Sonntag 18.10.20, 14:33 Uhr

Josef Gera zur Erinnerung


Azzoncao, ein Polit-Cafè erinnert: »Vor 23 Jahren, am 17. Oktober 1997, starb Josef Anton Gera in einem Bochumer Krankenhaus. AnwohnerInnen hatten drei Tage zuvor den Frührentner schwer verletzt am Rande der Industriebrache des ehemaligen Krupp-Geländes gefunden. Gera hatte sich dorthin geschleppt, nachdem er von zwei Rechtsradikalen mit einem Stahlrohr und Tritten traktiert worden war. Drei Tage später erlag er seinen schweren inneren Verletzungen im Elisabeth Hospital.
Die Mordkommission ermittelte als Tatort die Baracke von Wohnungslosen auf der Industriebrache. Diese war mit Hakenkreuzen und SS-Runen versehen. Weitere Ermittlungen führten zu den wohnungslosen Tätern Uwe K. und Patrick K.. Die Ermittlungen ergaben eine rechtsradikale Gesinnung der Beiden und im Verhör gaben sie an, Josef Gera wegen dessen Homosexualität zusammen geschlagen zu haben.

Aber schon in der Pressekonferenz 23. Oktober 1997 gab der zuständige Staatsanwalt an, dass er die rechtsradikale Gesinnung der Täter bezweifele. Das geständige Duo sei nicht rechtsradikal, da sie über keine Partei- oder Gruppenzugehörigkeit verfügen würden. Ergo seien sie nicht rechts. Und auch das homophobe Motiv der Beiden bezeichnete er als eine Schutzbehauptung. Der Staatsanwalt ging von einem „Mord aus niederen Beweggründen“ aus.

Unter diesem Tenor wurde auch der Prozess im Jahr 1998 geführt und es kam wie angekündigt. Die beiden Mörder wurden wegen einer Exzesstat unter Alkoholeinfluss verurteilt. Die politischen und sozialen Einstellungen der Angeklagten wurden im Verfahren nicht beachtet oder wegdefiniert. Die Lokalpresse reagierte entsprechend auf das Urteil. Sie hakte trotz andersweitiger Daten und Fakten, die die Mordkommission auf der Pressekonferenz offengelegte hatte nicht nach und schloss sich der Irreführung der Öffentlichkeit an. Josef Gera wurde offiziell zu einem Opfer der „Heillosen Folgen des Alkoholkonsums“ (WAZ, 18.04.1998) Dem Image der Stadt Bochum blieb es erspart Schauplatz eines rechtsradikalen, homophoben Mordes zu sein.

Der Mordfall Josef Gera als Beispiel

Der Frührentner Josef Gera ist einer von den mehr als über 200 Todesopfern rechter Gewalt, die seit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren gezählt werden. Viele dieser Menschen sind – wie Josef Gera – von Seiten des Staats nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt.

Der Mord an Josef Gera kann hier als Beispiel einer unwilligen Justiz gesehen werden, die sich weigert die politischen Motive einer Gewalttat als solche zu würdigen. Und das selbst dann, wenn die Täter und ihr Umfeld die rechten Motive eindeutig benennen. Für eine solche Justiz gibt es nicht, was es nicht geben darf: Gewalttaten und Morde aus rechter Gesinnung und eine allgemeine Bedrohung der Menschen in der Demokratie von rechten, inhumanen Einstellungen. Man könnte sagen, dass der Rechtsschutz der BürgerInnen in unserer Demokratie von einer solchen Justiz nicht mehr gewährleistet wird. Und das sich eine solche Justiz dem Verdacht aussetzt, das Recht zu beugen und zwar wie weiland in der Weimarer Republik, wo es für die zumeist kaisertreuen Juristen hieß „Der Feind steht links“.

Der Mordfall Gera beweist auch, dass eine obrigkeitshörige Presse als sogenannte „Vierte Macht“ zu so einem anti-demokratischen Trauerspiel gehört. Trotz diverser Verweise des ermittelnden Kommissar Walter Pindur schluckte die Lokalpresse die Geschichte des Staatsanwaltschaft und kolportierte das entpolitisierte Narrativ. Einem irgendwie postulierten Auftrag nach Wahrhaftigkeit in ihrer Berichterstattung ist sie nicht nachgekommen.

Aber der Mordfall Josef Gera steht auch für ein weiteres Beispiel. Für das des Bewegungs-Antifaschismus. Hätte damals nicht ein Mitglied der Gruppe Azzoncao Recherchen auf dem Brachgelände und in der Wohnungslosen-Szene unternommen, wäre die Person nicht auf der Pressekonferenz und in dem Prozess als Beobachter erschienen, hätte darüber geschrieben und in diversen Artikeln die Vorgänge dokumentiert, so würde Josef Gera heute nicht zu den Opfern rechter Gewalt zählen.

Dies kann als Beispiel für die vielen Bemühungen von Einzelpersonen, kleinen Initiativen, Freundes- und Verwandtenkreisen dienen, denen man es als antifaschistischen Basisstrukturen zu Verdanken hat, dass solche Taten als das gewürdigt werden was sie sind und nicht in Vergessenheit geraten. Anders als es dem Publikum der Veranstaltung „Verzerrte Wahrnehmung? – Todesopfer rechter Gewalt in NRW“ im BlueSquare am 11. März 2019 weis gemacht werden sollte. Auf dieser Veranstaltung mit Heike Kleffner von Opferperspektive, Prof. Koppke und Dr. Kohlstruck aus Berlin, Hendrik Puls von der Forschungsgruppe NRW und Ceren Türkmen von der Universität Gießen lobten sich die Podiumsgäste aus Wissenschaft und Medien gegenseitig für ihre „bewundernswerte Arbeit“.

Es wurde von ihnen kein Bezug genommen auf die zahlreichen Initiativen, Einzelpersonen und Gruppierungen, die rechte Gewalt und Morde durch Recherchen, Berichte, Dokumentationen und Erinnerungsarbeit erst bekannt gemacht haben und auf deren mühevollen Grassroots-Aktivismus sich die Podiumsgäste in ihrer Arbeit erst beziehen konnten. Hier eigneten sich die Podiumsgäste die Arbeit Anderer an und überschrieben antifaschistische Geschichte so, dass nur noch sie als VertreterInnen der Wissenschaft und Medien darin vorkommen. Politischer Aktivismus, antifaschistische Bewegung und demokratische Öffentlichkeit wurde von ihnen in keiner Weise gewürdigt. Diese dienten ihnen lediglich als Informationsquelle und vielleicht noch als Abnehmer ihrer Berichte und Käufer ihrer Bücher. Dieses Vorgehen hat mit Demokratie, antifaschistischer Bewegung und Empowerment so gar nichts zu tun.

In diesem Sinne: Rest in Peace Josef!


17.10.2012, Ingymedia/linksunten:
Kaltland – Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland
2.10.2017, bo-alternativ:
Der rechtsradikale Mord an Josef Gera
1.11.2017, bo-alternativ:
Ein Graffito für Josef Gera!
16.10.2019, bo-alternativ:
Erinnerung an Josef Gera – 2019