Montag 28.06.21, 14:54 Uhr
Berichte und Reaktionen auf die Demonstration gegen das neue Versammlungsgesetz

8000 für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit


Nun hat es das Versammlungsverhinderungsgesetz der NRW Landesregierung doch in die bürgerlichen Medien geschafft, nach der eindrucksvollen landesweiten Demonstration am Samstag in Düsseldorf – und nachdem die Polizei dort gezeigt hat, wie sie sich die „neue“ Versammlungsfreiheit vorstellt. Die Einkesselung von Demonstrierenden und Behinderung von Journalisten wird wohl ein Nachspiel haben. Felix Oekentorp, Sprecher der DFG-VK Bochum/Herne bilanziert die Demonstration: »Das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrecht erhalten!“ hatte für Samstag, den 26. Juni zur Großdemo aufgerufen, und die Resonanz war derart groß, dass der Auftakt auf die Rheinwiese verlegt werden musste.

Eigene Blöcke in der Demo gab es für Jurist:innen, für Antifaschist:innen, für Fußballfans sowohl aus Düsseldorf wie aus Köln. Auch ein Jugendblock, ein Block Klimagerechtigkeit und einer der Linkspartei gehörte zu den realen Verfassungsschützer:innen, die gegen den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Zerstörung des GG-Artikels 8 protestierten. Das staatliche Gewaltmonopol, eine zivilisatorische Errungenschaft, ist entstanden, um den Krieg aller gegen alle zur Durchsetzung von Einzelinteressen zu verhindern. Dies funktioniert durch allgemeine Akzeptanz, die wiederum von den staatlichen Akteuren eine strenge Einhaltung der Regeln voraussetzt. Das Gewaltmonopol funktioniert, wenn alle legitime Ausübung von Gewalt unter genau festgelegten Voraussetzungen und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angewendet wird. Für den Fall des Versagens der staatlichen Rechtsordnung oder falls der Staat selbst zur Bedrohung für die Rechte der Bürger wird, erlaubt das Grundgesetz in Artikel 20.4 den Widerstand. Es heißt dort „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Nun war am Samstag eine bunte und heterogene Demo in Düsseldorf unterwegs, derweil die Polizei massiv aufgerüstet auf eine Eskalation geradezu wartete. Am Landtag, dem geplanten Ziel der Demo wartete ein gepanzerter Wasserwerfer auf seinen Einsatz, entlang der gesamten Marschstrecke waren ungezählte behelmte Polizist:innen im Einsatz und schufen so ein Szenario, das einige Demonstrant:innen mit dem G8-Gipfel in Genua 2001 oder den G20-Gipfel 2017 in Hamburg verglichen. Die anfängliche friedliche Stimmung wurde zunehmend durch Attacken der Polizei gegen den Antifa-Block getrübt, schon auf der Rheinbrücke gab es entsprechende Durchsagen der Lautsprecherwagen, dass hier Eskalationen durch die Polizei stattfinden. In der aktuellen Stunde des WDR gab es um 19:25 Uhr einen knapp einminütigen Beitrag zur Demo, darin war kein Wort über die zu dem Zeitpunkt schon massiven Attacken der Polizei. Ein Teilnehmer berichtet: „Das erste Vorkommnis passierte, als ich in Höhe zwischen Ratinger Tor und Museum war. Die Demonstration hielt an und Menschen strömten zurück zum Ratinger Tor. Ich hatte die Information, dass „wir uns solidarisieren“ sollten, da es wohl Vorkommnisse mit der Polizei gab. Ich sah, dass Polizei – vornehmlich martialisch uniformiert bzw. mit Helm ausgestattet – zur Kreuzung auf Höhe Ratinger Tor ging. Der Lautsprecherwagen gab die Information, dass die Aggression von der Polizei ausging und sich die Auseinandersetzung bis in den Hofgarten hinzog und die Demonstration vorerst nicht geregelt weiter ginge, bis die Ursachen der Eskalation, das Hineingehen der Polizei in die friedliche Demonstration, beendet sei. Es wurde vom Lautsprecherwagen aus immer versprochen, dass niemand allein zurückgelassen werde.“ Bilanz der Eskalationen: Die Demo erreichte ihr Ziel nicht, ca 100 Demoteilnehmer:innen wurden von Reizgas verletzt, mindestens 14 Personen wurden in die Gefangenensammelstelle verbracht, der Antifablock ist fast 6 Stunden gekesselt worden, stundenlang ohne anwaltliche Unterstützungsmöglichkeit und ohne Zugang zu Wasser und Toiletten. Im Kessel waren mindestens 30 Minderjährige, die teils bis 23:30 dort zum Ausharren gezwungen waren. Ein Polizeihubschrauber kreiste stundenlang über der Demonstration und verbreitet dadurch ein unerträgliches Bedrohungsszenario. Es bleibt ein Funke Hoffnung, dass dieser Skandal ein juristisches Nachspiel für Innenminister Reul und seine Komplizen in der Einsatzleitung der Polizei haben wird. Klagen gegen diesen Polizeieinsatz hat die Linkspartei bereits angekündigt. Die Schäden, die durch diese Polizeigewalt entstanden sind, gehen weit über die individuellen Verletzungen und Freiheitsberaubungen der Demonstrant:innen hinaus. Das Vertrauen der Bürger:innen in die staatlichen Institutionen ist erneut angegriffen, und wenn Herbert Reul durch diese Eskalation der Bevölkerung weismachen will, wie wichtig „sein“ Gesetz gegen die Versammlungsfreiheit wohl sei, dann hat er sich geirrt. Nach diesen Ausschreitungen ist noch deutlicher geworden, dass wir unsere Freiheitsrechte dringend verteidigen müssen.«

ver.di NRW fordert umfassende Aufklärung der Vorkommnisse auf der Demonstration am 26.06. in Düsseldorf

Auch ver.di NRW reagiert mit einer eigenen Stellungsnahme: »Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di NRW) zeigt sich irritiert über die Vorkommnisse auf der Demonstration gegen das geplante Versammlungsgesetz der Landesregierung am 26. Juni in Düsseldorf.

Gabriele Schmidt, Landesbezirksleiterin ver.di NRW, dazu:

„Es schien, als wäre der Gesetzentwurf der Landesregierung  zum Versammlungsgesetz für die Polizei schon beschlossen und umgesetzt. Zumindest lassen die Maßnahmen darauf schließen. Minister Reul muss für eine lückenlose Aufklärung sorgen.“

Unter anderem wurden Zelte zur Personenüberprüfung am Düsseldorfer Hauptbahnhof eingesetzt, zudem gab es den Ausschluss von Teilgruppen ohne Abstimmung mit der Versammlungsleitung und Demonstrationsteilnehmer*innen wurden bis in die Abendstunden eingekesselt und zum Teil wegen Kreislaufproblemen behandelt. Nach Information von Demonstrationsteilnehmer*innen gab es sogar Verletzte. Den Eingekesselten wurden offensichtlich noch nicht einmal Toiletten zur Verfügung gestellt, obwohl sie bis in die späten Abendstunden festgehalten wurden. Außerdem berichtete ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur, dass er von einem Polizeibeamten mehrfach mit einem Schlagstock geschlagen worden sei.

„Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist noch nicht verabschiedet! Die Vorkommnisse von Samstag zeigen, dass zukünftig mit gravierenden Eingriffen in die Versammlungsfreiheit zu rechnen ist.“, so Schmidt. 

Deshalb lehnt ver.di den Gesetzentwurf der Landesregierung zum Versammlungsgesetz ab.  Die Landesleiterin Gabriele Schmidt machte diese Haltung bereits in der Sitzung des Rechts- und Innenausschusses als geladene Sachverständige deutlich.«

Stellungnahme der Antifa NRW: Polizei kriminalisiert gezielt Antifaschist:innen – Über 100 Verletzte nach Angriffen durch Polizist:innen

Die Antifa NRW teilt in ihrer Pressemitteilung mit: »Die Demonstration war in mehrere Blöcke aufgeteilt. „Ohne gerechtfertigten Grund hat die Polizei direkt zu Beginn damit begonnen, den Antifa-Block im Spalier eng zu begleiten.“, kritisiert Marie Thiele, Pressesprecherin von Antifa.NRW, das Auftreten der Polizei. Schon auf den ersten wenigen hundert Metern stoppte die Polizei den Block immer wieder und verhinderte so, dass sich die Demonstration überhaupt in die Innenstadt bewegen konnte. „Im weiteren Verlauf der Demonstration griff die Polizei unter dem Vorwand von angeblich zu hoch gehaltener Transparente, „Vermummung“ durch OP-Masken und vereinzelter Pyrotechnik den Demonstrationsblock mehrfach mit grober Gewalt an. Die Polizei hat hier weder auf Deeskalation noch Verhältnismäßigkeit geachtet. Über 100 Verletzte, davon acht im Krankenhaus, stehen in keinem Verhältnis zu den vorgeworfenen Taten.“
Im Zusammenhang der Maßnahmen gegen die Demonstrierenden wurden auch Journalist:innen, unter anderem von der DPA, von der Polizei angegriffen. „Wir verurteilen diesen Angriff auf die Pressefreiheit scharf. Die Aufgabe der Polizei ist es, Journalist:innen zu schützen und ihre Berichterstattung zu ermöglichen. Wie soll sich die Allgemeinheit sonst ein Bild von dem Geschehen und auch von polizeilichem Fehlverhalten machen?“, so Thiele. Im Internet kursieren Videos davon, wie Polizist:innen Teilnehmende in Tiefgaragen zerren, diese dort verprügeln und das Filmen der Maßnahme untersagen. „Die Polizei versucht sich mit solchem Verhalten der demokratischen Kontrolle zu entziehen. Mit dem neuen Gesetz werden diese Möglichkeiten ausgeweitet“, so Thiele weiter. „Es gibt keine unabhängige Kontrolle der Polizei. Anzeigen wegen Polizeigewalt enden immer wieder darin, dass die Opfer eine Gegenanzeige bekommen.“
Im weiteren Verlauf trennte die Polizei den Antifa-Block vom Rest der Demonstration ab und wertete ihn anschließend nicht mehr als Teil des Demonstrationsgeschehens. Dem übrigen Teil der Versammlung bot sie an, ohne den Antifa-Block weiterzulaufen. „Die Polizei hat entschieden, dass der Antifa-Block kein Demonstrationsrecht mehr besitzt. Damit übersteigt sie eindeutig ihre Kompetenz: Die Polizei darf nicht entscheiden, wer demonstrieren darf und wer nicht“, betont Thiele.
Anstatt dem Antifa-Block den Anschluss an die anderen Blöcke zu erlauben, hielt die Polizei die Menschen bis in die Tiefe Nacht abgetrennt von den anderen Teilnehmenden der Demonstration fest und begann, von allen Fotos anzufertigen und die Personalien zu erfassen. Thiele dazu: „Die gezielte Feststellung von Personalien des Antifa-Block ist eine gewollte Kontrolle und Überwachung antifaschistischer Aktivist:innen durch Polizei und Staatsschutz, welche besonders vor dem Hintergrund flächendeckender rechter Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörden betrachtet werden muss. Diese Einschüchterungstaktik der Polizei lassen wir uns nicht gefallen! Wir bleiben solidarisch gegen die Repression durch den Polizeiapparat.“
Die Eskalation der Polizei muss dabei als Disziplinierungsversuch verstanden werden, mit dem entschlossenes Auftreten und konsequente Politik gegen Neonazis unterbunden werden soll. „Aktive Antifaschist:innen, die sich entschlossen gegen gesellschaftliche Probleme stellen, sind der Polizei und der konservativ-wirtschaftsliberalen Koalition in Düsseldorf ein Dorn im Auge. Gerade, weil dieser Aktivismus deren Politik im Weg steht.“ so Thiele. „Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass das gewalttätige und rechtsbrüchige Verhalten der Polizei aus dem Innenministerium und vom Ministerpräsidenten gewollt und gedeckt ist.“
Das neue Gesetz soll die Proteste von der Antifa-, über die Klimagerechtigkeitsbewegung bis zu Gewerkschaften sowie gemeinsame Auftritte von Fußballfans kriminalisieren und in der derzeitigen Form unmöglich machen. Der Entwurf sieht Versammlungen allgemein als Gefahr, die es zu verhindern gilt. Daher ist unter anderem geplant, die Polizei mit weitreichenden neuen Befugnissen auszustatten. „Das Gesetz kann als Entkriminalisierung der aktuellen fast schon systematischen Rechtsbrüche der Polizei auf Demonstrationen verstanden werden. Wir haben nun einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie die Polizei zur Versammlungsfreiheit steht, als sie diese einem großen Teil der Demonstration eigenmächtig verwehrt hat. Wir brauchen also nicht mehr Versammlungseinschränkungen und Rechte für die Polizei, sondern mehr Freiheiten für Proteste und eine stärkere Kontrolle der Polizei sowie eine grundlegende Polizeireform.“ so Thiele abschließend.«