Freitag 11.12.20, 18:27 Uhr
Kampagne "Nice Preis - Zehn Prozent": Weiterhin gilt:

„Wir brauchen 10 Prozent vom Kulturhaushalt! Doch: Wie sind die Perspektiven?“


Die Kampagne „Nice Preis – Zehn Prozent“ erinnert an ihre Forderungen: »Eines nachts, Anfang November 2019: Auf Kulturhäusern in der Innenstadt erscheint ein Zeichen, das sehr nach einem guten Verkaufsargument und ein bisschen nach Enterprise aussieht. Auf Bürgersteigen und Vorplätzen leuchtet es sogar noch ein paar Wochen. Die Kampagne „Nice Preis – 10 Prozent“ startet und sie ist weder ein Verkaufsargument noch ein Raumschiff: Sie transportiert eine ganz reale Forderung, die nicht von oben landet, sondern lange schon von unten gärt. Sie sagt laut und entschlossen: Wir wollen 10 Prozent vom Kulturhaushalt.

„Wir“, das ist die Freie Kultur, die zwar mehr als 50% des Kulturangebots stellt, aber weniger als 4% aus dem Kulturhaushalt erhält. Die Kampagne zielte vor allem auch auf die Kommunalwahl, weil die Verteilung von Haushaltsmitteln und der Wert von Kultur politische Fragen sind, zu der sich die Parteien positionieren sollten. Im Vorfeld der Wahlen hatten wir die Ratsfraktionen (außer der AfD) auch angeschrieben und um Stellungnahmen gebeten und von einigen Antwort erhalten – zum Teil war sogar Unterstützendes darin zu lesen.

Die Kommunalwahlen sind vorbei, der rot-grüne Koalitionsvertrag wurde im November unterschrieben. Der Kulturausschuss ist jetzt zum Ausschuss für Kultur und Tourismus geworden. Dazwischen ist viel passiert. Was hat sich getan? Und wie sehen wir die Perspektiven? Dazu hier ein kleines Resümee und eine Einschätzung aus unserer Sicht.

Zurück auf Start: Die 10-Prozent-Kampagne begann – nicht zufällig – zur gleichen Zeit wie der Beteiligungsprozess für einen kommunalen Kulturentwicklungsplan. Die Schaffung eines Kulturentwicklungsplans wurde von der Freien Szene in der Vergangenheit immer wieder eingefordert, das Interesse bei uns war also groß. Viele von uns haben sich an der Auftaktkonferenz und anschließend monatelang in verschiedenen AGen aktiv beteiligt, auch unsere Forderungen kamen in den AGen auf den Tisch und wurden diskutiert und konkretisiert. (Die Ergebnisse sind hier einsehbar: https://kep-bochum.de)

Der Beteiligungsprozess wurde von den meisten, die sich eingebracht haben, als eine Chance gesehen Ideen und Forderungen zu artikulieren. Natürlich gab es aber auch (berechtigte) Skepsis, ob die entwickelten Präsentationen und Papiere überhaupt ernsthaft Widerhall in politischen Entscheidungen finden. Eine häufige Erfahrung in kommunalen Beteiligungsprozessen ist, dass genau dies häufig nicht passiert. Und eines wurde auch in diesem Prozess nochmal klar: Ohne eine deutliche Aufstockung des Kulturetats werden alle noch so konstruktiven Vorschläge schlicht verpuffen.

Die Corona-Pandemie war auch für die 10-Prozent-Kampagne in mehrfacher Hinsicht schmerzhaft: Zum einen durch den Verlust von Öffentlichkeit und zum anderen dadurch, dass viele Kolleg*innen nun erst einmal damit beschäftigt waren und sind ihre Existenz zu sichern, Zuschüsse zu beantragen, Auftritte, Projekte und Veranstaltungen umzudisponieren. Auch im Kulturbereich hat die Corona-Krise bestehende soziale Schieflagen und Ungleichheiten sichtbar gemacht: Dort wo vertragliche Absicherungen fehlen und die eigene Existenz komplett in Eigenregie organisiert werden muss, ist die Not und Unsicherheit am größten. Immerhin: Es gab auch einen Schutzschirm der Stadt Bochum. Aber: Er war mit 120.000 Euro viel zu niedrig bemessen und entsprechend schnell ausgeschöpft. Positiv war, dass immerhin eine Forderung, nämlich die nach einer Rechercheförderung unbürokratisch in Form eines Stipendiums umgesetzt wurde. Wie es nächstes
Jahr mit dem Kulturschirm weitergeht, ist bisher noch völlig unklar.

Der Koalitionsvertrag, der Anfang November von SPD und Grünen unterschrieben wurde,
enthält erwartungsgemäß nicht viel Konkretes, sondern eher Willensbekundungen: Zum Beispiel, dass „SPD und Grüne […] Verlässlichkeit und Förderung festigen und möglichst ausbauen [wollen], um die Überlebensfähigkeit der freien Szene zu garantieren“. Der Kulturentwicklungsprozess soll zudem durch Folgekonferenzen verstetigt werden.

Der Kulturentwicklungsprozess hat aber bereits jetzt eine ganze Reihe von Ergebnissen hervorgebracht. Diese dürfen nicht bis zur nächsten Konferenz in den Aktenordnern verschwinden, sondern müssen durch den Kulturausschuss und die Kulturverwaltung systematisiert, geprüft und umgesetzt werden. Und auch die Frage der besseren Förderung der Freien Kultur steht weiter im Raum. Spätestens bei der Einbringung des nächsten Haushalts im Sommer 2021 wird sich zeigen, ob die Signale der Freien Kultur in der Verwaltung angekommen sind. Falls nicht, ist die Politik gefordert, einen Beitrag zur angemessenen Förderung der Freien Kultur zu leisten: Nice Price – 10 Prozent!

Wie sind die Perspektiven vor allem in Hinblick auf die Zeit „nach Corona“? Dass sich die kommunale Kulturpolitik verändern muss hin zu einer gerechteren Förderung ist aus unserer Sicht notwendig und unumgänglich – gerade jetzt, wo die Vielfalt kulturellen Lebens tendenziell bedroht ist. In den Kulturentwicklungsprozess wurde dies mit Nachdruck eingebracht, von der Politik kommen dazu andeutungsweise Signale. Klar ist aber auch, dass die Krise mittel- und langfristig Folgen haben wird, die noch gar nicht abschätzbar sind. Zum Beispiel: Werden weitere Verschuldungen wieder Kürzungswellen rechtfertigen? Werden sich die Prioritäten so verschieben, dass die Verlierer*innen wieder diejenigen sind, deren Förderung schließlich keine kommunale „Pflichtleistung“ ist oder deren Anliegen keine große Lobby hat?

Die Auseinandersetzung um eine gerechte Kulturförderung muss weitergehen. Die Krise zeigt: Wir brauchen für solche Auseinandersetzungen neue Allianzen. Denn die Frage der kulturellen Beteiligung, der sozialen Gerechtigkeit und die einer lebenswerten und vielfältigen Stadt für alle gehören unbedingt zusammen.«