Dienstag 26.04.22, 20:37 Uhr
Redebeitrag von "Ende Gelände" auf der VoNOvia-Demonstration am 23. April 2022 in Bochum

Wohnen betrifft alle soziale Kämpfe


Ihr fragt euch vielleicht, weswegen jetzt eine Klimagerechtigkeitsgruppe vor euch da steht und was zu Wohnungspolitik erzählt aber ganz ehrlich, das Thema Wohnen betrifft alle soziale Kämpfe. Was bedeutet es eigentlich für mich wenn, vielleicht schleichend, vielleicht plötzlich, ich mehr als die Hälfte meines verfügbaren Einkommens für die Miete ausgeben muss?

Das bedeutet, dass mir die Angst im Nacken sitzt, meine Einkommensquelle zu verlieren, die Angst, mir nicht länger das Recht erkaufen zu können, im Trockenen und Warmen zu schlafen in den eigenen vier Wänden

Das bedeutet, dass ich eben nicht auf eine Teilzeitstelle runter kann, um mehr Zeit zu haben für meine Familie, oder um mein Besitz instand zu halten und zu reparieren, oder um mit meinen Nachbarn abzuhängen und Gemeinschaft aufzubauen.

Das bedeutet, dass ich am Ende des Monats kaum noch Kohle übrig habe fürs Sparbuch oder um mit sonstigen Rückschlägen umzugehen.

Das bedeutet, dass meine Karriereziele sich ausschließlich danach richten, mit welchem Job ich genug verdiene, um mir und meinen Lieben Wohnsicherheit gewährleisten zu können. Nicht welchen Job ich für gut und sinnvoll oder gar für interessant erachte.

Das bedeutet, dass ich mir überlegen muss, ob ich weiterhin in meinem coolen Viertel leben kann. Und welches Viertel ich mir überhaupt noch leisten kann. Dass es zum Luxus wird, in der Nähe meiner Freunde oder meines Arbeitsplatzes zu wohnen, dass es zum Luxus wird, nicht pendeln zu müssen, dass es zum Luxus wird, nicht für jede Kleinigkeit ins Auto steigen zu müssen.

Kurzgefasst: teure Mieten machen abhängig, unflexibel, isoliert und selbstbezogen. Und das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für die kommende Zeit.

Leute, das wissen wir hier alle – die Klimakrise kommt auf uns zu. Letztes Jahr war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, wie auch das Jahr davor, und das Jahr davor. Und für uns, die in Städte leben und gerne hier leben, wird das einige Herausforderungen mit sich bringen.

Brodelnde Hitze in unseren versiegelten Innenstädten; Flutkatastrophen und Wasserknappheit; kollabierende Versorgungsketten; Zuwanderung aus Regionen, in denen das Leben nicht mehr möglich ist; die nahe Zukunft hat echt viel in petto für uns.

Wir wissen, es ist ein Umdenken nötig, eine tiefe Veränderung unserer Lebensweise, wenn wir nicht nur auf diese Katastrophen reagieren möchten, sondern auch eine lebenswerte, nachhaltige und gerechte Zukunft für uns alle aufbauen wollen. Das wird eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung.

Sowohl große Krisen als auch große Veränderungen können wir nur leisten, wenn wir resilient, flexibel, miteinander im Austausch und großzügig sind. Nicht, wenn unser Leben von der Sorge dominiert wird, die Miete bezahlen zu müssen, und wir weder die Zeit noch die Energie haben, über den Tellerrand zu gucken oder uns um andere Belange als die eigenen zu kümmern. Nicht, wenn Gemeinschaften zerschlagen werden und ganze Bevölkerungsgruppen aus ihren Vierteln weg gedrängt werden. Nicht, wenn wir feststellen müssen, dass die Immobilienkonzerne, die sich ein Großteil des Wohnraumes erobert haben, nur mäßig daran interessiert sind, bei den großen Baustellen der Zukunft mitzuwirken.

Wir dürfen uns nichts vormachen – die Entwicklungen des Mietmarktes, die in rasanter Geschwindigkeiten den Charakter von Städten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt und Köln grundlegend verändert haben, stehen uns auch hier im Ruhrgebiet bevor. Hier lässt sich noch viel rausquetschen bis die Schmerzgrenze erreicht wird, und das wissen die Immobilienkonzerne. Und solche Mietmarkt-Entwicklungen wieder rückgängig zu machen, falls sie sich überhaupt rückgängig machen lassen, das verlangt eine kolossale Anstrengung, wie die Genoss*innen aus Berlin ein Lied von singen können.
Ich will jetzt nicht apokalyptische Szenarien an die Wand malen, aber jede Person, die sich ein wenig mit den Konsequenzen des Klimawandels auf urbane Räume befasst hat, weiß, wie viel wir noch erreichen müssen, falls wir mit diesen veränderten Bedingungen einigermaßen gut klarkommen möchten. Das wird ein schwieriger und holpriger Weg, aber mit den richtigen Ausgangsbedingungen können wir das, denk ich, packen. Beschissene Ausgangsbedingungen sind’s, wenn der ganze Wohnraum in den Händen von wenigen Immobilienkonzerne steckt und Menschen sich nur noch mit dem Kampf für ein Dach über dem Kopf befassen können.

Wohnraum ist wertvoll. Wohnraum ist ein Menschenrecht, und kein Spekulationsobjekt. Wir werden voraussichtlich in den nächsten Jahren um unseren Zugang zu leistbarem Wohnraum kämpfen müssen, aber es ist extrem wert, darum zu kämpfen. Kämpfen für eine Stadt für alle, für eine Stadt der vielen, für eine freie Stadt und eine Stadt, die in der Lage ist, sich zu verändern!

Dankeschön.