Grußwort an die Bochumer Kundgebung gegen die Kriegsbeteiligung in Syrien am 3. 12. 2015
Donnerstag 03.12.15, 20:15 Uhr

Sevim Dagdelen


Leider kann ich heute nicht bei euch sein und sende euch ein kurzes Grußwort aus Berlin zu. Nachdem ich heute zum Antrag der Linksfraktion „Keine militärische Antwort auf Terror“ im Bundestag geredet habe und dieser Antrag leider von Union, SPD und Grüne abgelehnt wurde, gegen die Stimmen der Linken, bin ich zum jetzigen Zeitpunkt, nach 17:30 Uhr, mit Hunderten ja Tausenden Menschen am Brandenburger Tor und protestiere gegen den neuen Kriegseinsatz der Bundesregierung in Syrien.
Gestern hat die Bundesregierung ihren Antrag auf einen Kriegseinsatz in Syrien im Bundestag eingebracht, morgen schon sollen wir Abgeordnete darüber abstimmen.
Im Eiltempo wollen CDU, CSU und SPD das Land in einen Krieg stürzen. Weder das Gebiet noch die Dauer dieses neuen sog. „Krieg gegen den Terror“ dauern soll. Noch ist eine politische Strategie erkennbar. Wird dieser Krieg über 10 Jahre dauern, wie es der Bundeswehrverband angibt? Wen werden Sie als Bodentruppen für ihren Krieg in Syrien nehmen? Al-Kaida-Verbände und islamistische Terrormilizen, die dann als moderate Rebellen um etikettiert werden? Auf alle diese entscheidenden Fragen, hat die Regierung uns Abgeordneten und der Öffentlichkeit keine Antworten gegeben. Im Ausschuss waren nur Sprechblasen zu vernehmen. Dieses Kriegsabenteuer lehnt DIE LINKE ab! Wir Linke sind solidarisch mit der französischen Bevölkerung, aber diese Solidarität kann doch nicht bedeuten, dass wir als Antwort auf die barbarische Ermordung von Zivilisten in Paris, jetzt Zivilisten in Mali, Afghanistan und Syrien per Bombenkrieg töten.
Wie ein Schüler, der sich gerade dadurch unglaubwürdig macht, dass er fünf verschiedene Gründe für sein Zuspätkommen anführt, nennt der Antrag der Bundesregierung verschiedenste vermeintliche Rechtsgrundlagen für den Einsatz. Jedoch, keine einzige ist tragfähig. Die Wahrheit ist: der Einsatz ist weder vom Völkerrecht noch vom Grundgesetz gedeckt! Sie führen hier einen Angriffskrieg! Es gibt keine UN-Sicherheitsratsresolution, die die terroristischen Anschläge von Paris als bewaffneten Angriff auf das Hoheitsgebiet Frankreichs wertet und explizit das Selbstverteidigungsrecht nach UN-Charta Artikel 51 erwähnt. Es gibt auch kein Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. Und ich sage, wenn wir im Völkerrecht anfangen so wie die Regierung das tut, uns nur das rauszusuchen was uns passt, dann ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Diese Zertrümmerung des Völkerrechts wird Die LINKE nicht mitmachen! Wir sagen NEIN zu diesem Angriffskrieg! Union und SPD machen hier die Willkür zum Recht! Und das kann, ja das darf man nicht zulassen.
Als Grundlage für diesen Krieg beruft sich die Bundesregierung auf die Aktivierung der EU-Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages der Europäischen Union. Sie behaupteten sogar um den Einsatz grundgesetzlich zu legitimieren die EU sei „ein kollektives Sicherheitssystem“. Doch diese Lüge der Bundesregierung ist schon nach 24 Stunden in sich zusammengebrochen. Denn ihre Behauptung widerspricht diametral dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu eben diesem EU-Vertrag! Das Gericht hat eindeutig festgelegt, dass auch die EU des Lissabonner Vertrages kein ich betone kein kollektives Sicherheitssystem ist. Dazu kommt, dass sie auf dem Rat der Verteidigungsminister nicht einmal abstimmen ließen, als es um die Aktivierung der Beistandsklausel ging. Per Zuruf schlitterte die EU, wie es Staatssekretär Steinlein des Auswärtigen Amtes meiner Fraktion gegenüber ausdrückte „in den Krieg“.
Dieser willkürliche Umgang mit dem Recht wird sich noch rächen! Und sie streuen Sand in die Augen der Menschen! Es geht hier nicht um die Entsendung von ein paar Tornados. Es geht um einen großen, völlig entgrenzten Krieg. Und die ganze Hast liegt darin, dass sich der Widerstand in der friedliebenden Bevölkerung nicht formieren soll. DIE LINKE aber steht an der Seite der Friedensbewegung. Wir sagen NEIN zur der Politik des überstürzten Kriegseintritts.
Die Bundesregierung behauptet, sie wolle in Syrien Feuerwehr spielen. Doch in ihrem Feuerwehrwagen sitzen jede Menge Brandstifter. Dort sitzt das Terrorregime Saudi-Arabiens. Dort sitzen die Terrorunterstützer aus Katar und der Türkei. Während Sie gemeinsam mit dem Terrorpaten Erdogan angeblich Krieg in Syrien gegen den IS führen wollen, lässt Erdogan die Kurden in Syrien bombardieren und meinen Freund, den Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, inhaftieren. Man wirft ihm vor Fotos veröffentlicht zu haben, die Waffenlieferungen der Türkei an den IS zeigen. Während die Regierung Erdogan in Zukunft großzügig finanziell unterstützen will, läuft der gesamte Ölschmuggel des IS über die Türkei. Und der Erdogan-Clan ist darin tief verwickelt. Jetzt mehren sich die Berichte, dass die Türkei frische Waffen an den IS schickt. Und Sie, die Bundesregierung, kann nicht einmal ausschließen, dass die deutschen Waffen, die sie fröhlich weiter an die Türkei liefert, nicht von Herrn Erdogan direkt an den IS weitergereicht werden.
Das ist doch organisierter Irrsinn! Wenn man den IS wirklich bekämpfen wollte, hätte man dazu viele Möglichkeiten ohne sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu beteiligen. Eine davon wäre, die Brandstifter nicht im Feuerwehrwagen Platz nehmen zu lassen und dem IS endlich den Nachschub an Waffen und Geld abzudrehen!
Aus der Erfahrung der beiden verlorenen Weltkriege hatte Willy Brandt einst gefordert: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen. Wir stehen dazu! Lasst uns die Stimme erheben, überall Protest laut werden lassen und das Friedensgebot Willy Brandts erneuern: Kein Krieg von deutschem Boden!