Gedenken am Tag der Befreiung - Rundgang am
8. Mai 2019 auf dem Friedhof am Freigrafendamm
Donnerstag 09.05.19, 19:21 Uhr

Rede von Felix Lipski


Sehr geehrte Damen und Herren!

Heute feiern wir, dass Nazi-Deutschland vor 74 Jahren die bedingungslose Kapitulation unterschrieben hat, wir feiern 74 Jahre seit der Befreiung des von Nazis besetzten Deutschland und Europa, 74 Jahre seit der Rettung der europäischen Juden von der vollständigen Vernichtung, 74 Jahre seit dem Ende des größten Blutvergießens der Weltgeschichte.

Dieser Krieg löschte das Leben von SECHZIG Millionen Menschen aus, darunter waren fast die Hälfte friedliche Zivilisten. Jeder zehnte Tote war ein Jude.

Den größten Schlag dabei erlitt die Sowjetunion und die Rote Armee. Das sowjetische Volk zahlte einen hohen Preis für den Sieg. 27 Millionen Menschen starben, davon 12 Millionen Soldaten und Offiziere.

Mehr als 3 Millionen sowjetische Bürger wurden dabei nach Deutschland gebracht und gezwungen zu arbeiten. Sie arbeiteten unter schwersten Bedingungen in den Kohlengruben und in der Stahlindustrie, in Fabriken, in der Kriegsindustrie und im Bau von unterirdischen Fabriken. Sie mussten zerbombte deutsche Orte säubern und Minen entschärfen.

Sie bekamen dafür nur wenig Essen, sie lebten in kalten Baracken, die mit Stacheldraht umzäunt waren, sie litten unter Hunger und Infektionskrankheiten, hatten keine medizinische Hilfe und bekamen dafür KEINERLEI Bezahlung.

Noch schlechter erging es den Kriegsgefangenen.

Von fast 5 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen sind 3,5 Millionen in KZs an Krankheiten, Kälte und Hunger gestorben oder wurden ermordet.

Der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck hat den Tod von mehreren Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen als eines der größten Verbrechen der Nazi-Zeit verurteilt.

Während der Kriegszeit arbeiteten in Nazideutschland mehr als 11 Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.

In Bochum (ohne Wattenscheid) arbeiteten mehr als 30 Tausend ausländische Arbeiter, unter ihnen 5 Tausend sowjetische Kriegsgefangene und 8 Tausend Ostarbeiter.

Im Bochumer Verein und „Eisen und Hüttenwerk“ arbeiteten im Sommer 1944 über 2000 Juden, die aus Ungarn deportiert wurden. Sie arbeiteten als Sklaven in zwei Außenlagern des KZ Buchenwald.

Während der Kriegsjahren starben in Bochum mehr 700 sowjetische Kriegsgefangene. Sie liegen in dem Massengrab im Gräberfeld Nr. 919. In anderen Gräberfeldern ruhen in Bochum ungefähr 1100 umgekommene Zwangsarbeiter: 807 aus der Sowjetunion, 78 aus Polen, 10 aus Frankreich, 25 aus Belgien, 11 aus Jugoslawien und 115 Unbekannte aus anderen Ländern, die in Europa besetzt waren und 93 Juden aus dem KZ Buchenwald auf dem Jüdische Friedhof an der Wasserstraße.

Auf dem Grabstein des Massengrabs der sowjetischen Kriegsgefangenen steht: „….Die Kriegstoten aller Völker mahnen zum Frieden. Den hier ruhenden sowjetischen Bürgern, den Opfern des Nationalsozialismus ……………… .. Vermachen uns eine Welt in Frieden….“

Wir sehen, dass gerade in den letzten Jahren fremdenfeindliche, antisemitische und rassistisch motivierte Gewalttaten zugenommen haben. In der deutschen Gesellschaft verbreiten sich neonazistische und rechtspopulistische Gedanken.

Der aktuelle Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus weist auf, wie verbreitet das Phänomen Antisemitismus und Antiisraelismus quer durch alle Gesellschaftsschichten in Deutschland ist. Nach dem Bericht verfolgen fast 40 Prozent aller Bürgerin und Bürger antisemitischen Positionen.

Antisemitismus ist ein wichtiges Merkmal des nazistischen und rechtsextremistischen Spektrums.

Der Anstieg an Flüchtlingen aus muslimischen Ländern kann laut Merkel einer der Gründe für den gestiegenen Antisemitismus sein. Die Kanzlerin nennt diese Situation ein „neues Phänomen“, auch redete sie über den Antisemitismus der vergangenen Jahre und sagte, es sei deprimierend, das jüdische Kindergärten, Schulen und Synagogen noch immer von der Polizei geschützt werden müssen.

Heiko Maas hat geschrieben: „Jeder Form von Antisemitismus müssen wir uns entschieden entgegen stellen. Wir müssen bei uns in Deutschland und weltweit alles tun, um jüdisches Leben zu schützen.“

Deutsche Studenten und Schüler haben sehr schlechte Kenntnisse über die Nazizeit, den 2. Weltkrieg und den Holocaust. Verantwortlich dafür sind schlechter Schulunterricht und schlechte Schulbücher.

ln fast allen Ländern der Europäischen Union verstärken sich neonazistische Bewegungen und Parteien, finden zahlreiche Demonstrationen mit Nazi-Symbolen statt, auf denen nationalistische und antisemitische Parolen skandiert werden. In den Parlamenten vieler europäischer Länder erhalten rechte Parteien eine große Anzahl an Sitzplätzen. Wir dürfen die Lehren aus der Geschichte nicht vergessen: Hitlers NSDAP kam 1933 auf parlamentarischem Weg an die Macht, nachdem sie bei den Reichstagswahlen auf 37% kamen.

Wir müssen aktiv gegen Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus, Fremdfeindlichkeit und religiöse Verfolgung vorgehen. Elie Wiesel, der Holocaustüberlebende, Schriftsteller und Nobelpreisträger hat gesagt: „WENN WIR VERGESSEN, SIND WIR SCHULDIG, SIND WIR KOMPLIZEN“

Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.