Sonntag 22.07.18, 20:43 Uhr

Die Verantwortung von OB Eiskirch im Skandal um die Abschiebung von Sami A.


Amtsrichter a. D. Ralf Feldmann wirft dem Bochumer Oberbürgermeister Eiskirch im Zusammenhang mit der Verschleppung von Sami A. nach Tunesien „persönliche Verantwortung für die Verletzung fundamentaler Verfassungsprinzipien“. In einem zweiten* Brief schreibt Ralf Feldmann: „In der Sondersitzung der Landtagsausschüsse erklärte Minister Stamp mehreren gleichlautenden Presseberichten zufolge, das Ministerium habe durchaus vom laufenden, noch nicht abgeschlossenen Verfahren gegen das Bamf gewusst, in dem der Betroffene Abschiebungshindernisse wie drohende Folter in Tunesien geltend machte. Minister Stamp sagte ferner, man habe absichtlich nur die allernötigsten Stellen von der für den 13. Juli mit einem Charterflugzeug geplanten Abschiebung unterrichtet, um zu verhindern, dass Informationen „durchgestochen“ würden. Zu den „allernötigsten Stellen“ gehört nun zweifellos das Ausländeramt der Stadt Bochum als die für das Asylverfahren primär zuständige Behörde.

Die Planung für die Abschiebung am 13. Juli lief seit dem 6. Juli; seit dem 9. Juli war klar, dass ein Charterflugzeug zur Verfügung stünde. Die zunächst schon für den 12. Juli geplante Abschiebung mit einem regulären Flug wurde storniert.

Ich gehe davon aus, dass die Stadt Bochum stets in die Planungen einbezogen war. Das Ausländeramt hatte für die rechtlichen Voraussetzungen einer Abschiebung zu sorgen, die Stadt Bochum die Kosten zu tragen: für den Einzelcharterflug ca. 35.000 Euro zuzüglich der Stornierungskosten für den ursprünglich geplanten Flug. Bezeichnenderweise entnahm das Verwaltungsgericht im Verfahren gegen das Bamf den ursprünglichen, später stornierten Abschiebetermin aus der Verwaltungsakte der Stadt Bochum, die es zu diesem Verfahren beigezogen hatte. Daraus folgt zugleich, dass das Ausländeramt das Verfahren gegen das Bamf und seinen Verfahrensgegenstand kannte. Die logistischen Vorbereitungen für die Abschiebung am 13. Juli waren am 9. Juli abgeschlossen, zu einem Zeitpunkt also, als das Verwaltungsgericht noch nicht einmal – und zwar im Verfahren gegen die Stadt Bochum – über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung entschieden hatte; das geschah erst am 11. Juli. Bis zur Durchführung der Abschiebung am 13. Juli war sowohl für das Ministerium als auch die Stadt Bochum die Gerichtsentscheidung über die Abschiebungshindernisse offen.

Minister Stamp vertritt nun die Auffassung, das ihm bekannte gegen das Bamf gerichtete Verfahren wegen der Abschiebehindernisse habe für die Durchführung der Abschiebung keinerlei Bedeutung, zumal dort noch nicht entschieden bzw. die Entscheidung noch nicht zugestellt gewesen sei. Immerhin räumt er inzwischen ein, von dieser Entscheidung, durch die die Abschiebung untersagt wurde, kurz vor 9 Uhr, also vor der Landung des Flugzeugs in Tunesien, erfahren zu haben, und die Bundespolizei weist darauf hin, das es mit unverzüglicher Reaktion technisch möglich gewesen wäre, die Abschiebung noch abzubrechen. Unabhängig davon: Die Auffassung des Ministers widerspricht eklatant gegen das Rechtsstaatsprinzip und die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG. Wenn an einer Maßnahme staatlicher Gewalt mehrere Behörden beteiligt sind und gegen eine von ihnen eine Klage noch nicht entschieden ist, können die anderen den grundgesetzlich garantierten Rechtsschutz nicht dadurch unterlaufen, dass sie Fakten schaffen. Wenn klar ist, dass ein Gericht noch über mögliche Abschiebehindernisse entscheiden wird, so muss das abgewartet werden. In der bisherigen juristischen Diskussion, aber auch in den politischen Kommentaren regionaler und überregionaler Leitmedien sehe ich niemanden, der dies ernsthaft bezweifeln würde.

Als jüngst in Mecklenburg-Vorpommern ein afghanischer Asylbewerber abgeschoben wurde, obwohl das Verwaltungsgericht über die Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags noch nicht entschieden hatte, war die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Maßnahme für die Beteiligten und in der öffentlichen Diskussion völlig unstreitig, wurde als bedauerliches Versehen angesehen, das durch Rückholung des Betroffenen unverzüglich zu korrigieren sei. Der Fall Sami A. unterscheidet sich davon dadurch, dass die ausstehende Gerichtsentscheidung nicht durch Schludrigkeit übersehen, sondern mit voller, verfassungsrechtlich unerträglicher Absicht und Arglist Willkür der Staatsgewalt über die Garantie gerichtlicher Kontrolle gesetzt wurde –
gipfelnd in der Verhinderung einer Kontaktaufnahme des Betroffenen mit seiner Anwältin zu Beginn und während des gesamten Abschiebevorgangs. War daran auf dem Weg von Büren nach Düsseldorf auch Begleitpersonal des Ausländeramtes Bochum beteiligt?

Warum hat die Stadt Bochum nun Beschwerde gegen die Rückholanordnung des Verwaltungsgerichts eingelegt und will damit die Folgenbeseitigung dieses Verfassungsbruchs in dem gegen sie gerichteten Eilverfahren verhindern? Dafür tragen Sie, Herr Oberbürgermeister, die persönliche Verantwortung. Sie waren vorher vielleicht nicht in jeden operativen Vorgang der Abschiebung persönlich eingebunden. Das Vorhaben an sich wird aber nicht an Ihnen vorbei gegangen sein. Die Stadt Bochum stand im Fall Sami A. im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Der rechtlich komplizierte Sachverhalt war niemals ein einfaches Geschäft der laufenden Verwaltung, sondern bedurfte stets der Zusammenarbeit von Ausländeramt und Rechtsdezernat. Es ist kollegiale Selbstverständlichkeit im Dezernentenkollegium, dass der Rechtsdezernent in einem solchen ebenso schwierigen wie politisch heiklen Fall den Oberbürgermeister auf dem Laufenden hält. Mit der Beschwerde, der Sie zugestimmt haben, bekräftigen Sie nun Ihre persönliche Verantwortung für die Verletzung fundamentaler Verfassungsprinzipien durch die Stadt Bochum.

Ich fürchte, dazu sind Sie gemeinsam mit Minister Stamp – und gegen die Landtagsfraktion Ihrer Partei – bereit, weil Sie sich auf einer Woge höchst ungesunden Volksempfindens berechtigt fühlen, das Grundgesetz beiseite zu lassen. Noch ist Zeit, die Beschwerde zurückzunehmen.

Vor 42 Jahren, als ich Richter wurde, ließ mich ein sozialdemokratischer Justizminister fragen, ob ich bereit sei, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten – ohne Anlass, denn ich war damals Mitglied der SPD, sogar Kreistagsabgeordneter und Jungsozialist. Ich habe nun leider allen Anlass, diese Frage an den sozialdemokratischen Oberbürgermeister einer Großstadt mitten im Ruhrgebiet zurückzugeben. Wie weit wollen Sie sich noch treiben oder jagen lassen?“

*Zum ersten Brief siehe „Das Ausländeramt und der OB im Umgang mit Rechtstaatsprinzipien – Legal, illegal, scheißegal

Die Bundespolizei hat nach Angaben der FAS bestätigt, dass es auch nach der Landung der Chartermaschine in Tunesien noch ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Abschiebung abzubrechen. „Folter ist eine rote Linie“