Von Ralf Feldmann, Friedensplenum Bochum
Nur dreieinhalb Monate benötigte die Staatsanwaltschaft Bochum um zu erkennen: Es ist nicht strafbar, wenn sich zwei Menschen neben dem Wahlkampfstand einer Partei aufstellen, die zum Krieg bereit ist, und dabei ein Protestbanner zeigen mit Parteilogo und der Aufschrift “Kinder für die Bundeswehr für Kriege weltweit“. Im rechtlichen Spontangefühl eines Polizeibeamten, der meinte, das Banner beschlagnahmen zu müssen, war das Verunglimpfung.
Der wackere Diener der Regierungspartei dachte im Vorverständnis seiner rechtlichen Beurteilung wohl an Majestätsbeleidigung und rechtlich wahrscheinlich an Verleumdung. Aber Wahrheit ist niemals Verleumdung. Und es ist leider wahr: CDU, SPD, die Grünen und die liberalen Parteien und Gruppierungen im Bochumer Rat von FDP bis UWG wollen auf den jährlichen Berufsbildungsmessen in Bochum Kriegsdienstwerbung von 14/15-jährigen Kindern für die Kriege einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee. Beim sogenannten Staatsschutz der Polizei war auf Vorladung zu erfahren, die Staatsanwaltschaft stufe die Aussage des Protestbanners zwar als “grenzwertig“ ein, aber vom Grundrecht freier Meinungsäußerung letztlich “noch gedeckt“. Wahrheit hat also nur so gerade eben noch einen Wert, wenn sie sich gegen die Kriegsbereitschaft staatstragender Parteien richtet, für die weltweite Kriegsteilnahme zur Staatsräson des vereinigten Deutschland gehört. Dass die Bundeswehr auch von Bewerbern für vorgeblich zivile Berufe der Interventionsarmee die Bereitschaft zu weltweiten Einsätzen erwartet, diese grenzwertige Wahrheit wollte ein Offizier für Kriegsdienstwerbung auf der Berufsbildungsmesse immerhin nicht bestreiten.
Wenn Wahrheit schon keine Verleumdung ist, dann muss die Art der Wahrheitsverbreitung doch wenigstens gegen das Versammlungsgesetz verstoßen. So dachte CDU-Geschäftsführer Schary versehen mit der Einfalt einer erfolgreichen rechtswissenschaftlichen Ausbildung, in der Grundrechte wohl kein Schwerpunkt waren. Und auch die Staatsanwaltschaft sah mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens einen Anfangsverdacht. Nun fängt in Nordrhein-Westfalen aber eine Versammlung erst mit drei Teilnehmern an. Diese – durchaus willkürliche – Zahl ist gefestigte Rechtsprechung, auch wenn die Polizei hierzulande analog zu neuen Versammlungsgesetzen in anderen Bundesländern die Information verbreitet, bereits zwei Personen mit gemeinsamer öffentlicher Botschaft seien eine Versammlung. Sie möchte offenbar Bürgerinnen und Bürger bei der Ausübung des Ur-Grundrechts der Meinungsfreiheit zur vorherigen polizeilichen Anmeldung zwingen, um dann mit Auflagen und Lenkungsmaßnahmen alles im Griff zu haben. Auf diese Fallstricke des Versammlungsrechts hatten wir uns im Friedensplenum mit der strikten Beschränkung unserer Kleinstaktion auf jeweils zwei Personen durchaus eingestellt.
Dabei ist für unsere Protestform diese Orientierung am Versammlungsbegriff der Rechtsprechung keineswegs zwingend. Denn es ging uns gar nicht um eine eigene Versammlung. Wir wollten vielmehr das Angebot zur öffentlichen Kommunikation annehmen, das CDU und andere Parteien mit ihren genehmigten Wahlkampfständen eröffnet hatten. Allein ein wilhelminisch verseuchtes Grundrechtsverständnis könnte von Bürgerinnen und Bürgern verlangen, sich dem Außenposten einer staatstragenden Partei im Wahlkampf nur mit gebeugtem Rücken zu nähern, um in höchster Zufriedenheit demütig um eine verbilligtes Würstchen oder eine warme Waffel zu bitten. Nein: Mit der Meinungsfreiheit erwartet das Grundgesetz, dass die Menschen den Parteien an ihren Wahlkampfständen “die Meinung“ sagen, auch provokativ und nach außen sichtbar die andere, nicht geschätzte Meinung, und auch zu mehreren Personen gleichzeitig. Darf man sich nach dem Grundrechtsverständnis der CDU ihrem Wahlkampfstand stets nur einzeln nähern? Zu einer Mahnwache mehrerer mit einem Protestbanner gegen ihre Politik aber nur nach 48-stündiger Voranmeldung bei der Polizei? Will die CDU im nächsten Wahlkampf politischen Widerspruch an ihrem Wahlkampfstand erneut kriminalisieren oder möchte sie ihrem Wertegerüst nach dem Fehlschlag der Strafanzeige nun einen kleinen Schuss Grundrechtsfreude hinzufügen?
Solange in Bochum mit städtischem Segen Kinder für weltweiten Kriegsdienst geworben werden sollen, haben die dafür verantwortlichen Parteien darüber Rechenschaft abzulegen. Gerade auch öffentlich im Wahlkampf. Denn deutscher Kriegsdienst wird in Bündnissen geleistet, die Menschenwürde, – nach dem Grundgesetz unantastbareres und unabänderliches Fundament und Ziel unserer Gesellschaft – als verzichtbaren Restwert missachten und für die Menschenrechte und Völkerrecht lästige, aber überwindbare Einsatzhindernisse sind. In diesen Tagen erfahren wir von systematischer Folter britischer Soldaten und Soldatinnen im Irakkrieg. Die schon bekannten Grausamkeiten der Foltervormacht USA in den Folterlagern Abu Ghraib und Guantanamo, Verschleppungen deutscher Staatsbürger und Foltertransporte durch unser Land wurden und werden von unseren Regierungen gleich welcher Couleur nahezu kritiklos beschwiegen. Vielfältig war eigene deutsche Beihilfe im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Bündnispartner gegen den Irak. Zu US-Drohnenexekutionen, die sich über fundamentale, seit dem Mittelalter geltende Menschenrechte ebenso hinwegsetzen wie über die Souveränität fremder Staaten, liefern deutsche Geheimdienste Hilfen für die Zielkoordinaten; ein deutscher US-Stützpunkt ist die Leitstelle solcher Hinrichtungen.
All dies beschreibt den Schuldzusammenhang, in den wir Kinder stoßen, wenn wir sie zum Kriegsdienst locken. Nicht verschwiegen werden darf die moralische Verrohung der eigenen Streitkräfte, in denen ein Oberst zum General befördert wird, nachdem er 142 ganz überwiegend zivile Menschen, darunter viele Kinder, unter Missachtung der Regeln zur Kriegsführung zu Tode bomben ließ. Da überrascht nicht, dass die Traumatisierungen von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nach Kriegseinsätzen weiter zunehmen.
Verbesserung der Akzeptanz einer Bundeswehr für weltweite Kriege ist ein Ziel des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD. Dabei sollen Schulen und Berufsbildungsmessen für Bundeswehrwerbung frei verfügbar sein. Die neue Kriegsministerin, Mutter von sieben Kindern, fordert, Kriegsdienst familienfreundlicher zu gestalten, die Bundeswehr “im Kampf um die besten Köpfe“ “zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland“ zu machen. In den Beinhäusern des Ersten Weltkriegs sind beste Köpfe, die ihren Rumpf verloren haben, zuhauf zu besichtigen. Zu wertvoll sind unsere Kinder für solches Töten und Sterben in Kriegen weltweit. Daran ist am Beginn des Jahres 2014, 100 Jahre danach, mit widerständiger Trauer zu erinnern.
Montag 13.01.14, 21:53 Uhr
Die Werbung fürs Töten und Sterben geht weiter