Handlungskonzepts vorliegen. Die Verwaltung differenziert nicht, um welchen Wohnraum es geht. Schon beim ersten Handlungskonzept Wohnen ging es nicht um Wohnraum für einkommensschwache Familien, statt dessen formuliert man das Ziel, Zuzugsgebiet für Wohlhabende zu schaffen. Der gestiegene Bedarf durch ukrainische Flüchtlinge wird angeführt, doch die werden bestimmt nicht in die Vater-Mutter-2Kinder-Familien-Häuser einziehen. Die Klimakrise findet keine Erwähnung in der Vorlage der Verwaltung, die doch zugleich für Klimaanpassung verantwortlich ist und Bochum zur Schwammstadt machen möchte.

Politik sollte auf die Daseinsfürsorge aller ausgerichtet sein, deshalb sollten Sie nicht die Fehler wiederholen, die uns erst in die Misere geführt haben, die die Umwelt weiter zerstören und soziale Ungleichheiten reproduzieren.

Warum also nicht mit der Arbeit an schwebenden Bebauungsplänen warten, bis alle konkreten Forderungen für Bochum auf dem Tisch liegen, um diese dann zusammen mit überregionalen Vorgaben und Empfehlungen in zukunftsgerichtete Bauvorhaben einfießen zu lassen?

Warum dieses Weiter so? Warum diese Eile?

Vielleicht wird befürchtet, dass es mit den neuen Fakten ein Weiter so gar nicht geben kann und somit die Partikularinteressen der Investoren nicht bedient werden können?Wessen Interessen vertreten Sie mit übereilten Entscheidungen fürs zukünftige Bauen für morgen und übermorgen aufgrund von Vorgaben von gestern und vorgestern?

Die Verwaltung geht in ihrer Beschlussvorlage nicht weiter auf den Klimaplan und das Konzept für eine Global Nachhaltige Kommune ein. Wenn erst das neue Handlungskonzept die Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigen wird, kommt es zwangsläufig zu Bebauungsplänen erster und zweiter Klasse. Dies gilt es mit der Eingabe zu verhindern.

Im vergangenen Jahr haben unter Beteiligung von Politik, Verwaltung und vielen engagierten Bürger*innen wichtige Debatten stattgefunden. Ziel war es, einen gemeinsamen Klimaplan und Maßnahmen zu erarbeiten, die Bochum zu einer Global Nachhaltigen Kommune machen. Das Abschlusspapier steht im Lauf dieses Jahres im Rat zur Verabschiedung an und soll die Nachhaltigkeitsstrategie für Bochum verbindlich festschreiben, die unsere Stadt für alle schöner und lebenswerter machen wird, klimaneutral und gut für die Zukunft aufgestellt.

Wir wollen, dass diese guten Arbeitsergebnisse ab sofort die zukünftige Planung bestimmen. Es gibt keinen guten Grund, bei den laufenden Bauvorhaben darauf zu verzichten.Deshalb unsere Eingabe: auf alle Verfahren, die sich im Bebauungsplanverfahren befinden,sollen diese Maßnahmen Anwendung finden.

Wir bestreiten nicht, dass gebaut werden muss – die entscheidende Frage ist aber: was muss gebaut werden? Der dringend benötigte, günstige Wohnraum entsteht nicht durch Neubau! Die Modernisierung des Gebäudebestands ist die Lösung und nicht die Kulisse auf der grünen Wiese, die die letzten wertvollen Grünräume in unserer ohnehin über die Maßen versiegelten Stadt vernichtet.

Genau das WIRD dazu führen, dass Investoren Bochum schätzen lernen: als Kommune mit attraktiven zukunftsfähigen Wohnkonzepten und nicht phantasielosem ‚Weiter So‘!

Die mutiplen Krisen sowie der Arbeitskräftemangel haben das Bauen sehr teuer gemacht und werden es deutlich verzögern. Vonovia und LEG haben ebenso wie die VBW und der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum angekündigt, in diesem Jahr keine Neubau-Projekte mehr starten zu wollen. Die Fläche soll aber trotzdem baureif gemacht werden, um startklar zu sein, wenn die Rahmenbedingungen wieder passen. Es entsteht der Eindruck, dass im Interesse von Investoren jetzt „Baurecht auf Abruf“ geschaffen werden soll.

Aus unserer Sicht verbietet es sich heute, bei den in Bochum laufenden Verfahren schnell noch Fakten zu schaffen. Ist nämlich erst mal Baurecht beschlossen, geht auch ein aktualisiertes Handlungskonzept ins Leere. Und die Ergebnisse der Nachhaltigkeits-strategie könnten dann ebenfalls nicht auf all diese Bauvorhaben angewendet werden.

Das sehen wir als eindeutig verpasste Chance, nachhaltiges Bauen und Wohnen und damit Klima- und Naturschutz in Bochum konkret umzusetzen. Im wahrsten Sinne des Wortes droht sich Bochum die Zukunft zu verbauen.

Und dennoch: die Verwaltung hat ursprünglich sogar die Behandlung dieser Eingabe im Rat abgelehnt. Unsere Empfehlung bleibt:

Verpflichten Sie die Verwaltung darauf, mit der in Kürze aktualisierten Faktenlage zu arbeiten, die zukunftsfähiges Planen erst möglich macht.

Verlangen Sie für die Dauer der Überprüfung des „Handlungskonzepts Wohnen“ und bis zur Fertigstellung der „Nachhaltigkeitsstrategie“, laufende Bebauungsplanverfahren für Wohnungsneubau in den städtischen Gremien auszusetzen. 

Vielen Dank!