Dienstag 25.04.23, 13:27 Uhr
Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung zu der am 04.05.2023 anstehenden Wiederwahl

Stadtbaurat sollte Wiederwahl für Neuanfang nutzen!


Für das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung erklärt Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt zu der am 04.05.2023 im Rat anstehenden Wiederwahl von Dr. Markus Bradtke: »Auf der Tagesordnung für die Sitzung des Rates am 04.05.2023 steht als letzte öffentliche Entscheidung die Wiederwahl von Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke. Das wird dem Bochumer Jungen gefallen. Hat er doch nach seiner erstmaligen Wahl 2015 offenbart, für seinen Berufsstand sei es wohl das größte der Gefühle, in der Heimatstadt Baurat zu sein.

Nach der Gemeindeordnung kann er seine Wiederwahl nicht ablehnen. Dafür ist die zweite Amtszeit mit einer Höherstufung in der Besoldungsgruppe verbunden.
Offenbar sind Oberbürgermeister Thomas Eiskirch und die SPD-Ratsfraktion mit den Ergebnissen seiner bisherigen Arbeit zufrieden. Der Stimmen des grünen Koalitionspartners kann er sich auch sicher sein. Einerseits gilt Koalitionszwang, andererseits sind die Grünen im Rat ihrem Stadtbaurat gegen Kritik aus Opposition oder Bürgerschaft stets beigesprungen. Schließlich ist er im Dezernat VI nebenbei auch noch für Umwelt und Nachhaltigkeit zuständig – den originären grünen Tätigkeitsfeldern. Die Wiederwahl dürfte also gesichert sein!

Dumm nur, dass die Ratssitzung mit den Fragen des Netzwerks zu der gescheiterten Ansiedlung von Ecosoil in Gerthe starten wird. Hierzu hat Dr. Markus Bradtke stets offensiv vertreten, Ecosoil habe trotz Alleinzuständigkeit der Bezirksregierung Arnsberg für die Betriebsgenehmigung einen Anspruch auf einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid der Stadt. Mittlerweile hat die Stadt den Vorbescheid zurückgenommen. Welche Kosten hat die Stadt nach Rücknahme zu tragen? Die Betriebsgenehmigung hat Arnsberg abgelehnt, weil die verkehrliche Erschließung nicht gesichert ist. Hat das Rechtsamt geprüft, ob der Stadt Schadensersatzansprüche drohen? Die Antworten auf die Fragen dürften auch die Oppositionsparteien im Rat interessieren.

Ob die Wiederwahl wie die Erstwahl einstimmig erfolgen wird? In Witten, von wo Dr. Markus Bradtke 2015 in seine Heimatstadt wechselte, hatten bei seiner dortigen Wiederwahl ein Jahr vorher 14 von 60 Ratsmitgliedern in geheimer Abstimmung gegen ihn gestimmt. Aber in Bochum hat er ja vielleicht Heimvorteil.

Grund zum Feiern werden auf jeden Fall die Investoren haben, die in Bochum nach dem 2017 verabschiedeten „Handlungskonzept Wohnen“ jährlich 800 Wohnungen bevorzugt auf umwelt- und klimarelevanten Freiflächen bauen dürfen. Hat der Stadtbaurat doch bei der Debatte im Planungsausschuss um eine Verdichtung der Bebauung an der Schloßstraße und um den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz noch persönlich eingegriffen: Er sei froh, überhaupt Investoren zu finden.

Die zahlreichen Bürgerinitiativen, die seit Jahren versuchen, dem 2019 vom Rat ausgerufenen „Klimanotstand“ in Bauleitplanverfahren ausreichende Beachtung zu verschaffen, dürften die Begeisterung der Investoren hingegen nicht teilen. Bauen und Klima werden in Bochum weiterhin kontrovers gesehen und nicht gemeinsam gedacht. Der vom Netzwerk unter Verweis auf die Praxis anderer Kommunen im Vorfeld von Bauleitplanverfahren geforderte Klimacheck ist immer noch nicht in Aufstellung. Das Ergebnis: Kaltluftbereiche, Frischluftzufuhr und wertvoller Boden werden für teuren Wohnraum und Ein- bzw. Zwei-Familien-Häuser geopfert und Am Ruhrort soll ein natürliches Regenauffangbecken zugeschüttet werden.

Bei Amtsantritt 2015 hat Dr. Markus Bradtke noch erklärt: „Jeder Mensch, der in Bochum wohnen möchte, sollte ein Angebot vorfinden, dass ihm oder ihr gefällt. Das kann ein Eigenheim sein oder eine geförderte Mietwohnung.“ Also bezahlbarer Wohnraum für Alle – das klang doch gut!

Die Realität sieht heute so aus: In Bochum fehlt insbesondere preiswerter Wohnraum – und der entsteht nun mal nicht mit Investoren-Konzepten auf der grünen Wiese. Bis 2032 werden weitere Abgänge von ca. 4.500 geförderten Wohneinheiten prognostiziert. Es müssten also jährlich 450 geförderte Wohnungen neu geschaffen werden, um allein eine Kompensation zu erreichen.

Aufgabe des alten und neuen Stadtbaurats muss es also sein, bei der aktuellen Fortschreibung des „Handlungskonzepts Wohnen“ den preisgebundenen Wohnraum in den Fokus zu nehmen. Bereits heute haben rund 50 Prozent der Bochumer Bevölkerung Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Der Anteil preisgebundener Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand liegt in Bochum allerdings nur noch bei 6,2 Prozent.

Aber auch in anderen Bereichen sollte sich Dr. Markus Bradtke auf seine Zielvorgaben bei seinem Amtsantritt 2015 besinnen. Damals hat er nämlich auch als ihm wichtig benannt, Stadtentwicklung „im Dialog zu betreiben.“ Entscheidungen müssten transparent sein. „Die Menschen müssen verstehen, was wir tun.“ Die Lokalpresse titelte dann auch gleich: Bochums neuer Baurat sucht den Dialog mit den Bürgern!

Anfang 2019 starteten dann tatsächlich Gespräche mit dem Netzwerk sowie mehreren Initiativen. Und Bochum schaute „über den Tellerrand“: Mitte 2019 wurde u.a. Dirk Lahmann von der Stabsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Bonn zu einem Stadtgespräch im Kunstmuseum eingeladen. Dieser stellte das vom Bonner Rat durch Leitlinien abgesicherte Beteiligungskonzept mit Bürgerbeirat vor. Nicht nur das Netzwerk sah sich auf einem guten Weg hin zu echter Bürgerbeteiligung für Bochum. Schließlich waren doch auch für das Bauvorhaben „Gerthe-West“ gerade erst im Begleitgremium eine Vertreterin der örtlichen Initiativen gesetzt und vier Gerther Bürger*innen zugelost worden.

Doch dann kam Corona – und Dialog und Beteiligung blieben auf der Stecke. Der Ruf nach Transparenz und die Forderung nach Dialog auf Augenhöhe wurden nun als persönliche Angriffe auf den Stadtbaurat oder seine Mitarbeiter*innen abqualifiziert. Nach Kritik seitens des Netzwerks am Prozess für eine „Global Nachhaltige Kommune“ setzte Dr. Markus Bradtke die 2019 aufgenommenen Gespräche mit dem Netzwerk im September 2022 aus. Er hat sie bis heute nicht wieder aufgenommen. Dabei hat gerade dieser Prozess nach anfänglich unterschiedlichen Vorstellungen über das, was Bürgerbeteiligung ausmachen soll, zu einem Dialog zwischen Verwaltung und Bürgerschaft auf Augenhöhe geführt. Das Ergebnis waren gemeinsam entwickelte Ziele und Maßnahmen zur Nachhaltigkeit.

Statt Gespräche gibt es heute Auseinandersetzungen darüber, ob bürgerschaftliche Fragen und Anregungen im Rat überhaupt zugelassen werden. Die Frage, wie Bürgerbeteiligung in Bochum aussehen soll, wird nicht gemeinsam erörtert, sondern zunächst in der Verwaltung nichtöffentlich diskutiert.

Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke sollte jetzt den Reset-Knopf drücken. Er sollte seine Wiederwahl für einen Neuanfang in Bochum nutzen, den Dialog mit der Bürgerschaft wieder aufnehmen und Verwaltungshandeln ab sofort für die Bochumer*innen transparent machen. Das Netzwerk würde seinen Teil zu einem Neustart beitragen.«