Samstag 06.06.15, 10:20 Uhr

Das bisschen Haushaltssperre


Das Presseamt der Stadt Bochum hat am Freitag vergangener Woche in einer Presseerklärung mitgeteilt, dass der Regierungspräsident den Haushalt der Stadt genehmigt hat. Wörtlich heißt es darin: »Ein guter Tag für Bochum und die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt. Mit der Haushaltsgenehmigung sind die Handlungsspielräume der Kommune sichergestellt und der Weg frei, geplante Investitionen insbesondere in die Infrastruktur und in die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes zu gewährleisten”, freut sich Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz. “Bochum kann die anstehenden Aufgaben unter verlässlichen finanziellen Rahmenbedingungen angehen.”« Fünf Tag später schreibt das Presseamt in einer neuen Mitteilung, dass eine Haushaltssperre verhängt wurde. Im Haushalt klafft ein Loch von 20 Millionen Euro. Manche Leute fragen sich dann natürlich, was die OB und ihr Stab wohl am Mittwoch vor einer Woche geraucht haben mögen, als sie von “verlässlichen finanziellen Rahmenbedingungen” träumten. Mangelnde Zurechnungsfähigkeit ist aber wahrscheinlich nicht der Grund für das, was wir finanzpolitisch in Bochum erleben.
Die Sache hat schließlich System. Im letzten Jahr haben die Verantwortlichen z. B. die Kommunalwahl abgewartet, eine Schamfrist von vier Wochen vergehen lassen und dann mitgeteilt, dass sie plötzlich ein 40 Millionen-Euro-Loch entdeckt haben. (Siehe Beitrag SPD und Grüne haben kurze Beine.) Das heißt: Der Kämmerer gibt den Ratsmitgliedern für die Etatberatungen regelmäßig überhöhte Zahlen über die zu erwartenden Einnahmen. In der Debatte über den Haushalt müssen die PolitikerInnen dann nicht ganz so brutal eingestehen, wie die Pleite ihrer Stadt aussieht. Sie können so tun, als wären sie handlungsfähig und könnten über Gelder der Stadt entscheiden.  Und ganz wichtig: Die Genossen in der Bezirksregierung können feststellen, dass Ausgaben und Einnahmen sich im vereinbarten Rahmen bewegen. Der Haushalt kann also genehmigt werden.
Nach einiger Zeit stellt der Kämmerer dann völlig überrascht fest,
– dass die Einnahmen nicht so sprudeln, wie erwartet,
– dass tatsächlich so viele Flüchtlinge kommen, wie es außer ihm alle erwartet haben  und
– dass Land und Bund gar nicht daran denken, die Kommunen angemessen finanziell auszustatten und damit ihrem verfassungsgemäßem Auftrag nachzukommen.
Dieser regelmäßig völlig überraschende Tatbestand zwingt den Kämmerer, eine Haushaltssperre zu verhängen.
Damit ist der kommunalpolitische Normalzustand hergestellt. Der politisch beschlossene Haushalt ist Makulatur. Jetzt bestimmt wieder allein die Verwaltung, wofür noch Geld ausgegeben wird. Es gibt keine politischen Entscheidungen mehr und damit  auch keine öffentliche Diskussion darüber, wofür wie viel Geld ausgegeben wird. Das Handeln der Verwaltung wird als vom “Sachzwang diktiert” verkauft. Mit dem Hinweis auf die Finanzaufsicht der Bezirksregierung wird jeder Diskurs über finanzpolitische Entscheidungen abgewürgt.
Gleichzeitig werden Gelder für prestigeträchtige Investitionen freigegeben. Schließlich ist die Stadt ja pleite und es wirkt großartig, wie mit einem geringem finanziellen Eigenanteil unsere Stadtoberen ganz viele Subventionen in die Stadt holen. Wer will da Nein sagen. Über die zukünftig anfallenden Folgekosten für den Haushalt wird geschwiegen.
Das Ping-Pong zwischen Stadtverwaltung und Bezirksregierung zur Ausschaltung der Politik und der Öffentlichkeit aus den finanzpolitischen Entscheidungen basiert auf einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Stadt und der Bezirksregierung aus dem Jahr 2011. KritikerInnen haben diesen Prozess damals exakt vorhergesagt. (Siehe Beitrag “Neue Wege zum Sozialabbau?”.)
In der Pressemitteilung, in der die diesjährige Haushaltssperre verkündet wird, ist beschrieben, wie der Prozess zur Ausschaltung der Politik und der Öffentlichkeit bei Finanzentscheidungen weitergehen soll: »Auf Vorschlag der Oberbürgermeisterin hat der Verwaltungsvorstand beschlossen, eine strategische Steuerungsgruppe Konsolidierung einzurichten. Derzeit wird geprüft, inwieweit eine externe fachliche Mitarbeit den Arbeitsprozess unterstützen kann. Die Steuerungsgruppe wird unmittelbar an das Dezernat der Oberbürgermeisterin angebunden und als kontinuierlicher Arbeitsprozess angelegt. Dabei werden sowohl konkrete Maßnahmen zur Konsolidierung auf den Weg gebracht wie auch deren zügige Umsetzung gesteuert.« Treffender lässt sich kaum formulieren, dass Ratsmitglieder und Öffentlichkeit sich aus finanzpolitischen Entscheidungen raus halten sollen. In Zukunft wird also neben dem grünen Kämmerer auch noch eine Gruppe bei der SPD-Oberbürgermeisterin Entscheidungen der Verwaltung “zügig” umsetzen. Die Fraktionen von SPD und Grünen werden intern erfahren, was entschieden wurde. Die übrigen Ratsmitglieder werden gemeinsam mit der Öffentlichkeit gelegentlich aus den Medien erfahren, was ohne sie entschieden wurde.
Fairness halber muss noch erwähnt werden, dass es sich bei dem hier beschriebenen Vorgang um keinen spezifischen Bochumer Skandal handelt. Ein solches Vorgehen ist auch in anderen Städten anzutreffen. Und so lange sich ausreichend viele Menschen einreden lassen, dass kein Geld für öffentliche Aufgaben da sei und es nicht zu verändern ist, dass die Zuteilung des Reichtums in unserer Gesellschaft auf einige wenige beschränkt bleibt, wird die Haushaltssperre zur kommunalpolitischen Alltagserscheinung gehören.