Dienstag 16.10.18, 08:19 Uhr

„Die Probleme warten nicht,
bis dein Bachelor fertig ist“



Zum Semesterstart an der Ruhr-Universität Bochum griff eine Gruppe politisch interessierter Menschen in einem gelungenen Stück Aktionskunst die Auseinandersetzungen um den Hambacher Wald auf, um die Neu-Immatrikulierten politisch im bewegten Bochum zu empfangen. Zeitgleich wurde ein Flyer (siehe unten) mit Kontaktdaten einer unvollständigen Liste offener politischer Gruppen in Bochum/im Ruhrgebiet verteilt. Dabei motivierte eine Aktivistin mit flammender Rede aus einer Baumkrone die Erstis dazu, sich für die Lösung der Probleme unserer Zeit (Klimawandel, Kapitalismus und Faschismus) einzusetzen, denn diese Probleme warten nicht, bis das Studium fertig ist. Es folgt die Rede, welche im Getöse des Erstsemesterempfangs nicht überall komplett hörbar war:

„Ganz so einfach, wie ihr es gerade gesehen habt, war die Auseinandersetzung um den Wald dann doch nicht.
Außerdem: es werden noch immer für das Festhalten an klimaschädlicher, mittelalterlicher Technologie, der Kohle, Menschen aus ihrem Zuhause vertrieben – seit ’45 in Deutschland mehr als 100.000. Der Hambacher Wald ist dabei nur eine Auseinandersetzung von vielen im Kampf gegen den Klimawandel und für eine lebenswerte Zukunft. Jahrelang haben Aktivistinnen Häuser im Wald gebaut, dort gelebt und durch ihren Widerstand den Blick der Öffentlichkeit auf diese schreiende Ungerechtigkeit gegenüber der Zukunft gelenkt. Unterstützt von Zehntausenden auf Straßen, Feldern und Wäldern wurde einer Politik der marktkonformen Demokratie ihre Grenzen aufgezeigt.
Der Hambacher Wald mag vorerst gerettet sein – aber die Bagger graben anderswo weiter und die Kraftwerke laufen ebenfalls, noch. Wann sagen wir endlich: „Ende Gelände“? Vielleicht ja vom 25.-29. Oktober?

Doch nicht nur der Kampf für Klimagerechtigkeit ist wichtiger Bestandteil des Kampfes um eine gerechtere Zukunft.

An den Außengrenzen der EU sterben tagtäglich tausende von Menschen – die vielbeschworenen Werte Europas ersaufen dabei im Mittelmeer, während unsere Politik redenschwingend zuschaut und gleichzeitig paramilitärische Organisationen wie Frontex weiter aufrüstet. Für die Seebrücke gingen in den vergangenen Wochen Hunderttausende auf die Straßen, am vergangenen Samstag allein in Bochum über 5000. Wir werden nicht aufhören bis die Festung Europa ihre Tore öffnet. Europa muss endlich konsequent Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtende.

Doch damit nicht genug:
Eine militarisierte Polizei verteidigt, nicht nur in Deutschland, weiterhin Konzernprofite statt Gerechtigkeit. Wir haben eine Politik die aus ’33 nichts gelernt hat. Wir haben Faschisten, wie die AFD, im Parlament, verharmlosten Alltagsrassismus, brennende Asylunterkünfte, rechte Morde & Terrorgruppen am laufenden Band. Diese werden – wie der NSU gezeigt hat – auch noch vom Staat & Geheimdiensten mindestens toleriert, gedeckt, wenn nicht sogar unterstützt. Spätestens die Ereignisse von Chemnitz haben gezeigt, dass eine weltoffene, solidarische und demokratische Gesellschaft kein Selbstläufer ist. Haben uns gezeigt, dass eine antifaschistische Haltung auch heute noch immer notwendig ist. Wir sind vielleicht mehr – aber wir sind nicht laut genug.
Die Vergangenheit lehrt uns: es ist geschehen, also kann es wieder geschehen. Wenn ihr euch fragt, wie es damals dazu kommen konnte – wir sind live bei der Neuaufführung dabei. Die Märkte und die Politiker*innen werden uns nicht retten. Das können wir nur selbst machen, also, organisiert euch!

Vielleicht habt ihr den Flyer bereits in der Hand, dort findet ihr eine unvollständige Liste mit politischen Gruppen zu verschiedenen Schwerpunkten in und um Bochum. Schaut mal vorbei – oder bildet gleich eure eigene Bande.

Im Laufe eures Studiums werdet ihr viele wunderbare Menschen kennenlernen, werdet neue Perspektiven und Interessen entdecken, werdet ausschweifende Partys feiern und zu verschiedenster Musik tanzen, wenn ihr wollt. Die Freiheiten, die sich euch in dieser Zeit eröffnen, sind auch ein Privileg. Nutzt Sie, genießt Sie! Die Mühlen und Herausforderungen des Alltags – Miete, Steuern, Familie? – werden euch noch früh genug heimsuchen.
Fragt euch selbst, ist euer einziger Traum wirklich nur ein lückenloser Lebenslauf? Oder doch eher ein buntes, aufregendes Leben mit Menschen aus aller Welt und dabei vielleicht sogar einen kleinen Teil dazu beigetragen haben, dass doch noch alles anders, alles besser werden kann?

Denn, die Probleme dieser Welt, ob nun Klimawandel, Kapitalismus oder Faschismus, warten nicht, bis euer Bachelor fertig ist. Also, worauf wartet IHR noch?“

Der Flyer als PDF