Montag 23.01.23, 14:11 Uhr
Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht und andere Filme

Dokumentarfilmfest im Kino Endstation 1


FRITZ BAUERS ERBE - Offizieller Trailer

In dieser Woche dreht sich im Kino Endstation alles um den Dokumentarfilm. Das Kino schreibt dazu: »ab Freitag, den 27.01. ist der internationale Dokumentarfilm im endstation.kino zu Gast. Im Rahmen des NRW-weiten Stranger Than Fiction Dokumentarfilmfestes werden sechs Dokumentarfilme gezeigt, die alle bis auf einen mit Gesprächen begleitet werden. Den Anfang macht  am Freitag, den 27.01. Sönje Storms Film Die toten Vögel sind oben, mit dem sie das Dokumentarfilmfestival Leipzig 2022 gewonnen hat. 350 ausgestopfte Vögel. 3000 Schmetterlinge, Pilze, Käfer. Die Sammlung ist dokumentarisch, obsessiv und poetisch. Ein gewisser Wahnsinn. Die Vielzahl an Objekten, Schmetterlingkästen, Fotografien, über Stunden, wahrscheinlich sogar Monate, mit der Hand koloriert. Wer nimmt sich so viel Zeit, was war in diesem Kopf los? Regisseurin Sönje Storm öffnet in ihrem Film den Nachlass des Bauern Jürgen Friedrich Mahrt (1882-1940), der ihr Urgroßvater war. Im Ersten Weltkrieg wurde er in der Luftaufklärung zum Fotografen ausgebildet.

MY IMAGINARY COUNTRY Trailer

Am Samstag, den 28.01. ist im endstation.kino dann Pablo Guzmáns neuer Dokumentarfilm My Imaginary Country zu sehen. Im Anschluss wird es ein Filmgespräch zur aktuellen Lage in Chile geben. Eines Tages und ohne Vorwarnung, brach eine Revolution aus. Es war das Ereignis, auf das der Dokumentarfilmer Patricio Guzmán sein ganzes Leben lang gewartet hatte: anderthalb Millionen Menschen auf den Straßen von Santiago de Chile, die Gerechtigkeit, Bildung, Gesundheitsversorgung und eine neue Verfassung forderten, welche die strengen Regeln ersetzen sollten, die dem Land während der Militärdiktatur Pinochets auferlegt worden waren. My Imaginary Country zeigt erschütternde Aufnahmen von Protesten an vorderster Front und Interviews mit engagierten Aktivistenführer*innen und stellt auf eindrucksvolle Weise eine Verbindung zwischen der komplizierten und blutigen Geschichte Chiles, den aktuellen revolutionären sozialen Bewegungen und der Wahl eines neuen Präsidenten her.

In Kooperation mit blicke filmfestival aus dem ruhrgebiet zeigt dann das endstation.kino am Sonntag, den 29.01. den Dokumentarfilm Nicht Neues. Regisseur Lennart Hüper ist im Anschluss für ein Gespräch zu Gast. Im Sommer 2018 wird das Seenot Rettungsschiff „Lifeline“ nach tagelangen Versuchen mit über 200 geretteten Geflüchteten an Bord in einem europäischen Hafen anlegen zu können, in Malta festgesetzt, ihr Kapitän Klaus-Peter Reisch vorrübergehen verhaftet. Der Vorwurf lautet, das Schiff sei nicht ordnungsgemäß registriert. Reisch, der auf Kaution freikommt, sieht darin nichts als einen weiteren bürokratischen Akt, Seenotrettungsinitiativen im Mittelmeer grundsätzlich zu verunmöglichen. Das Verfahren geht schleppend voran, während dessen kümmert sich eine rudimentäre Crew um das Schiff, dass den Hafen nicht verlassen darf. Putzpläne aufstellen, Wäsche waschen, kochen, ein bisschen Musik machen zwischendurch. In die nüchterne Beobachtung von Stillstand und langsamer Zermürbung mischt sich ein unheimliches Stakkato von Hilferufen in Not geratener Flüchtlingsbooten im Schiffsfunk. In den Zwischenräumen entsteht ein Bild, das die unerbittliche Realität des europäischen Grenzregimes hinter der bürokratischen Kulisse allzu deutlich werden lässt.

Young Plato (2022) US Theatrical Trailer

In Kooperation mit der GEW Bochum ist dann im Rahmen des Dokumentarfilmfestes am Montag, 30.01. Young Plato zu sehen.  Im Anschluss an die Vorstellung findet ein Filmgespräch statt. Für Mitglieder der GEW ist der Eintritt frei. An der Holy Cross Boys School in North Belfast werden Streitigkeiten auf dem Schulhof am Philosophie-Brett gelöst, wo die Jugendlichen lernen, selbstständig zu denken und zu argumentieren. Schulleiter Kevin McArevey – ein Stoiker, der zu Elvis Presley singt – bringt den Status quo ins Wanken. Indem er Jungen in einer „Post-Konflikt-Zone“ in Philosophie unterrichtet, verändert er die Schule und die Gemeinschaft. Der Film zeichnet den Traum des Schulleiters und seines visionären Teams nach und zeigt, wie kritisches Denken und seelsorgerische Betreuung Kinder befähigen und ermutigen können, über die Grenzen und Beschränkungen ihrer eigenen Gemeinschaft hinauszublicken. Voller Humor wirft der Film ein positives Licht auf das heutige Nordirland und bietet ein Modell für den Aufbau einer Friedenskultur in diesen unruhigen Zeiten.

Ebenfalls im Rahmen des Stranger Than Fiction Dokumentarfilmfestes und in Kooperation mit Amnesty International zeigt das endstation.kino dann am Dienstag, den 31.01.1 um 18.00 Uhr den Film Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht.  Im Anschluss an die Vorstellung findet ein Regiegespräch statt. Der systematische Massenmord in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches fand nicht durch einzelne, wenige Täter statt, sondern nur durch die Unterstützung von tausenden Mittätern. Lange konnte die deutsche Justiz dieser historischen Tatsache nicht gerecht werden. Durch Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wurden bei den Frankfurter Auschwitz Prozessen 1963 zum ersten Mal Angeklagte für Beihilfe zum Mord vor ein deutsches Gericht gebracht. Doch schon damals kam es, trotz umfassender Erkenntnisse, nicht zu einer Prozessflut – im Gegenteil: die Strafverfolgung von NS-Verbrechern nahm sogar ab. Rund 60 Jahre später findet Fritz Bauers Erbe nun Anwendung.
Der Dokumentarfilm Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht zeigt anhand der jüngsten NS-Prozesse wie sich Fritz Bauers Ansatz als neues Prinzip der Rechtsauffassung in Deutschland etablieren konnte. Mit bewegenden und aufrüttelnden Zeitzeugenberichten von Überlebenden, entfaltet der Film eine faszinierende Geschichte darüber, wie die Gerechtigkeit ihren Weg in die deutschen Gerichte fand. Außerdem veranschaulicht er die wegbereitende Bedeutung der heutigen Urteile als Mahnung für die Zukunft.

Ithaka - Official Trailer

Der letzte Film der im Rahmen des Stranger Than Fiction Dokumentarfilmfestes zu sehen sein wird ist dann am Mittwoch, den 01.02. Ithaka von Ben Lawrence. John Shipton ist pensionierter Baumeister, lebt zurückgezogen und rezitiert gerne alte griechische Sagen. Früher war er Antikriegsaktivist, heute kämpft er um seinen Sohn – den berühmtesten politischen Gefangenen der Welt: WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Vorsichtig tritt John ins Rampenlicht der Medien, verteilt Blumen bei Assange-Protesten und begibt sich auf eine Odyssee durch Europa, um unermüdlich ein Netzwerk von Unterstützer*innen aufzubauen. Die Uhr tickt. Denn Julians Gesundheitszustand in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis verschlechtert sich. Die USA möchte, dass er von der britischen Regierung ausgeliefert wird: ihm drohen 175 Jahre Haft. Die Pressefreiheit steht auf dem Spiel – und John droht seinen Sohn für immer zu verlieren. Eine überraschende Doku, produziert von Julian Assanges Bruder, die sich den gängigen Narrativen zu Julian Assange widersetzt.

PETROV'S FLU | Trailer [HD]

Ab Donnerstag, den 26.01. ist außerdem im endstation.kino der russische Speilfilm Petrov’s Flu zu sehen. Anfang der Nuller Jahre, Jekaterinburg, kurz hinter dem Ural gelegen, der geographischen Grenze zwischen Europa und Asien, zwischen West und Ost. Jelzin ist gestürzt, das Land versinkt im Chaos, die Zukunft ist ungewiss. Und Petrov hat die Grippe. In einem Bus beginnt die lose Handlung, kurz darauf ist Petrov, eigentlich Automechaniker, Teil eines Erschießungskommandos. Ein Freund gibt ihm Medikamente, die seinen delirierenden Zustand noch verstärken, zumal es die Nacht vor Silvester ist, die ganze Stadt, das ganze Land, kurz vor dem Durchdrehen steht. Erinnerungen an seine Kindheit, an eine Begegnung mit Väterchen Frost, Musikaufführungen im Kindergarten, verschmelzen mit der Gegenwart.
Währenddessen versucht Petrovs Frau Petrova, eine Bibliothekarin, während einer Lesung für Ordnung zu sorgen. Doch die zunehmend vulgäre Stimmung macht Petrova aggressiv und gewalttätig werden. Zu Hause, in ihrer kleinen Wohnung, wartet derweil Igor auf seine Eltern und freut sich auf das neue Jahr.Mehrere Jahre stand der russische Theater-, Opern-, und Filmregisseur Kirill Serebrennikow unter Hausarrest, vage Vorwürfe der Untreue schränkten seine Freiheit ein, die Gefahr einer Verurteilung und der Lagerhaft hingen in der Luft. Es hilft, mit diesem Wissen Serebrennikows Film Petrov’s Flu zu sehen, die Verfilmung eines Romans von Alexey Salnikovs, eine atemlose, irritierende, delirierende Reise durch die russische Nacht.
Vom ersten Moment an schwebt ein Gefühl der Paranoia, der Bedrohung über den Bildern, die Petrov – und mit ihm der Zuschauer – bald in einen wilden, oft auch wirren Strom aus Gedanken und Erinnerungen ziehen. Bilder aus Petrovs Vergangenheit verwischen sich mit der Gegenwart, kontemplative Momente wechseln ab mit Szenen, in denen der Verfall der staatlichen Ordnung überdeutlich wird.

Aufgrund der großen Nachfrage zeigt das endstation.kino außerdem erneut am 26.01. um 17.45 Uhr in der Reihe Sînemaya Kurdî / Kurdisches Kino den Spielfilm Kobanê . Der Film erzählt die Geschichte des Widerstands von Kobanê gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS), der die Stadt im September 2014 von allen Seiten umstellt hatte. Kobanê wurde weltweit zu einem Symbol der Hoffnung. Der Kampf dauerte 135 Tage. Am 26. Januar 2015 wurde die Befreiung der Stadt verkündet. Die Regisseurin und die Drehbuchautorin haben sich zur Vorbereitung des Films mit Hunderten Zeug*innen und Kämpfer*innen getroffen. Gedreht wurde der Film, der sich insbesondere mit dem Frauenwiderstand auseinandersetzt, in den nordsyrischen Städten Kobanê und Tabqa. Aufgrund der türkischen Angriffe auf das Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien haben sich die Dreharbeiten verzögert, das Filmteam musste während der Invasion im Oktober 2019 aufgelöst werden. Die Besetzung des Films setzt sich hauptsächlich aus Kämpferinnen und Kämpfern der YPG und YPJ zusammen, die sich an der Befreiung der Stadt beteiligten. Der Film ist in Originalsprache (Kurdisch) und mit deutschen Untertiteln.«


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