Freitag 22.04.22, 22:42 Uhr

Faire Mieten? Fehlanzeige!


Oder auch: Wie verhindern wir den Systemkollaps? Unter diesem Motto stand die Auftakt-Podiumsdiskussion des 2. bundesweiten Mietenstopp-Gipfels, der an diesem Wochenende im Bahnhof Langendreer stattfindet. Zwei Stunden lang diskutierten „prominente“ Teilnehmer:innen des Gipfels vor und mit über 50 Zuschauer:innen, wie die seit Jahren steigenden Mieten endlich in den Griff zu kriegen sind.

„Hohe Mieten werden zum echten Armutsrisiko“, sagte Elke Schmidt-Sawatzki, Landesvorsitzende NRW und stellvertretende Bundesvorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes. „Wenn selbst Menschen mit mittleren Einkommen Probleme haben, sich mit Wohnraum zu versorgen, wie sieht es dann erst bei Geringverdiener:innen aus?“

Cansel Kiziltepe, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, referierte vor allem die Pläne der Bundesregierung für die aktuelle Legislaturperiode: 14,5 Mrd. € für den Wohnungsbau, 400.000 neue Wohnungen jährlich, davon 100.000 öffentlich gefördert, ein Einstieg in eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit Ende nächsten Jahres.

Lukas Siebenkotten, Präsident des deutschen Mieterbundes, sagte, sein Verband sei sehr enttäuscht gewesen vom Koalitionsvertrag: „Die FDP hat sich durchgesetzt.“ Beim Wohnungsbau seien ihm die 100.000 Sozialwohnungen wichtiger als alles andere: „Noch mehr teure neue Wohnungen brauchen wir nicht.“

Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, rechnete vor, dass in den letzten Jahren trotz aller Förderung der Bestand an Sozialwohnungen um 100.000 zurückgegangen sei. „Auf dem Gipfel der Wohnungsnot ist das unterlassene Hilfeleistung.“ Sie forderte, dass jeder Euro Wohnungsbauförderung in eine neue Gemeinnützigkeit fließen müsse und ein Antispekulationsgesetz.

Der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm von der Humbold-Universität stellte fest, dass jede Lohnverbesserung inzwischen vom Mietenanstieg aufgefressen werde. „Das ist Lohnraub.“ Schon jetzt zahlten die Hälfte aller Mieter:innen mehr als 30 % ihres Einkommens für das Wohnen, ein Viertel mehr als 40 % und jede:r Zehnte mehr als 50 %. „Für das durchschnittliche Einkommen sind die durchschnittlichen Mieten viel zu hoch.“

Weit verbreitet war die Meinung, dass „bauen, bauen, bauen“ nicht die alleinige Lösung der Misere sein kann. Freifinanzierter Wohnungsbau führt zu viel zu hohen Mieten, um den Bedrängten zu helfen, und geförderter Wohnungsbau führt immer nur zu befristeten Mietpreis- und Belegungsbindungen. Nur eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit könne daran etwas ändern. Außerdem bedeute „bauen, bauen, bauen“ ein permanentes Wachstum, das auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht möglich sei.

Das Problem aber liegt im System. Andrej Holm drückte das so aus: „Wir diskutieren Wohnungskrisen, als ob sie aus der aktuellen Situation kämen und nicht aus den Strukturen. Dabei bedeuten 150 Jahre Kapitalismus 150 Jahre Wohnungskrise.“