Donnerstag 23.03.23, 21:58 Uhr
Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung:

Bebauungsplanverfahren in städtischen Gremien vorerst stoppen


Für das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung erklärt Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt zu den Bürgerversammlungen zu „Gerthe-West“, „Holbeinstr./Kaulbachstr.“ und „Hüttenstraße/An der Landwehr-West“ und „-Ost“ sowie weiteren aktuellen Aktivitäten des Bochumer Planungsamts zum Wohnungsneubau: »Zurzeit sind verstärkte Planungsaktivitäten der Bochumer Bauverwaltung zum Wohnungsneubau – überwiegend auf bisher unversiegelten Flächen – feststellbar: Los ging es im Februar mit der öffentlichen Auslegung von Planunterlagen für das Bauvorhaben „Wilhelm-Leithe-Weg Süd“ in Wattenscheid.

Am 07.03.2023 hat der Planungsausschuss die öffentliche Auslegung zum B-Plan „Schloßstraße“ beschlossen. Abends fand zudem eine Bürgerversammlung zum Vonovia-Bauvorhaben an der „Holbeinstraße/ Kaulbachstraße“ in Weitmar statt. Für den 08.03.2023 war zur Bürgerversammlung zum „Wohnen am Hillerberg“ – besser bekannt unter „Gerthe-West“ – geladen. Am 13.03.2023 wurden Bürgerversammlungen zu „Hüttenstraße/An der Landwehr-West“ und „-Ost“ abgehalten. Und am 30.03.2023 soll der Rat für das Bauvorhaben „Dietrich-Benking-Straße“ die erforderliche Änderung des Regionalen Flächennutzungsplans einleiten. Im April steht im Planungsausschuss dann die Aufstellung des B-Plans „Steinhausstraße/ Günnigfelder Straße“ in Wattenscheid an. Für die zweite Jahreshälfte ist bereits die Auslegung der Planunterlagen für „Hinter der Kiste“ in Aussicht gestellt.

Das Netzwerk begrüßt selbstverständlich, dass die unter Covid-19 als Investoren-Messen erscheinende Beteiligungen wie 2020 zur „Charlottenstraße“ und „Schloßstraße“ nun der Vergangenheit angehören. Die Bürgerversammlungen haben eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig den Betroffenen vor Ort der Austausch untereinander und mit der planenden Verwaltung in Präsenzveranstaltungen ist. Das Netzwerk fragt aber auch, ob es sich bei den verstärkten Planungsaktivitäten gerade jetzt um eine gezielte Planungsoffensive handelt.

Aus dem Planungsamt heißt es hierzu: Alles nur Zufall! Die einzelnen Verfahren müssten eben auftragsgemäß abgearbeitet werden. Nach dem 2017 vom Rat beschlossenen „Handlungskonzept Wohnen“ müssten in Bochum schließlich jährlich 800 Wohnungen neu gebaut werden. Nach intensiver Bearbeitung stünden die unterschiedlichen Planungsschritte in den einzelnen Verfahren nun einmal an.

Fakt ist aber, dass für dieses Handlungskonzept zurzeit noch der Prozess der Überprüfung läuft. Ursprünglich sollte dieser bereits Ende 2022 abgeschlossen sein. Nach dem heutigen Stand wird ein aktualisiertes Konzept aber erst im 4. Quartal 2023 zur Abstimmung in die Gremien gehen. Ob danach immer noch der Neubau von 800 Wohnungen im Jahr verlangt wird oder aber Wohnraumaktivierung im Bestand Vorrang hat, wie vom Netzwerk, dem Mieterverein und weiteren 17 Organisationen im Bündnis „Gutes Wohnen für Bochum“ (GuWoBo) mit dem gemeinsamen Positionspapier „Für eine sozial und ökologisch zukunftsorientierte Wohnungspolitik in Bochum“ bereits 2021 gefordert, muss sich erst noch zeigen.

Das GuWoBo-Bündnis steht mit dieser Forderung nicht allein. Die Bündnis-Forderung findet sich auch bei den in der Bundespressekonferenz am 20.02.2023 vom Präsidenten des Umweltumweltamtes Dirk Messner sowie dem Leiter der Kommission Nachhaltiges Bauen Dr. Matthias Lerm gemeinsam mit Bundesbauministerin Klara Geywitz und Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgestellten „Empfehlungen für einen nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau“. Neubedarf solle in erster Linie im Bestand befriedigt werden. Die Ministerinnen wollen die Aufgaben gemeinsam angehen. Damit ist ein eindeutiges Signal gesendet, Wohnraumschaffung und Klimaschutz ab sofort gemeinsam zu denken. Auch Fördermittel für preisgebundene Wohnungen sollen zur Verfügung gestellt werden.

Umso mehr verbietet es sich heute, bei den in Bochum laufenden Verfahren schnell noch Fakten zu schaffen. Ist nämlich erst mal Baurecht beschlossen, geht auch ein aktualisiertes Handlungskonzept ins Leere.

Ein aktualisiertes Konzept muss zum Ziel haben, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen. In Bochum fehlt insbesondere preiswerter Wohnraum und Jahr für Jahr geht weiterer preisgebundener Wohnraum verloren.

Bisher sollten von den nach dem „Handlungskonzept Wohnen“ jährlich 800 neuen Wohneinheiten 200 im geförderten Wohnungsbau entstehen. Auf privaten Flächen, für deren Entwicklung ein Bebauungsplan erforderlich ist, hat der Rat 2017 zudem beschlossen, dass 20 Prozent des entstehenden Wohnraums im geförderten Wohnungsbau entstehen müssen. Hierdurch sollen die aus der Bindung fallenden Wohnungen kompensiert werden. Dieses Ziel ist bisher nicht erreicht worden – und ist mit der beschlossenen Quotierung auch zukünftig nicht erreichbar.

Nach einer Mitteilung des Planungsamtes aus März 2022 (Vorlage 20220614 und Anlage) wurden zwischen 2018 und 2021 diese Ziele immer deutlich verfehlt. Bis 2032 werden hingegen weitere Abgänge von ca. 4.500 WE prognostiziert. Bei einem Prognosezeitraum von ca. 10 Jahren müssten also jährlich 450 geförderte Wohnungen neu geschaffen werden, um eine Kompensation zu erreichen. Und auch das wäre noch lange nicht genug: Denn bereits heute haben rund 50 Prozent der Bochumer Bevölkerung Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Der Anteil preisgebundener Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand liegt in Bochum nach dem Wohnungsmarktbericht 2022 aus November 2022 aber nur noch bei 6,2 Prozent. Der Bericht bestätigt zudem, dass selbst bei jährlich 200 neu geförderten Wohnungen der aktuelle Bestand weiter sinken wird, die angestrebte Kompensation also nicht erreichbar ist.

Bei einer Fortschreibung des Handlungskonzepts müsste die bisher 20-prozentige Quote für preisgebundene Wohnungen deshalb erheblich angehoben werden. Werden die Bebauungsplanverfahren aber vor Inkrafttreten eines an die Verhältnisse des Bochumer Wohnungsmarkts angepassten Handlungskonzepts weiter betrieben, besteht die Gefahr, dass klimatisch und ökologisch wertvolle Flächen endgültig verloren gehen und dort – wie auch auf bereits vorgenutzten Flächen – auch nur 20 Prozent geförderter Wohnraum entstehen. Der Mangel an preiswertem Wohnraum würde weiter ansteigen.

Dass die Ergebnisse des „Klimaplans“, der sich aktuell in der abschließenden Bearbeitung befindet, dann ebenfalls nicht auf all diese Bauvorhaben angewendet werden, sieht das Netzwerk als vertane Chance, nachhaltiges Bauen und Wohnen in Bochum umzusetzen.

Die Verwaltung täte auch gut daran, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, im Interesse von Investoren solle jetzt „Baurecht auf Abruf“ geschaffen werden. Vonovia und LEG haben nämlich ebenso wie die VBW und der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum angekündigt, wegen steigender Baukosten, hoher Zinsen und unsicherer Förderbedingungen in diesem Jahr keine Neubau-Projekte mehr starten zu wollen. Die Vorhaben sollen aber noch baureif gemacht werden, um startklar zu sein, wenn die Rahmenbedingungen wieder passen. Es gibt indes keinen Anspruch auf „Baurecht auf Abruf“!

Das Netzwerk fordert deshalb für die Dauer der Überprüfung des „Handlungskonzepts Wohnen“ und bis zur Fertigstellung des „Klimaplans“, laufenden Bebauungsplanverfahren für Wohnungsneubau in den städtischen Gremien keinen Fortgang zu geben.«