Montag 27.02.17, 15:21 Uhr
Neuer Wohnungsmarktbericht:

Wohnungskampf in Bochum?


von Norbert Hermann, Bochum Prekär
Seit Jahren schon klagen Sozialberatungsstellen verschiedenster Ausrichtung, dass es zunehmend schwieriger geworden ist, preiswerten Wohnraum anzumieten. Viele Grundsicherungs- oder Hartz IV-Abhängige müssen einen Teil der Wohnkosten vom eh zu knappen Geld für den Lebensunterhalt abknapsen, wenn sie nicht nervenaufreibend vor Gericht ziehen wollen. Hunderte Haushalte im Jahr räumen unter unmittelbarem Zwang ihre Wohnung, andere gehen zuvor „freiwillig“ oder werden – wenn sie Glück haben – von der dazu verpflichteten kommunalen Stelle „gerettet“. Hunderten wird Strom und Gas abgestellt. Derzeit gibt es zunehmende Kritik an der herrschenden Wohnungsvermarktungspolitik. Alles was aus dieser Richtung kommt ist richtig und sehr gut. Die oben beschriebene Probleme sind allerdings weniger in ihrem Blick. Wo hakt es bei ihnen?

Schön dass die Stadt und andere aus ihrem jahrelangen Dornröschenschlaf aufgewacht sind. Bochum-Prekär weist schon seit langem auf Probleme hin. „Was soll das denn?“ hieß es. „Der Wohnungsmarkt ist doch entspannt.“ Es gäbe tausende leerstehende Wohnungen. Zwangsräumungen seien nicht durch Wohnungsmangel sondern durch Armut bedingt – wobei Letzteres zunehmend ein Hindernis wurde, eine passende der knapper werdenden (Ersatz-) Wohnung zu finden.

Dem Thema „Zwangsräumungen“ hat sich – nach großer Skepsis eines Besseren belehrt – das „Mieterforum“ des Mietervereins bereits in 2013 angenommen. Ende letzten Jahres auch die Linksfraktion (1), dankenswerterweise nach Hinweis auch mit einer Beschwerde über die mehr als zwei Millionen Euro im Jahr, um die Betroffenen die Wohnungskosten gekürzt werden.

Das Thema Wohnraummangel wird allerdings erst durch die Not bei der Unterbringung Geflüchteter wahrgenommen. Dabei kamen nicht nur aus der Praxis sondern auch in Medien (2) und aus der Wissenschaft (3) längst Meldungen über die sich abzeichnende Schieflagen. Sie wurden vom Schreibtisch unter Verweis auf die dubiose Stromzählererhebung ignoriert. Die Ursache kann erahnt werden, wenn mensch den Titel der oben erwähnten Stellungnahme der Linksfraktion bewusst zur Kenntnis nimmt: „Unsichtbare Armut“ heißt es da. Unsichtbar ist die nur für Menschen, die sich nur in ihrer Blase, in ihrer Parallelgesellschaft bewegen und nicht erleben, was sich im Rest der Stadt abspielt.

Durch den Wohnungskampf der Geflüchteten wurde die Wohnungsnot offenbar. Insbesondere der Mieterverein hat mit seinen “ Thesen zur Kommunalen Wohnungspolitik“ bahnbrechendes geleistet (4). Das Netzwerk »Stadt für Alle« hat – wohl darauf basierend – aktuell eine Stellungnahme (5) veröffentlicht. Sehr gut hier der Hinweis auf  eine drohende Subventionierung von privaten Investoren durch weitgehende verlorene Zuschüsse im Sozialen Wohnungsbau, verbunden mit der Forderung nach dem Aufbau eines kommunalen Wohnungswesens (6). Die Möglichkeit der Bildung von Genossenschaften wird für viele Betroffene am fehlenden Grundkapital scheitern – das zeigen aktuelle Probleme bei der Planung neuer Mehrgenerationenhäuser. Die Linksfraktion nennt die Situation zurecht „besorgniserregend“ (7). Ihr Bezug ist die gerade veröffentlichte sehr informative und tatsächlich offen Besorgnis zeigende Wohnungsmarktbericht 2016 (8).

Sie alle aber sind vorwiegend zukunftsorientiert und lassen den oben beschriebenen zunehmenden Druck auf  Menschen, die sich die schon bewohnte Wohnung nicht mehr leisten können oder keine neue finden außen vor. Sie müssen sich die Frage erlauben lassen, ob sie sich vielleicht im Grunde Gedanken machen um ihre eigene Zukunft und ihren Lebensstil.  Sicherlich ist das Ziel linker Politik ein Leben in „Freiheit und Glück“ – aber für alle. Voraussetzung dafür ist allerdings die Freiheit von existentieller Not – auch für alle!

Die Hartz IV-Mietobergrenze muss umgehend realistisch erhöht werden, es muss ein Moratorium für finanziell bedingte Zwangsräumungen und ein Stopp von Strom- und Gasabschaltungen her. Wie in einer Veranstaltungsankündigung (9) davon die Rede sein kann, dass die Wohnungsmarktsituation in Bochum „kein wirkliches Mengenproblem“ aufweise, bleibt unverständlich angesichts weit mehr als tausend wohnungsloser Menschen in den Flüchtlingslagern und ständigem weiterem Zugang. Zudem benötigt ein funktionierender Wohnungsmarkt neben einer Fluktuationsreserve ein Angebot an mietbarem Wohnraum über die Nachfrage hinaus.

Richtig sind die Forderungen, kurzfristig alle vorstellbaren Möglichkeiten zu entwickeln und anzuwenden, um kurzfristig aktivierbaren Leerstand und umbaufähige Büroetagen verfügbar zu machen. Dabei können durchaus kreative Lösungen erwünscht sein: Ein großer Teil der Betroffenen – seien sie Geflüchtete oder schon länger hier Lebende – ist jung und Single und vielleicht auch aufgeschlossen für Varianten wie den früheren Kult der „Fabriketage“. Besser als die Lager ist das allemal.

Unverständlich bleibt, warum die undogmatische und emanzipatorische Linke sich nur anhängt an die (guten) Vorschläge der etablierten und institutionalisierten Akteure und sie keinen eigenen Stil entwickeln. Der kann nur darin bestehen, die Betroffenen (wieder) zu den Protagonisten des Wohnungskampfes zu machen. Sie müssen unterstützt werden zur Selbstermächtigung, sich gegen ihre vielfältige Diskriminierung, Marginalisierung und Verelendung zu wehren. Das kann nur außerhalb der institutionalisierten Politik gehen, im Jobcenter, im Wohnungsamt, vor dem Rathaus. Den Anfang machen könnte ein Sozial-/Arbeitslosenzentrum mit Sozialberatung im Kortländer-„Kiez“, dort wo Bochum-Nord beginnt und wo Menschen verdrängt  werden weiter nach Norden. Bis nach Castrop-Rauxel wird schon gesucht.

(1) http://linksfraktionbochum.de/2016/11/unsichtbare-armut-jeden-zweiten-tag-eine-zwangsraeumung-in-bochum/

(2) http://www.derwesten.de/staedte/bochum/nur-noch-zwei-prozent-leerstand-auf-bochumer-wohnungsmarkt-id7918613.html

(3) https://www.bo-alternativ.de/aktuell/wp-content/uploads/2017/02/Leerstandsquote-Bochum-2009-2014-statista.pdf

(4) Positionen zur Kommunalen Wohnungspolitik (Sommer 2016):

https://www.mieterverein-bochum.de/fileadmin/inhalte/pdf/download-seite/Mieterverein_Bochum_-_Wohnungspolitische_Positionen_2016.pdf

(5) Positionen des Netzwerks »Stadt für Alle« zum »Handlungskonzept Wohnen« der Stadt Bochum (Februar 2017):

https://www.bo-alternativ.de/aktuell/wp-content/uploads/2017/02/Positionen-des-Netzwerks-Stadt-fuer-Alle.pdf

(6) dazu das Grundsatzpapier der „Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau“:

http://www.inkw-berlin.de/

Ergänzung dazu: „Den kommunalen Wohnungsbau als Klassenfrage behandeln“

http://www.trend.infopartisan.net/trd0914/t270914.html

(7) https://www.bo-alternativ.de/2017/02/21/besorgniserregender-wohnungsmarkt/

Der aktuelle Wohnungsmarktbericht 2016

(8) www.bochum.de/wohnungsmarktbericht (Kurzbericht S. 6); Auszüge:

„Der Bochumer Wohnungsmarkt hat sich in den letzten zehn Jahren schleichend aber stetig von einer eher entspannten zu einer angespannten Situation entwickelt.

… Die Mieten sind in Bochum seit 2010 langsam aber stetig angestiegen. …

Im regionalen Vergleich liegen die Mieten in Bochum auf einem überdurchschnittlichen Niveau. …

Ein Großteil der Gebäude wurde zwischen 1949 und 1969 gebaut, etwa 29 % der Gebäude sind noch älter. …

Vermutlich dürfte ein nicht unerheblicher Teil dieser Leerstände nur schwer zu aktivieren sein und dem Wohnungsmarkt damit zeitnah nicht mehr zur Verfügung stehen. …“.  – Über – so oder so – erzwungene Wohnungsräumungen macht der Bericht leider keinerlei Aussagen.

(9) https://www.bo-alternativ.de/2017/02/20/bietet-bochum-genug-wohnraum-fuer-alle/

Weiter Quellen beim Verfasser, teils nur zur persönlichen Einsichtnahme.