Dienstag 27.01.15, 20:08 Uhr

Beitrag von Birgit Naujoks auf dem Empfang der Sozialen Bewegung am
25. 1. 2015 im Bahnhof Langendreer


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Thema Flüchtlinge hat im letzten Jahr auch in Medien und Politik enorm an Aktualität gewonnen. Im Vordergrund des Interesses stand und steht vor allem die Unterbringungssituation auf Landesebene und in den Kommunen. Den medialen Höhepunkt erreichte das Thema durch die schrecklichen Misshandlungsfälle in einigen Landesaufnahmeeinrichtungen. Erst in deren Folge räumte die Politik zaghaft Versäumnisse ein und begann zu reagieren. Schnell, nämlich einen knappen Monat später, wurde der Flüchtlingsgipfel von Frau Kraft einberufen. Dort wurden Maßnahmen beschlossen, die eine zügige Verbesserung der Situation bewirken und den sogenannten Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik des Landes offenbar werden lassen sollten.

So wurde unter anderem angekündigt, Kontrollen in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes durchzuführen. Es verwundert, dass das Wahrnehmen der Aufsichtspflicht des Landes in der Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit war.

Die Standards für die Landesunterbringung sind ein wenig weiterentwickelt und veröffentlicht worden – jedoch immer noch sehr entfernt von dem, was Freie Wohlfahrt und wir fordern. Die gestiegene Gesprächsbereitschaft beim MIK lässt hoffen, dass wir in den Prozess der Weiterentwicklung von Standards eingebunden werden.

300 neue Lehrerstellen sollen geschaffen werden – eine überfällige und notwendige Maßnahme, da in manchen Kommunen Kinder teilweise bis zu einem Jahr auf ihre Beschulung warten müssen. Es bleibt abzuwarten, ob die eingerichteten Stellen ausreichen werden, denn Schulplätze in ausreichender Zahl vorzuhalten, ist nicht nur hinsichtlich Flüchtlingskinder problematisch, sondern betrifft in einigen Kommunen auch Kinder aus Neu-EU-Staaten.

Als letzte Maßnahme aus dem „Paket“, das die Landesregierung geschnürt hat, möchte ich die Erhöhung der Kostenpauschale für die Kommunen nennen. Sicher, die Landesregierung hat hier viel Geld, nämlich über 40 Mill. Euro, in die Hand genommen. Doch zum einen war NRW zuvor das Bundesland mit der geringsten Kostenerstattung an die Kommunen für die Unterbringung und Versorgung ihrer Flüchtlinge. Zum anderen fließen die Mittel in Form einer Pauschale. Der Verwendungszweck wird also nicht geprüft. Es liegt nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass diese zusätzlichen Mittel zwar den Haushalt der Kommunen aufbessern werden, wenn auch nicht in einem erheblichen Maße, die Gelder jedoch nicht allerorts für die Verbesserung der Situation von Schutzsuchenden eingesetzt werden.

Teilweise sind die Kommunen in NRW schon lange auf einem ordentlichen oder guten Weg hinsichtlich der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen oder befinden sich gerade in einem Veränderungsprozess. Das trifft jedoch leider nicht auf alle Kommunen zu. Da es keine normierten Mindeststandards für die Unterbringung gibt, werden Flüchtlinge in manchen Kommunen auch zukünftig in 20 Jahre alten, maroden Containern oder ähnlichen Behelfseinrichtungen untergebracht. In manchen Unterkünften teilen sich vier Personen einen Raum von 10 qm Größe. Teilweise steht Flüchtlingen nicht einmal ein Spind zur Verwahrung persönlicher Habe zur Verfügung. Die hygienischen Verhältnisse in vielen Gemeinschaftsküchen und –bädern sind untragbar. Die Aufzählung vorhandener Missstände ließe sich noch weiter fortführen.

Und dabei spreche ich nicht von Notunterkünften, deren Einrichtung in einigen Kommunen notwendig geworden ist. In manchen Kommunen dominiert nach wie vor das Prinzip der Abschreckung. Mehrkosten durch die teurere Form der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften werden dabei trotz vielerorts bestehender Haushaltssicherung in Kauf genommen. Die Hauptforderung des Flüchtlingsrates NRW ist die Unterbringung von Flüchtlingen in Privatwohnungen. Ein Raum, für den jeder selbst verantwortlich ist, und der Rückzugs- und Ruhemöglichkeiten bietet, sollte jedem Menschen selbstverständlich zur Verfügung stehen. Allerdings lassen dies derzeit die Verhältnisse in zahlreichen Städten nicht zu. Doch auch in bestehenden, ich scheue mich, für einen jahrelang anhaltenden Zustand das Wort „Notsituationen“ zu verwenden, muss eine menschenwürdige Unterbringung zu jeder Zeit gewährleistet sein.

Der Flüchtlingsrat NRW hat deshalb vor kurzem eine Petition mit der Forderung nach Einführung normierter Mindeststandards in Gemeinschaftsunterkünften gestartet. Sie und Euch alle möchte ich bitten, diese zu unterstützen und weiter zu verbreiten. Unsere Flyer mit dem entsprechenden link habe ich als Druckversion mitgebracht, auf unserer Website steht er auch in PDF-Version zur Verfügung.

Doch es geht nicht nur um Unterbringung. Es geht um die grundsätzliche Einstellung gegenüber und den Umgang mit Flüchtlingen, sowohl seitens der Politik als auch seitens der Gesamtgesellschaft. Die Politik spricht hier oft mit gespaltener Zunge, z.B. durch die Unterteilung von Schutzsuchenden in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge oder durch das Betonen einer Willkommenskultur auf der einen Seite und die rechtlichen Beschränkungen und die tatsächliche Situation von Flüchtlingen andererseits.

Zu nennen ist hier beispielsweise der vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf zur „Neubestimmung Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“. Heribert Prantl schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung: „Dieser Gesetzentwurf ist das Schärfste und das Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit der Änderung des Asylgrundrechts vor 21 Jahren eingefallen ist“, sowie der Entwurf sei „Perfidie in Paragrafenform.“  Und er hat recht damit. Mit der Einführung der neuen Haftgründe könnte zukünftig theoretisch fast jeder Flüchtling in Abschiebungshaft genommen werden. Und die geplanten Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbote sind quasi lex specialis für Menschen aus Serben, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Rassismus per Gesetz.

Auch wenn der Bundesrat dem Gesetz nicht zustimmen muss, sollte versucht werden, die SPD auf Landesebene dafür zu gewinnen, sich auf Bundesebene gegen das Gesetz zu stellen.

Die Politik muss ihre gesetzliche Verpflichtung und humanitäre Verantwortung für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen öffentlich betonen und Schutzsuchende nicht immer als, im besten Fall finanzielle, Belastung darstellen. Eine nachhaltige Integrationspolitik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene ist Voraussetzung für eine gelingende Willkommenskultur, die auch in der Gesellschaft verankert sein soll.

Denn auch die Gesellschaft zeigt sich gespalten. Teile der Bevölkerung stehen Flüchtlingen ablehnend gegenüber. Bei manchen beruht dies auf Vorurteilen, die sich in Unbehagen oder Angst manifestieren, bei anderen liegt dem eine fremdenfeindliche Gesinnung zugrunde. Unter dem Motto „Kampagne gegen Asylmissbrauch“ hat PRO NRW 2013 und 2014 Kundgebungsreisen durchgeführt, bei denen Parteivertreter vor bestehenden oder geplanten Flüchtlingsunterkünften demonstriert haben. Bis auf einen Fall in Duisburg, wo sich etwa 200 Anwohner der Kundgebung anschlossen (dort war gerade eine neue Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge im Gespräch), beschränkte sich die Zahl der Aktivisten indes auf etwa 10-20 Personen, während bei den Gegendemonstrationen durchschnittlich jeweils etwa 150 Personen anwesend waren.

Doch nun scheint Stimmungsmache (auch) gegen Flüchtlinge einen neuen Aufschwung zu erleben und en vogue zu sein. Die PEGIDA-Bewegung versucht in vielen Städten Fuß zu fassen. In Dresden haben sich zum Teil mehrere tausend Menschen an den Demonstrationen beteiligt, die sich vordergründig gegen die Islamisierung des Abendlandes, aber damit auch gegen die Menschen muslimischen Glaubens wenden. Es ist erschreckend, dass einschlägige Neonazis unter dem Vorwand drohender Terrorgefahr alle Anhänger einer Weltreligion in Verruf bringen können und damit mancherorts solche Erfolge erzielen.

Gerade in westdeutschen Städten hat die Bewegung bislang nicht so viel Zulauf. Wir alle sollten hoffen und uns dafür einsetzen, dass dies auch so bleibt. Zuversicht verspricht das steigende Engagement für Flüchtlinge. Vielerorts bilden sich Willkommensinitiativen, die Angebote für Flüchtlinge bereithalten. Es melden sich auch bei uns Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen und mit ihnen in Kontakt kommen möchten.

Wenn wir unsere Gesellschaft daran bemessen, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, zu denen auch Flüchtlinge zählen, sollten uns diese positiven Signale Ansporn sein, bestehende Missstände zu beseitigen.

Ein friedliches und gelingendes Miteinander ist nur möglich, wenn die Gesellschaft dahinter steht und jedes einzelne Mitglied seinen Beitrag leistet.

Es bleibt viel zu tun. Arbeiten wir weiter daran.