Samstag 30.04.22, 16:10 Uhr
Redebeitrag von "non a parole" auf der VoNOvia-Demonstration am 23. April 2022 in Bochum

Enteignen für gerechtes Wohnen


Der Wohnungsmarkt ist ungerecht, also schaffen wir ihn ab!
So verschieden wie Berlin und Bochum auch sein mögen, eine Sache haben sie gemeinsam: Steigende Mieten!

Auch in Bochum ist die monatliche Abgabe für das Grundrecht Wohnen seit 2011 in jedem einzelnen Jahr gestiegen. Wohnen wird teurer und Wohnraum finden immer schwieriger. Doch für manche Menschen ist es noch schwieriger als für andere:

Zum Beispiel für Frauen und Lesben, genauso wie für Personen, die sich weder als männlich noch als weiblich identifizieren oder von außen so gelesen werden. Diese Personengruppen – im Folgenden als FLINTA bezeichnet – verfügen oft über weniger Geld oder befinden sich in Abhängigkeiten. Frauen in Westdeutschland verdienen immer noch 19 Prozent weniger als Männer. Oder sie verdienen nichts, weil sie unbezahlten Sorge- und Care-Verpflichtungen nachkommen. Frauen, Lesben und trans Personen sind viel häufiger von Altersarmut betroffen als cis Männer. Nicht umsonst ist das Bild der Oma, die seit 30 Jahren im Kiez wohnt und nun aus ihrer Wohnung geklagt wird, zu einer der eindrücklichsten Geschichten in der Enteignungsbewegung geworden. Alleinerziehende sind auf günstigen Wohnraum angewiesen, bekommen aber oft nicht mal ein eigenes Schlafzimmer bewilligt, wenn es nach dem Jobcenter geht.
“A room for ones own” ist da eine Minimalforderung!

Ein anderes Problem ist der unglaubliche Sexismus auf dem Wohnungsmarkt. FLINTA, die Wohnungen oder Zimmer suchen, müssen sich sexistische Kommentare bis hin zu Übergriffigkeiten bei der Wohnungsbesichtigung gefallen lassen. Beispiele für schamlose Anzeigentexte gibt es zu genüge: „schreib uns eine aussagekräftige mail, warum gerade du die richtige für unsere wG bist und schicke ein foto mit! anforderungsprofil: * gut aussehend * sexy * am besten solo * offen für neues * nett sympatisch * dominant bitt nur ernst gemeint zuschriften. wir freuen uns auf dich!” oder “Falls du Sex genauso magst wie ich, bin ich mir sicher, dass wir uns über die Miete schon einig werden würden.”

Andere berichten, dass bei der WG-Besichtigung über Video der potentielle Mitbewohner zu masturbieren anfing. Möglich machen diese ekelerregenden und gefährlichen Situationen Strukturen, in denen Wohnraum das Eigentum einiger weniger ist – und diese sich mehr oder weniger aussuchen können, wem sie ihn zu welchen Bedingungen überlassen. Diese scheiß-sexistischen Machtstrukturen müssen abgeschafft werden!

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum macht es für FLINTA nicht nur schwieriger, eine Wohnung zu finden. Hohe Mieten halten sie auch in gewalttätigen Beziehungen: Die eigenen vier Wände sind für viele FLINTA ein Ort von physischer und psychischer Gewalt. Wir kennen die Zahl alle, aber sie muss wiederholt werden, bis sie nicht mehr stimmt: Jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin bzw. Ex-Partnerin umzubringen. Hinzu kommt oft eine finanzielle und organisatorische Abhängigkeit: In heterosexuellen Beziehungen verdient der männliche Partner häufig mehr, oft auch das gesamte Einkommen, von dem die gemeinsame Wohnung bezahlt wird. Er organisiert die Kontoführung, auf ihn laufen Miet- und Stromverträge.

Wenn eine solche Beziehung missbräuchlich wird, ist ein Ausbruch extrem schwierig. Und fast unmöglich, wenn es an bezahlbarem Wohnraum fehlt. Wer eine neue, eigene Wohnung nicht bezahlen kann – oder gar keine freie findet – kann nicht einfach ausziehen.

Und was ist mit Zufluchtsorten wie Frauenhäusern? Im Umfeld von 100km von Bochum gibt es keine freien Plätze, lediglich wenige Notschlafstellen. In anderen Ballungsräumen sieht das nicht besser aus. Die Schwierigkeit, eine Wohnung zu finden, führt dazu, dass FLINTA und ihre Kinder länger in den Frauenhäusern bleiben, als nötig wäre. Der Beginn eines neuen, unabhängigen Lebens verzögert sich damit immer weiter. Und in den Frauenhäusern fehlt der Platz für neue FLINTA, die aus ihren gewalttätigen Partnerschaften fliehen wollen. Das sind unwürdige Zustände, die wir beenden müssen!

Massive Diskriminierung bei der Wohnungssuche erfahren auch von Rassismus betroffene Menschen. Wer einen nicht-deutsch klingenden Nachnamen am Telefon nennt, wird ganz schnell abgewimmelt oder der*die Vermieter*in möchte die Wohnung plötzlich doch nicht mehr vermieten. Auch Menschen, die in anderen als heterosexuellen Paarkonstellationen Wohnraum suchen, erleben Vorurteile, Anfeindungen und Absagen. Großen Wohnungsunternehmen ist es zwar gesetzlich verboten, Wohnungssuchende rassistisch, sexistisch, trans- oder homofeindlich zu diskriminieren. Eigentlich. Aber erstens, wer kontrolliert das? Und zweitens gibt es sogar Ausnahmen, etwa zur “Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen”. Und wer hat schon Zeit und Geld für einen Rechtsstreit, wenn’s nicht mal für eine eigene Wohnung reicht? Der rassistische Wohnungsmarkt muss zerschlagen werden!

Steigende Mieten sind für alle schlimm, aber manche – Frauen, Lesben, trans und inter Personen, von Rassismus Betroffene und Alleinerziehende – treffen sie noch härter als andere. Wie kann es sein, dass etwas so grundlegendes wie Wohnen davon abhängt, welches Geschlecht man hat, wie man aussieht, welchen Namen man trägt oder ob man verheiratet ist? An diesen Zuständen wird sich nichts ändern, so lange sich nicht die Eigentumsverhältnisse ändern.

Enteignung ist ein feministisches Anliegen!

Deshalb fordern wir: Die Häuser denen, die sie brauchen!