Donnerstag 13.04.23, 14:36 Uhr
Rassismus in der Polizei und die Rolle der Justiz

Oury Jalloh – Mord in Zelle Nr. 5. 1


Am Donnerstag, dem 20. April um 18 Uhr lädt das Fritz Bauer Forum zu einem Vortrag von Gabriele Heinecke (Foto) über „Rassismus in der Polizei und die Rolle der Justiz“ im Q1 – Eins im Quartier, Halbachstr. 1 ein. Der Mord an Oury Jalloh wird beispielhaft dargestellt: »Es ist Freitag, der 7. Januar 2005 gegen acht Uhr morgens und es ist kalt. Oury Jalloh aus Sierra Leone hat Liebeskummer. Der junge Mann von dunkler Hautfarbe läuft betrunken auf den Straßen Dessaus herum und trifft auf vier Ein-Euro-Jobberinnen, die Müll aufsammeln. Er bittet sie, ein Mobiltelefon benutzen zu dürfen, weil er „Tina“ anrufen will und soll am Rucksack einer der Frauen gezogen haben. Die fühlen sich belästigt und rufen die Polizei.

Als zwei Beamte vor Ort erscheinen, steht Oury Jalloh in einiger Entfernung an eine Hauswand gelehnt, die Situation ist entspannt. Sie eskaliert, nachdem die Beamten den Ausweis von Oury Jalloh verlangen. Es kommt zum verbalen Streit und zu Handgreiflichkeiten. Irgendwann liegt Jalloh bäuchlings auf dem Boden, schreit, wird gefesselt, in den Funkstreifenwagen geschleppt und zum Revier gefahren. Vier Stunden später findet man die an Händen und Füssen angekettete Leiche von Oury Jalloh verkocht und verkohlt in der Gewahrsamszelle Nr. 5.

Wenige Stunden nach Feststellung des Todes geht das Gerücht, Jalloh habe sich selbst angezündet. Wie, weiß man nicht. Die Zelle ist gefliest, was kann da überhaupt brennen? Drei Tage nach dem Brand auf einmal die Entdeckung: In einem Beutel mit Brandschutt wird ein verschmorter Feuerzeugrest gefunden. Der war den Brandermittlern in der Zelle nicht aufgefallen, obwohl sie jeden Zentimeter mit den Händen durchsucht hatten.

Noch im Jahr 2005 wurde Anklage gegen einen der festnehmenden Beamten und den Dienstgruppenleiter des Polizeireviers erhoben. Das Landgericht sprach 2008 die beiden Polizisten frei. Doch das Urteil wurde im Jahr 2010 vom Bundesgerichtshof aufgehoben und zu neuer Verhandlung an das Landgericht Magdeburg verwiesen. Nach zweijähriger Verhandlung wurde im Jahr 2012 der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil die Überwachung des in der Zelle gefesselten Oury Jalloh unzureichend gewesen sei und es ihm darum möglich gewesen sei, mit einem in seiner Kleidung versteckten Feuerzeug selbst Feuer zu legen. Die Revision gegen dieses Urteil wurde 2014 vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Das im Auftrag der Familie des Oury Jalloh Anfang 2019 mit dem Verdacht des Mordes durchgeführte Klageerzwingungsverfahren gegen zwei weitere Polizeibeamte wurde Ende 2019 vom Oberlandesgericht Naumburg abgelehnt. Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde Ende 2022 nicht zur Entscheidung angenommen.

Von der Nebenklage wurde anhand objektiver Beweise herausgearbeitet, dass Polizei und Staatsanwaltschaft nie ergebnisoffen ermittelt haben, sondern von Beginn an das Ziel verfolgt wurde, durch die Gerichte feststellen zu lassen, dass Oury Jalloh selbst und nicht dritte Personen – Polizeibeamte – den Brand gelegt haben. RAin Gabriele Heinecke berichtet darüber, wie die Polizei nach dem Brand eine Zeugenbetreuung organisierte, wie wichtige Beweismittel verschwanden, Videoaufnahmen der Kriminaltechnik an entscheidenden Stellen abbrechen, tatsächlich nie stattgefundene Stromausfälle die Beweissicherung behindert haben und – quasi aus dem Nichts – ein Feuerzeug auftauchte, das Werkzeug für die Selbsttötung gewesen sein soll.

Gabriele Heinecke ist Fachanwältin für Strafrecht in Hamburg. Sie hat Jura in Göttingen, Freiburg und München studiert und ist Mitglied im erweiterten Bundesvorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V.

Seit Jahrzehnten vertritt sie Akteure antifaschistischer, politischer Kunst im Spannungsfeld von Verwaltungsrecht, Verfassungsrecht und Strafrecht und erwirkte in diesem Zusammenhang grundlegende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes („Anachronistischer Zug“, „Herrnburger Bericht“). Sie verteidigte den langjährigen DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph im sog. „Politbüroprozess (1991/92)“; den des 10-fachen Mordes angeklagten Safwan Eid im Lübecker Prozess zum Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim (1996 – 1999); im Klageerzwingungsverfahren die Eltern des ersten Todesopfers eines gewaltsamen Brechmitteleinsatzes in Hamburg, Achidi John (2001); sie ist im Entschädigungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland an der Vertretung von Überlebenden des von SS-Angehörigen am 10. Juni 1944 in Distomo/ Griechenland begangenen Massakers beteiligt und ist Mitglied im AK Distomo, der bundesweit die sofortige Entschädigung aller griechischen NS-Opfer fordert. Sie vertrat Überlebende und Angehörige in dem Prozess gegen den ehemaligen Kompaniechef der Wehrmacht, Josef Scheungraber, vor dem Landgericht München I wegen des Massakers in dem toskanischen Dorf Falzano di Cortona im Juni 1944 (2008 – 2010. Sie sie vertrat auch den damals 10-jährigen Enrico Pieri wegen des am 12. August 1944 in Santa Anna di Stazzema/ Italien von deutschen SS-Einheiten begangenen Massakers erfolgreich in dem Klageerzwingungsverfahren gegen den damaligen Kompanieführer Gerhard Sommer (in der Zeit von 2005 – 2015). Seit 2016 ist sie Ehrenbürgerin der italienischen Gemeinde Stazzema/ Lucca.

Sie verteidigte in dem „ersten Piratenprozess seit 400 Jahren“ vor dem Hamburger Landgericht einen von 10 jungen Somaliern, die angeklagt waren, ein deutsches Containerschiff im Indischen Ozean überfallen zu haben (2010 – 2012).

Während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg war sie Pressesprecherin des Anwaltlichen Notdienstes des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein e.V. (RAV) und verteidigte 2017/ 2018 den 18-jährigen Italiener Fabio V. u.a. gegen den Vorwurf des besonders schweren Landfriedensbruchs, der gegen ihn wegen seiner bloßen Anwesenheit bei einer Anti-G20-Demonstration im Rondenbarg erhoben wurde. 2018 bis 2020 verteidigte sie im sog. „G-20-Elbchaussee-Verfahren“.«
Der Eintritt ist frei, Spenden sind erwünscht.
Die Bildrechte des Fotos gehören: Fritz Bauer Forum/ BUXUS STIFTUNG.


Ein Gedanke zu “Oury Jalloh – Mord in Zelle Nr. 5.

  • Inge Bartke-Anders

    Danke für diese Informationen zu RA Gabriele Heinicke.
    Ich lebte bis Ende 2015 in Berlin und erinnere mich gut an die für mich ersten Informationen zu Oury Jallohs Ermordung im Anschluss an eine Veranstaltung der „Liga f. Menschenrechte “ wohl 2006 in der Berliner Kongresshalle. Seither verfolge ich Berichte zum Vorgehen der Dessauer Unterstützer, habe diese auch ein wenig fin. unterstützt. Immer wieder war ich entsetzt über die formalen Ablehnungen der örtlichen und der deutschen Gerichte und bin sehr, sehr dankbar, dass nicht nachgelassen wure und wird, die Wahrheit über den Mord deutsche Gefängnisangestellter an’s Licht zu bringen. Daher bitte ich Sie auch, meinen Dank an Frau Heinicke weiterzuleiten. Lassen Sie mich eine aktuelle Konto-Nr. der Initiative wissen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Inge Bartke-Anders.

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