Sonntag 26.03.23, 12:36 Uhr
Rede von Uli Borchers, Bündnis gegen Rechts, am 26. März 2023 auf der Gedenkveranstaltung der VVN-BdA an die Opfer im Kampf gegen den rechten Kapp-Lüttwitz-Putsch

Kapp-Putsch-Erinnerung


Danke erst einmal für die Einladung zum heutigen Gedenktag. Mein Name ist Uli Borchers, ich arbeite mit im „Bündnis gegen Rechts“. 103 Jahre sind seit dem Kapp-Putsch vergangen: Welches sind die historischen Fakten? Welche Bedeutung hat dieses geschichtliche Ereignis für uns heute? Zu diesen Fragen werde ich heute sprechen!

In Weimar tagte 1919 die deutsche Nationalversammlung, verabschiedete eine Verfassung für die neue Republik, die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland.

In der Verfassung wurde die Versammlungsfreiheit garantiert und die Wahlfreiheit, das Recht an Wahlen teilzunehmen für Frauen und Männer gleichberechtigt festgelegt, gegenüber den in der Monarchie geltenden Rechten ein Fortschritt.

Für die revolutionäre Arbeiterbewegung war diese Verfassung und die parlamentarische Demokratie eine „Niederlage“, waren ihre Ziele doch viel weitergehender: Der Sturz der Monarchie sollte weitergetrieben werden zur Räterepublik und zur sozialistischen Umwälzung.

Schon „im März 1920 holten die Kräfte der Gegenrevolution zu ihrem ersten (!) großen Schlag gegen die junge, noch ungefestigte Republik aus“ (Heinrich Hannover/1).

Unmittelbarer Anlass für den Kapp-Putsch war die von der Reichsregierung veranlasste Forderung nach Auflösung der „Freikorps“.

Die Interalliierte Militär-Kontroll-Kommision verlangte dies auf der Grundlage der im Versailler Vertrag festgelegten Verkleinerung des Berufsheeres auf 100.000 Mann.

General von Lüttwitz, Oberbefehlshaber der Freikorps, weigerte sich, die Freikorps, namentlich die Marinebrigaden Ehrhardt und Löwenfeld, aufzulösen.

Er und der Generallandschaftsdirektor Kapp stellten stattdessen ein Ultimatum an die damalige Reichsregierung

  • den Reichstag aufzulösen
  • Neuwahlen durchzuführen
  • auf weitere Auflösung von Truppenteilen zu verzichten.

Die Reichsregierung lehnte das Ultimatum ab, in der Folge marschierte die Marine-Brigade Ehrhardt in Berlin ein.

Die Reichsregierung hatte wenige Stunden vor dem Einmarsch Berlin verlassen, nachdem die Reichswehrführung (von Seekt) sich geweigert hatte, ihr Schutz zu gewähren („Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“).

Kapp ernannte sich selbst zum Reichskanzler, die Nationalversammlung wurde aufgelöst, der Reichspräsident abgesetzt.

General Lüttwitz wurde Reichswehrminister.

Noch am 13. März riefen die sozialdemokratischen Reichsminister, der Reichspräsident, alle Gewerkschaften, MSPD und USPD zum Generalstreik auf.

Der Generalstreik war so gründlich und umfassend, dass die Putschisten nach 4 Tagen ihren Plan aufgeben mussten.

Der Versuch, die Monarchie wiederherzustellen oder eine Militärdiktatur zu errichten, war am Widerstand der Bevölkerung, vor allem am Widerstand der Arbeiterbewegung gescheitert.

Der Generalstreik hatte die Republik gerettet.
In Westfalen, im Rheinland und im Ruhrgebiet wurden von bewaffneten Arbeiterverbänden aus dem Kapp-Putsch Schlussfolgerungen gezogen.

Mit der Errichtung einer Räteherrschaft sollte dafür gesorgt werden, für die Zukunft gewappnet zu sein gegen die Diktatur-Gefahr, gegen Putschversuche von Rechts etc.

„Enttäuscht waren (außerdem) viele Arbeiter, weil es die Sozialdemokraten an der Macht unterlassen hatten, ihre sozialistischen, programmatischen Ziele politisch umzusetzen“ (Grevelshölster/2).

Große Erbitterung bestand in der Arbeiterbewegung auch darüber, dass die SPD-geführte Reichsregierung im Frühjahr 1919 mit Hilfe der reaktionären Freikorps dazu übergegangen war, alle sozialistischen Ansätze in regionalen Räterepubliken z.B.München, gewaltsam zu unterdrücken.

Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet bildete sich aus bewaffneten Arbeitermilizen die „Rote Ruhrarmee“.

Diese begann Reichswehr- und Freikorpstruppen zu vertreiben und Teile des Ruhrgebiets unter ihre politische Kontrolle zu bringen.

Bewaffnete Arbeiterverbände und lokale Rätestrukturen konnte die Reichsregierung nicht dulden, setzte Reichswehr und Freikorps ein gegen die „Rote Ruhrarmee“.

Diese waren militärisch überlegen, die „Rote Ruhrarmee“ wurde zerschlagen.

„Reichswehr und Freikorps erschossen und erschlugen was ihnen in den Weg kam. Bis Ende April gab es mehr als 3000 Tote“. (Georg Fülbert/3).

Dies ist die bittere Erkenntnis aus den Ereignissen von Kapp-Putsch und „Roter Ruhrarmee“:

Zu den Gewinnern in dieser Phase der Weimarer Republik gehörte das Militär, alle monarchistischen Organisationen und Parteien und vor allem diejenigen, deren ökonomische Machtgrundlagen nicht angetastet wurden und die eine starke Arbeiterbewegung mit eigenständigen Zielen bekämpften.

Die SPD-geführte Reichsregierung sicherte sich ihre Macht durch den Einsatz von Reichswehr und Freikorps.

Freikorps, die gerade noch am Kapp-Putsch beteiligt waren, waren nun Regierungstruppen.

Freikorps, die in Braunschweig und 1919 in München mit äußerster Brutalität Räteregierungen niedergeworfen hatten, marschierten „im Namen der gesetzmäßigen Regierung gegen die Arbeiter, gegen die sie im Namen der Kapp-Regierung Krieg geführt haben“ (E.J.Gumbel/4).

Gustav Noskes „Schießerlass“ vom März 1919 war die Initialzündung für die massenhafte Gewalt von Regierungstruppen (!) und Freikorps: Ohne Vorwarnung konnte auf Demonstranten und Zivilisten geschossen werden. Auch nach der Aufhebung des „Erlasses“ handelten Freikorps danach. Bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik im Mai 1919 wurden Hunderte von Zivilisten erschossen.

Wenn die Reichsregierung den Freikorps freie Hand beim Morden lässt, kriegt sie ein Problem.

Wie sollen juristische Verfolgung und Anklagen dann begründet werden?

Folgerichtig gab es deshalb auch nur eine geringe Anzahl von Anklagen gegen verantwortliche Führer, die am Kapp-Putsch beteiligt waren.

Nur als Beispiel genannt sei Waldemar Pabst.

Angeklagt aber nicht verurteilt, er flüchtete rechtzeitig nach Österreich.

Beteiligt war er an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik und verantwortlich für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Ein Leben lang ein Faschist, konnte er auch nach 1945 im Zivilleben Karriere machen: bei Rheinmetall in Düsseldorf im Rüstungsgeschäft.

Mit dem Amnestie-Gesetz vom August 1920 wurden dann auch alle anderen am Kapp-Putsch Beteiligten straffrei gestellt.

Mir ist heute noch unbegreiflich, wie die damalige Regierung so etwas entscheiden und beschließen konnte.

Hat sie die Folgen nicht bedacht?:

Alle rechten Verbände, Monarchisten, Freikorps und Geheimbünde konnten jubeln und ihre Pläne zur Zerstörung der Republik fortsetzen.

Verlierer, Betrogene, „Verratene“ waren in dieser Auseinandersetzung die kämpfenden ArbeiterInnen und ihre Familien im Ruhrgebiet.

Sie waren im März 1920 in den Generalstreik getreten,
hatten die Demokratie verteidigt und gerettet
und wurden nun im April von denjenigen verfolgt, gejagt, getötet,
gegen die sich ihr erfolgreicher Generalstreik gerichtet hatte,
angeordnet von eben dieser SPD-geführten Reichsregierung,
gegen die geputscht worden war.

Gedenktage wie diese? Bedeutung für heute?

Ja und unbedingt.

Im „Bündnis gegen Rechts“ gehört es zum Grundverständnis, die „Erinnerungskultur“ politisch zu gestalten.

Wir unterstützen und sind beteiligt an den Veranstaltungen
– am 27. Januar: dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz
– am 8. Mai: dem Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus
– am 9. November: der Erinnerung an die „Reichspogromnacht“.

Das „Bündnis gegen Rechts“ hat eine interaktive Karte mit über 180 Standorten von Zwangsarbeiterlagern in Bochum erarbeitet.

Wir sind stark engagiert in der Entwicklung einer Gedenkstätte im ehemaligen Zwangsarbeiterlager „Bergener Straße“.

Wir benennen die Verbrechen der faschistischen Diktatur, wir nennen ihre Unterstützer, die Täter, das Erleben und das Schicksal der Opfer, wir dokumentieren alle Formen des Widerstandes gegen den Faschismus.

Im Jahr 2023 und auf absehbare Zeit besteht für Deutschland nicht die Gefahr einer faschistischen Diktatur.

Aber der organisierte und der individuelle militante Rechtsextremismus, der ist gegenwärtig.

Mehr als 200 Frauen und Männer sind allein nach 1990 in Deutschland durch militante Rechtsextreme ermordet worden.

Hanau, Halle, Solingen, Hünxe, Mölln sind die Namen der Städte, in denen Menschen durch rechte Gewalt getötet wurden oder durch Brandanschläge ihr Leben verloren.

10 Morde wurden durch den sog. „Nationalsozialistischen Untergrund-NSU“ verübt.

Banküberfälle und die Anschläge von 2001 in der Probsteigasse und von 2004 in der Kölner Keupstraße sind dem „NSU“ ebenfalls zuzurechnen.

Gundolf Köhler, Mitglied der rechten „Wehrsportgruppe Hoffmann“, war verantwortlich für den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980.

13 Menschen wurden dort getötet, mehr als 200 verletzt.

Die AfD ist der parlamentarische Arm dieser militanten Rechtsextremen.

Sie ist eine rassistische, eine rechtsextreme Partei.

Björn Höcke darf – gerichtlich bestätigt -„Faschist“ genannt werden.

Gerade haben Dortmunder Neonazis das besetzte Haus in der Haldenstraße attackiert und die BewohnerInnen angegriffen.
Gegenwehr und Widerstand kommt aus unseren zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, jetzt und auch in Zukunft.

——————————————————————————————

Quellen:

1 / Heinrich Hannover, Politische Justiz 1918-1933, S.76, Fischer Bücherei Frankfurt 1966

2 / Ludger Grevelhörster. Kleine Geschichte der Weimarer Republik, S. 64 Aschendorf Verlag Münster 2000

3 / Georg Fülberth, Die wilden Zwanziger, S.74-75, Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbeck 1988

4 / Emil Julius Gumbel, Verschwörer, S. 59-60, Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt 1984