Mittwoch 11.11.20, 22:30 Uhr

Diskriminierungserfahrungen bei rechtswidriger polizeilicher Gewalt


Die Ruhr-Uni berichtet über Ergebnisse einer Befragung und Interviews des Lehrstuhl für Kriminologie, die die Perspektive von Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color beleuchten: »Wie People of Color und Menschen mit Migrationshintergrund polizeiliche Gewalt erfahren und wahrnehmen, haben Forscherinnen und Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) im Rahmen des Projekts Kviapol, kurz für „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ analysiert. Sie verglichen die Ergebnisse mit den Erfahrungen von Menschen ohne Migrationshintergrund beziehungsweise weißen Menschen. Die zugrunde liegenden Daten stammten aus einer nicht repräsentativen Online-Befragung von Menschen, die nach eigenen Angaben polizeiliche Gewalt erfahren hatten, die sie als rechtswidrig einstuften, sowie aus Experteninterviews. Die Ergebnisse veröffentlichten Laila Abdul-Rahman, Hannah Espín Grau, Luise Klaus und Prof. Dr. Tobias Singelnstein vom RUB-Lehrstuhl für Kriminologie in einem Zwischenbericht, der seit dem 11. November 2020 auf der Projekt-Webseite eingesehen werden kann. Das Fazit: People of Color und Personen mit Migrationshintergrund waren in anderer Weise von als rechtswidrig bewerteter polizeilicher Gewalt betroffen und nahmen diese anders wahr als weiße Personen oder Personen ohne Migrationshintergrund. Es handelt sich um den zweiten Zwischenbericht aus dem Projekt.

Unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen
62 Prozent der befragten People of Color gaben an, sich in der berichteten Gewaltsituation diskriminiert gefühlt zu haben. Gleiches gaben 42 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund an. Bei Menschen ohne Migrationshintergrund waren es 31 Prozent. Unter anderem die Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen führte bei den betroffenen People of Color zu der Annahme, aufgrund äußerer Merkmale und damit aufgrund rassistischer Vorurteile anders behandelt zu werden als weiße Personen. Der Begriff „weiß“ bedeutet für das Forschungsteam in diesem Kontext nicht nur eine helle Hautfarbe, sondern dass es eine systematische Ausgrenzung und Abwertung durch die weiße Mehrheitsgesellschaft gibt.
Laut der Befragung kamen People of Color bei Einsätzen außerhalb von Großveranstaltungen häufiger (28 Prozent) aufgrund von Personenkontrollen mit der Polizei in Kontakt als weiße Personen (14 Prozent); das galt auch für Personen mit Migrationshintergrund (22 Prozent). Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color berichteten außerdem von stärkeren psychischen Folgen nach der Gewaltsituation.

Selten wird Anzeige erstattet
Sowohl weiße als auch nicht-weiße Personen entschieden sich selten für eine Anzeige. People of Color gaben häufiger als weiße Personen an, dass ihnen von einer Anzeige abgeraten wurde (64 Prozent zu 54 Prozent) und dass eine Anzeige bei der Polizei verweigert wurde (21 Prozent zu 10 Prozent). Die Befragten beschrieben auch explizit rassistische Äußerungen von Polizeibeamtinnen und -beamten. Die Studie kann jedoch keine Aussage dazu machen, wie verbreitet dieses Problem in der deutschen Polizei ist.

Unterschiedliche Wahrnehmung bei Polizei und Betroffenen
Die Interviews zeigten, dass die oben beschriebenen Unterschiede aus polizeilicher Sicht häufig nicht als rassistische oder diskriminierende Ungleichbehandlung wahrgenommen werden. Beamtinnen und Beamte berufen sich in ihrem Arbeitsalltag, etwa bei Personenkontrollen, auf ihr Erfahrungswissen, das auch Stereotype über bestimmten Gruppen umfassen kann. „Problematisch ist solches Erfahrungswissen, wenn auf diese Weise bestimmten Personen oder Gruppen pauschal bestimmte Eigenschaften – wie etwa eine mangelnde Akzeptanz der Polizei, andere Moralvorstellungen, eine besondere Kriminalitätsbelastung – zugeschrieben werden und dies das dienstliche Handeln beeinflusst“, schreibt das Forschungsteam im Zwischenbericht. Die Wissenschaftler weisen auch darauf hin, dass solche Stereotype den Beamtinnen und Beamten nicht unbedingt bewusst sein müssen.

Strukturelles Problem
„Die Befunde zeigen zudem, dass die Benachteiligung von People of Color und Personen mit Migrationshintergrund nicht allein ein individuelles Problem einzelner Polizeibeamtinnen und -beamten darstellt. Es handelt sich ebenso um ein strukturelles Problem polizeilicher Praxis“, so ein Fazit des Berichts. Das bedeute nicht, dass die Polizei in Gänze davon betroffen sei. Es handle sich aber nicht um zufällige Erscheinungen bei einzelnen Beamtinnen und Beamten, sondern um Verhalten, das auch aus den Strukturen der Organisation Polizei entstehe. Dazu zählten etwa Aufgaben, die Art und Weise ihrer Umsetzung sowie der Umgang mit Fehlern.

Zur Methodik und Begriffsdefinition
Das Thema Rassismus und Polizei stand nicht im primären Fokus des Kviapol-Projekts. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erhoben aber auch Daten zu Diskriminierungserfahrungen im Kontext von polizeilicher Gewaltausübung, die sie für den Zwischenbericht auswerteten. In der Studie wurden keine Daten zu Diskriminierungserfahrungen im Rahmen von Polizeikontakten erhoben, bei denen es nicht zu Gewalt kam. 3.373 Menschen, die als rechtswidrig bewertete Polizeigewalt erfahren hatten, nahmen an der Online-Befragung teil. 16 Prozent davon gaben an, einen Migrationshintergrund zu haben, 5 Prozent konnten der Gruppe People of Color zugeordnet werden.

Eine Person hat laut Statistischem Bundesamt einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Als People of Color bezeichnen sich Personen, die von Rassismus betroffen sind, wobei es nicht allein um eine nicht-weiße Hautfarbe geht, sondern um eine systematische Ausgrenzung und Abwertung durch die weiße Mehrheitsgesellschaft.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meldeten sich freiwillig für die Online-Befragung, die Studie war daher nicht repräsentativ.

Des Weiteren zogen die Forscherinnen und Forscher 17 Interviews für die Auswertung heran. Die Gespräche führten sie mit Personen von Anlaufstellen für (marginalisierte) Gruppen sowie von Opferberatungs- oder Dokumentationsstellen, einer Person aus dem Journalismus und mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten.«

Näheres zum ersten Zwischenbericht der Studie.