Montag 16.07.18, 18:33 Uhr
Das Ausländeramt und der OB im Umgang mit Rechtstaatsprinzipien

Legal, illegal, scheißegal


Der Entwurf für ein neues Polizeigesetz in NRW hat deutlich gemacht, dass führende PolitikerInnen bestimmte Rechtsstaatsprinzipien (z. B. das Prinzip der Unschuldsvermutung) nicht mehr für selbstverständlich halten. Der Präsident des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen Bernhard Fessler hat den zeitlichen „Ablauf der gerichtlichen Verfahren um die Abschiebung eines als Gefährder eingestuften Tunesiers“ veröffentlicht. Hieraus geht hervor, dass es sich bei der Abschiebung von Sami A. offensichtlich um eine Entführung und Verschleppung gehandelt hat, bei der die Bochumer Ausländerbehörde und wohl auch die Stadtspitze  sehr wahrscheinlich beteiligt war. Amtsrichter a. D. Ralf Feldmann schreibt in einem Brief an den Oberbürgermeister: »Der Presse entnehme ich, dass die Stadt Bochum gemeinsam mit Flüchtlingsminister Stamp Rechtsmittel einlegen will gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, dass Sami A. wieder nach Deutschland zurückzuführen sei. Die Hauptverantwortung für die Abschiebung wird im öffentlichen Streit zur Zeit Bundesinnenminister Seehofer und dem Bamf und dem beharrlich schweigenden Flüchtlingsminister unseres Landes zugemessen. Durch die angekündigte Kampfgenossenschaft der Stadt Bochum mit dem Flüchtlingsminister, eine gerichtlich angeordnete Rückführung des Betroffenen zu verhindern, rückt eine Beteiligung der Stadt am Geschehen ins Licht der Öffentlichkeit. Sie wirft folgende Fragen auf:

1.) Wie war das Ausländeramt der Stadt Bochum an der Abschiebung beteiligt?

2.) Wussten Ämter der Stadt Bochum, dass die Abschiebung bevorstand, obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen über einen dagegen gerichteten Antrag des Betroffenen noch nicht entschieden hatte? Kannten sie insbesondere mehrfache Bitten des Vorsitzenden Richters um eine „Stillhaltezusage“, die behördliche Fakten vor einer Gerichtsentscheidung verhindern sollten? Wussten sie, dass andere  Behörden sich auf ein „Stillhaltezusage“ nicht einlassen wollten?

3.) Wenn die Stadt Bochum diesen Kenntnisstand hatte:  Warum hat sich die Stadt Bochum dann unter Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Artikel 19 Grundgesetz an der Abschiebung beteiligt und warum will sie nun mit einem Rechtsmittel gegen die Rückführungsanordnung des Gerichts die Folgenbeseitigung des Verfassungsbruchs verhindern?

Dass staatliche Gewalt aus eigener Willkür außerhalb gerichtlicher Kontrolle agieren konnte, war ein Wesensmerkmal des nationalsozialistischen Unrechtsstaats. Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes mit der Rechtsschutzgarantie des Artikels 19 ist die unabänderliche Antwort darauf.

Gilt das noch für den Sozialdemokraten Thomas Eiskirch oder schließt er sich seinem Bochumer Parteifreund Serdar Yüksel an, der im Fall Sami A. die Loslösung vom Grundgesetz ausdrücklich begrüßt?  Nicht weit entfernt von der Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der AfD Alice Weidel, die die Besorgnis des  Verwaltungsgerichts, Sami A. könnte in Tunesien der Folter ausgesetzt sein, als „Systemversagen“ beschimpft; der Fall zeige, wie sehr sich Behörden und Gerichte vom „gesunden Menschenverstand“ entfernt hätten.

Damals stellten sie „das gesunde Volksempfinden“ über das Recht. So weit darf es in Bochum nicht wieder kommen.«