Donnerstag 30.03.23, 18:53 Uhr
Rede von Heike Schick am 30. 4. 23 vor dem Bochumer Rathaus

Zukunftsfähige Wohnkonzepte oder phantasieloses ‚Weiter So‘!


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Bochumer Ratsmitglieder,

ich bin Heike Schick, Mitglied in der Bürgerinitiative Am Ruhrort und im Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung. Ich spreche für alle Initiativen, die diese Eingabe eingebracht haben. 

Vor wenigen Tagen veröffentlichte der Weltklimarat den neuen IPCC-Bericht.

Deutlich wie nie zuvor wird vor dem Klimawandel gewarnt und drastische Maßnahmen werden gefordert. Die 1,5-Grad-Grenze wird schon im nächsten Jahrzehnt überschritten werden.

UN-Generalsekretär António Guterres warnt „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“. 

Stellen Sie sich bitte mal vor: Sie, verehrte Damen und Herren, sitzen am Steuer eines Autos und fahren auf einen Abgrund zu, Sie können den Abgrund schon sehen. Und – jetzt frage ich Sie: wann treten Sie auf die Bremse?

Spätestens seit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal, bei der über 180 Menschen ums Leben gekommen sind, wissen wir, dass der Klimawandel auch bei uns angekommen ist.

In Bochum gab es im Sommer 2021 mit dem Hochwasser Am Ruhrort einen Vorgeschmack auf künftige Entwicklungen.

Viele Bochumer Bürger:innen engagieren sich für eine klimaresiliente Stadt und sie haben gute Ideen und das entsprechende Wissen. So haben Menschen aus Dahlhausen bereits in zahlreichen Stellungnahmen auf die Hochwasserproblematik hingewiesen und wurden nicht gehört.

In Wattenscheid wird die Bebauung des Wilhelm-Leithe-Weg Nord und Süd beste Ackerböden vernichten und Frischluftschneisen reduzieren, in Gerthe ist mit der Bebauung ‚Wohnen Am Hillerberg‘ und der neuen Pflegeschule der endgültige Verkehrsinfarkt vorprogrammiert, usw. usw. .. Menschen vor Ort denken mit, ihre Einwände aber finden entschieden zu wenig Berücksichtigung. Bauen hat in Bochum immer noch Vorrang vor Klima- und Umweltschutz.

Im vergangenen Jahr haben unter Beteiligung von Politik, Verwaltung und vielen engagierten Bürger*innen wichtige Debatten stattgefunden. Ziel war es, gemeinsam einen Klimaplan und Maßnahmen zu erarbeiten, die Bochum zu einer Global Nachhaltigen Kommune machen. Das Abschlusspapier steht im Laufe dieses Jahres hier im Rat zur Verabschiedung an und soll die Nachhaltigkeitsstrategie für Bochum verbindlich festschreiben. Dazu gehören Vorgaben für Nachhaltiges Bauen genauso wie ein Nachhaltiger Umbau der Verwaltung, die systematische Einbeziehung der Bürger*innen oder soziale Gerechtigkeit. In einem intensiven und beeindruckenden fachlichen Austausch wurde sich auf sehr konkrete Maßnahmen verständigt, die Bochum für Alle schöner und lebenswerter macht, klimaneutral und gut für die Zukunft aufstellt.  

Wir wollen, dass diese guten Arbeitsergebnisse ab sofort die künftige Planung bestimmen. Es gibt keinen guten Grund, bei den laufenden Bauvorhaben darauf zu verzichten.

Deshalb unsere Eingabe: auf alle Verfahren, die sich im Bebauungsplanverfahren befinden, müssen diese Maßnahmen Anwendung finden.                    

Das Gremium, das die Überprüfung des Handlungskonzepts Wohnen begleitet, hat das Treffen um fast zwei Monate verschoben, weil die aktuellen Zahlen und Prognosen noch nicht vorliegen. Zu recht: mit veralteten Daten zu arbeiten, ist einfach komplett sinnfrei. Die Überprüfung ist Teil des Koalitionsvertrags und stand schon für 2022 an – die Ergebnisse sollen jetzt Ende des Jahres vorliegen. Bislang ist die Vorgabe, 800 Wohnungen pro Jahr neu zu bauen, und 200 davon zu fördern. Doch bis heute ist völlig offen, ob nach der Überprüfung immer noch der Neubau auf wertvollen Freiflächen verlangt wird oder die Aktivierung im Bestand Vorrang bekommt.

In Zeiten von Artensterben und Klimawandel werden in Deutschland 600.000 Quadratmeter jeden einzelnen Tag versiegelt.

Auch der Bund steuert entschieden um: in der Bundespressekonferenz am 20.02.2023 wurden vom Präsidenten des Umweltbundesamtes Dirk Messner sowie dem Leiter der Kommission Nachhaltiges Bauen Dr. Matthias Lerm gemeinsam mit Bundesbauministerin Klara Geywitz und Bundesumweltministerin Steffi Lemke „Empfehlungen für einen nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau“ vorgestellt. Klare Maßgabe: Neubedarf soll in erster Linie im Bestand erfolgen. Die Ministerinnen haben erklärt, die Aufgaben gemeinsam angehen zu wollen und damit das eindeutige Signal gesendet, Wohnraumschaffung und Klimaschutz ab sofort gemeinsam zu denken – incl. entsprechender Fördermittel für preisgebundene Wohnungen.

Das ist eine gute Nachricht: 

denn in Bochum geht Jahr für Jahr weiterer preisgebundener Wohnraum verloren. Und jedes Jahr mehr, als neu geschaffen wird! Mit der geltenden 20%-Quote wird das auch künftig so bleiben. Wir sollten also damit rechnen, dass das künftige Handlungskonzept Wohnen die bisherige Quote für preisgebundene Wohnungen erheblich anheben wird.

Es kann nicht sein, dass Sie sich mit einem Bestand von 6,2% Sozialwohnungen abfinden, wenn 50% der Bochumer Haushalte ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Nur zur Erinnerung: in Wien gibt es 62% (!) geförderte Wohnungen – warum? 

Weil die Politik es so gewollt hat!

Werden die anstehenden Bebauungsplanverfahren aber vor Inkrafttreten eines aktualisierten Handlungskonzepts weiter betrieben, besteht die Gefahr, dass klimatisch und ökologisch wertvolle Flächen endgültig verloren gehen und dort – wie auch auf bereits vorgenutzten Flächen – weiter nur 20 Prozent geförderter Wohnraum entstehen. Der Mangel an preiswertem Wohnraum würde in Bochum noch weiter ansteigen. 

Wir bestreiten nicht, dass gebaut werden muss – die entscheidende Frage ist aber: was muss gebaut werden? Die Modernisierung des Gebäudebestands ist die Lösung und nicht die Vorhaben auf der grünen Wiese, die die letzten wertvollen Grünräume in unserer ohnehin über die Maßen versiegelten Stadt vernichten. Und genau das wird dazu führen, dass Investoren Bochum schätzen lernen: als Kommune mit attraktiven zukunftsfähigen Wohnkonzepten und nicht phantasielosem ‚Weiter So‘!

Die mutiplen Krisen sowie der Arbeitskräftemangel haben das Bauen sehr teuer gemacht. Deshalb und aus Gründen der Nachhaltigkeit muss es um die Sanierung des Bestandes, um Aufstockungen, Nachverdichtungen und Umnutzung gehen.

Auch deshalb täte die Verwaltung gut daran, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, im Interesse von Investoren solle jetzt „Baurecht auf Abruf“ geschaffen werden. Vonovia und LEG haben nämlich ebenso wie die VBW und der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum angekündigt, wegen steigender Baukosten, Mangel an Baumaterial, hoher Zinsen und unsicherer Förderbedingungen in diesem Jahr keine Neubau-Projekte mehr starten zu wollen. Die Vorhaben sollen aber noch baureif gemacht werden, um startklar zu sein, wenn die Rahmenbedingungen wieder passen. Es gibt indes keinen Anspruch auf „Baurecht auf Abruf“!

Aus unserer Sicht verbietet es sich heute, bei den in Bochum laufenden Verfahren schnell noch Fakten zu schaffen. Ist nämlich erst mal Baurecht beschlossen, geht auch ein aktualisiertes Handlungskonzept ins Leere. Und die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsstrategie könnten dann ebenfalls nicht auf all diese Bauvorhaben angewendet werden. 

Das sehen wir als eindeutig verpasste Chance, nachhaltiges Bauen und Wohnen und damit Klima- und Naturschutz in Bochum konkret umzusetzen. Im wahrsten Sinne des Wortes droht sich Bochum die Zukunft zu verbauen.

Und dennoch: die Verwaltung hat sogar die Behandlung dieser Eingabe im Rat abgelehnt.

Unsere Empfehlung bleibt:

Verpflichten Sie die Verwaltung darauf, mit der in Kürze aktualisierten Faktenlage zu arbeiten, die zukunftsfähiges Planen erst möglich macht.

Verlangen Sie für die Dauer der Überprüfung des „Handlungskonzepts Wohnen“ und bis zur Fertigstellung der „Nachhaltigkeitsstrategie“, laufende Bebauungsplanverfahren für Wohnungsneubau in den städtischen Gremien auszusetzen.