Dienstag 10.01.23, 06:45 Uhr
Redebeitrag von Fabian Bonberg, Flüchtlingsrat NRW am 9.1.2023 in Bochum:

Untragbare Zustände


Ich möchte mich für die Gelegenheit bedanken, heute hier die Perspektive des Flüchtlingsrats NRW vertreten zu dürfen. Die Organisator:innen des heutigen Protests haben sich eines sehr wichtigen Problems angenommen. Wer derzeit auf die Ausländerbehörden und Einbürgerungsbüros in Nordrhein-Westfalen angewiesen ist, erlebt teilweise untragbare Zustände: Die Behörden sind nicht zu erreichen, Anrufe werden nicht entgegengenommen, Mails nicht oder nur mit langer Verzögerung beantwortet, Termine sind kaum verfügbar, oft erst in vielen Monaten. Auch die Bearbeitungszeiten erstrecken sich mittlerweile nicht mehr nur auf Monate, sondern auf ein Jahr und mehr, und während dieser ganzen Zeit ist für die Antragstellenden der Bearbeitungsstand intransparent, da auch hier die Anfragen regelmäßig ins Leere laufen.

Führen Sie sich die Zahlen vor Augen, mit denen diese Kundgebung angekündigt worden ist: 4.000 unbearbeitete Fälle in Bochum, über 18 Monate Wartezeit bei Einbürgerungen. Dabei sind solche Zahlen NRW-weit leider keine Seltenheit. Betroffene fühlen sich, als würden sie vor einer Mauer stehen: Anträge und Unterlagen werden zwar eingereicht, aber was danach geschieht, bleibt undurchsichtig und für sie verschlossen.

Die Folgen für die Betroffenen sind verheerend: Sie laufen Gefahr, ihren Aufenthaltstitel zu verlieren, selbst wenn sie eigentlich alle Voraussetzungen erfüllen und sie die Verlängerung sogar schon weit im Voraus beantragen. Das bedeutet in der Praxis z. B., dass diese Personen ihren Arbeitsplatz verlieren, keine Sozialleistungen mehr beziehen können oder im schlimmsten Fall abgeschoben werden. Nicht zuletzt fordert diese Tortur auch psychisch ihren Tribut. Anstatt seinen Aufenthalt verstetigen zu können – über Bleiberechte, Niederlassungserlaubnisse, Einbürgerungen – nagt ständig die Unsicherheit an einem, ob man das Leben wieder verliert, das man sich in Deutschland aufgebaut hat.

Wir müssen uns klarmachen, worum es hier im Kern geht. Es geht nicht darum, irgendeinen entbehrlichen Service in Anspruch zu nehmen. Nein, es geht darum, grundlegende Rechte wahrnehmen zu wollen. Es gehört zu den Aufgaben der Behörden, geltende Gesetze umzusetzen. Wenn sie dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen können, herrscht ein ganz eklatanter Missstand, über den wir nicht länger hinwegsehen dürfen – weil wir einen Rechtsstaat mit einem funktionierenden Verwaltungsapparat brauchen und weil für die Betroffenen einfach zu viel auf dem Spiel steht.

Woher kommen die Probleme? Es gibt bei den Ausländerbehörden in NRW ganz fundamentalen und strukturellen Verbesserungsbedarf. Die Ämter sind massiv unterbesetzt und überlastet. Es fehlt an Personal und Ressourcen. Auch herrscht eine hohe Fluktuation an Mitarbeitenden. Diese Probleme wurden durch die Corona-Pandemie und die Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine zwar verschärft, aber nicht erst geschaffen.

Was also tun? Im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung heißt es, man wolle Bleiberechtsregelungen ausschöpfen und „Einbürgerungsverfahren beschleunigen und erleichtern“. Damit das möglich ist, muss es zu dem lang geforderten Umbau der Ausländerbehörden zu Willkommensbehörden kommen. Wir vom Flüchtlingsrat NRW fordern von den Kommunen eine personelle Aufstockung der Behörden und vom Land die Gewährung zusätzlicher finanzieller Mittel und weitere Maßnahmen, wie etwa mehr Schulungsangebote und eine Förderung der Digitalisierung. Das muss nicht nur geschehen, um wieder einen reibungslosen Verwaltungsablauf zu garantieren, sondern um darüber hinaus eine neue Willkommenskultur zu verwirklichen. Die Sachbearbeitenden sollen in die Lage versetzt werden, sich umfänglich mit den Fällen beschäftigen zu können und z. B. bei Geduldeten deren Bleiberechtsmöglichkeiten auszuloten. Das sind wichtige Schritte, um Deutschland zu einem modernen Zuwanderungsland zu machen.

Ich kann nur noch einmal verdeutlichen: Es geht hier um die Wahrung elementarer Rechte. Es geht um die Schicksale von Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder anderen Menschenrechtsverletzungen geflohen sind und bei uns Schutz suchen. Um einen solidarischen Umgang mit ihnen sicherzustellen, brauchen wir handlungsfähige Willkommensbehörden.