Donnerstag 10.09.20, 22:00 Uhr
Redebeitrag auf der Demonstration "Evakuierung Jetzt!"

Rolf van Raden, Treffpunkt Asyl


Wir sind traurig und wütend wegen der Zustände an den EU-Außengrenzen, und in den Lagern zum Beispiel auf den griechischen Inseln und in Libyen. Wir sind traurig und wütend wegen der Untätigkeit der europäischen Politik, die zigtausendfache Menschenrechtsverletzungen sehenden Auges akzeptiert. Wir sind traurig und wütend, weil wir seit Monaten vor einer Katastrophe in Moria gewarnt haben, alle Warnungen aber immer wieder ignoriert worden sind.

Jetzt stehen wir vor dem Bochumer Rathaus. Und da muss ich sagen: Ich bin auch traurig und wütend wegen der uneindeutigen Signale der Stadt Bochum angesichts des Infernos in Moria.

Zum Vergleich möchte ich die Reaktionen ein paar anderer Städte zitieren: Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung sagte: „Um Himmels Willen, mitten in Europa. Gemeinsam mit vielen anderen Kommunen in Europa stehen wir bereit, die Menschen aufzunehmen. Wann, wenn nicht jetzt.“ Der Oberbürgermeister der Stadt Hamm, gar nicht weit weg von hier, erklärt: Hamm sei vorbereitet und verfüge über genügend Kapazitäten, um Betroffene aufzunehmen. Er bietet immerhin ganz konkret 200 Plätze an. Hamm, eine Stadt mit CDU-Oberbürgermeister, weniger als halb so groß wie Bochum. Würzburg, Osnabrück, Mannheim, Bremen, Potsdam, Göttingen, Wuppertal, und so weiter, und so weiter. Aus vielen Rathäusern in dieser Republik gibt es ganz direkte Angebote, häufig mit konkreten Zahlen, die den Druck auf die Bundesregierung weiter erhöhen, und die auf ganz schnelle Lösungen drängen. Und was ist aus diesem Rathaus hier hinter uns zu hören?

Vorhin hat Oberbürgermeister Thomas Eiskirch immerhin auf Twitter erklärt: „Bochum ist und bleibt sicherer Hafen.“ Hört sich gut an. Sein Sprecher hat sich gegenüber Radio Bochum allerdings etwas ausführlicher geäußert: Dass Bochum sich zum „sicheren Hafen“ erklärt habe, „bedeute aber im Umkehrschluss nicht, dass schon morgen die ersten Flüchtlinge aus dem abgebrannten griechischen Flüchtlingslager Moria zu uns kommen dürften. Noch sei es zu früh, dazu etwas Konkretes zu sagen“, lässt sich da der Bochumer Stadtsprecher zitieren.

Und es geht noch schlimmer weiter. So erklärte der Stadtsprecher laut Radio Bochum weiter: Die Betroffenen aus dem abgebrannten Lager müssten „ein ganz normales Asylverfahren durchlaufen und erst wenn sie dabei als Flüchtlinge anerkannt werden, würden sie bundesweit verteilt. Wenn tatsächlich tausend Flüchtlinge nach NRW kommen sollten – wie von Ministerpräsident Armin Laschet angekündigt – würden nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel 20 von ihnen langfristig zu uns nach Bochum kommen.“ Zitat Ende.

Jetzt ist es zu früh, langfristig vielleicht irgendwann mal 20 Menschen – da kann ich die Stadt Bochum nur fragen: Ist das wirklich euer Ernst?! Wenn die Stadt Bochum in Sachen Schutz von Menschenrechten dermaßen weit selbst hinter einige CSU-regierte Städte im tiefsten Bayern zurückfallen sollte, wäre das unerträglich! Sollte dieses Statement tatsächlich ernst gemeint sein, dann ist dies das Totalversagen der Bochumer Stadtführung in Sachen Menschlichkeit! Ja, auch deswegen bin ich traurig und wütend, nicht nur über die Zustände an den EU-Außengrenzen.

Aber ich freue mich, dass wir hier heute so viele Leute sind, um Druck dafür zu machen, dass die Stadt Bochum die heute von ihrem Sprecher verkündete Position revidiert. Und gemeinsam erinnern wir an den Ratsbeschluss zum sicheren Hafen, für den in Bochum viele tausend Menschen auf die Straße gehen mussten – bis die politische Mehrheit in diesem Rathaus endlich bereit war, einen entsprechenden Beschluss zu treffen. In dem Beschluss heißt es ganz eindeutig: Der Rat stellt fest, dass die Stadt Bochum bereit ist, geflüchtete Menschen zusätzlich zur Verteilquote aufzunehmen.

Zusätzlich zur Verteilquote! Den heute im Radio verkündeten Rollback der Stadt Bochum, nur auf die Verteilquote zu verweisen, über die dann vielleicht langfristig irgendwann mal 20 Menschen nach Bochum kommen können – diesen Rollback werden wir nicht hinnehmen!

Wir erinnern auch daran, dass die Stadt Bochum bei dieser Verteilquote nach wie vor einen Rabatt von 1.000 Menschen in Anspruch nimmt. Ja, richtig: Bochum bekommt immer noch 1.000 virtuelle Geflüchtete auf den Königsteiner Schlüssel angerechnet – und zwar alleine dafür, dass das Land NRW mit der Ansiedlung der zentralen Registrierungsstelle LEA in Bochum auch noch Arbeitsplätze in unserer Stadt geschaffen hat.

1.000 Geflüchtete muss Bochum also im Rahmen dieses Verteilschlüssels weniger aufnehmen als viele vergleichbare Städte. Das sind genau so viele, wie Ministerpräsident Armin Laschet jetzt großzügig angeboten hat, in ganz NRW aufzunehmen. Und dann meint ein Stadtsprecher, ausgerechnet auf diesen tollen Verteilschlüssel verweisen zu müssen?! Liebe Stadt Bochum, das geht so nicht!

Wir wissen auch, dass wir nicht alleine sind, und dass es selbst in diesem Rathaus hier hinter uns Leute gibt, die das genauso sehen wie wir. Darum fordern wir die Stadt Bochum auf, dieses Statement ihres Sprechers zurückzunehmen und sich ohne Wenn und Aber zu den Menschenrechten und zu zusätzlicher kommunaler Aufnahme zu bekennen! Und wir sagen: Das Angebot muss mit ganz konkreten, verlässlichen Zahlen unterfüttert sein, die sofort gelten, und nicht nur irgendwie abstrakt.

Dafür sind wir hier, dafür machen wir gemeinsam Druck – damit wir uns für unsere Stadt nicht mehr schämen müssen. Toll, dass ihr alle da seid! In diesem Sinne, wir müssen es immer noch laut und deutlich sagen: Bochum zum sicheren Hafen! Vielen Dank!