Donnerstag 20.06.13, 18:01 Uhr

Kein Mensch flieht freiwillig!


Pünktlich zum  internationalen Tag des Flüchtlings am 20. Juni veröffentlicht der UNHCR aktuelle Zahlen: 45,2 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. So viele wie seit 1994 nicht mehr. Aus diesem Anlass fordert der Flüchtlingsrat NRW Politik und Öffentlichkeit auf, »Lebensrealitäten von Flüchtlingen ernst zu nehmen und diskriminierende Pauschalisierungen zu unterlassen.« Weiter heißt es in der Erklärung: »Sowohl  die rechtliche Situation von Flüchtlingen als auch die offensive Stimmungsmache gegen Zugewanderte sind Zeichen einer stigmatisierenden und ausgrenzenden Entwicklung im deutschen und europäischen Flüchtlingsdiskurs. Auf zwei weitreichende und beschämende Folgen des deutschen Asylkompromisses von 1993 soll zum internationalen Tag des Flüchtlings hingewiesen werden. Das Prinzip der sicheren Drittstaaten ist eine Säule der von Union, FDP und SPD beschlossenen Einschränkung des Asylrechts. Wer über einen „sicheren Drittstaat“ -also einen EU-Mitgliedsstaat, Norwegen oder der Schweiz- eingereist ist, hat seinen Anspruch, in Deutschland Schutz zu finden, bereits deshalb regelmäßig verloren, weil Deutschland für das Asylverfahren dann nicht mehr zuständig ist.
Da die Schutzstandards und Schutzquoten in den europäischen Staaten aber oftmals noch immer erheblich voneinander abweichen, ist es für Flüchtlinge nicht unerheblich, welcher EU-Staat für ihr Asylverfahren zuständig ist.  Auch die vom Europäischen Parlament vor wenigen Tagen verabschiedete Neufassung der Dublin II-Verordnung (Dublin III) wird zu keiner erheblichen Verbesserung dieser Misere für die Flüchtlinge führen. Zudem wurde das Asylbewerberleistungsgesetz, welches  erheblich reduzierte Sozialleistungen und eine schlechtere medizinische Versorgung insbesondere für Asylsuchende und Geduldete vorsieht, als diskriminierendes Sondergesetz eingeführt. Auch dieses Instrument sollte „Asylmissbrauch einen Riegel vorschieben“ und spiegelt die ausländerfeindliche Stimmung der 1990er Jahre wider. Im Juli 2012 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Höhe der dort geregelten Grundleistungen als evident unzureichend und gab dem Gesetzgeber vor, eine verfassungsgemäße Neuregelung dieses Gesetzes zu verabschieden. Dies ist bis heute nicht geschehen.
Ganze Gruppen von Flüchtlingen werden unter den rassistischen Generalverdacht gestellt, aus rein wirtschaftlichen Gründen in die Europäische Union und speziell nach Deutschland zu kommen. Gleichzeitig werden Personen, die das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht als schutzberechtigt anerkennt, als „Sozialschmarotzer“ denunziert. Das Bild von Menschen, die ihre Heimat für die unsichere Perspektive auf ein paar Euro mehr verlassen, wird plausibel geredet. Pauschale Asylmissbrauchsvorwürfe sind der Gegenentwurf zu einem respektvollen Umgang mit Menschen, die in Angst und Not vor Unfreiheit und Gefahr flüchten.
Die Rhetorik des Bundesinnenministers Friedrich, der die Debatte um EU-interne Armutsflüchtlinge undifferenziert führt, trägt zur Diskreditierung aller Flüchtlinge in der allgemeinen Diskussion bei.
In die gleiche Kerbe schlägt Nordrhein-Westfalens Innenminister Jäger, indem er beschleunigte Asylverfahren für Bürger aus Mazedonien und Serbien fordert. Solche beschleunigten Verfahren führen dazu, dass für die rechtlich gebotene individuelle Prüfung von Fluchtgründen in der Asylpraxis nochmals weniger Zeit und Raum bleibt. Wenn steigende Flüchtlingszahlen angesichts von humanitären Krisen wie der in Syrien oder der prekären Lage von Roma in Europas Osten zu Notsituationen und einer Gefährdung der inneren Sicherheit gemacht werden, werden dadurch Szenarien und Ängste kreiert, die mit aktuellen Zahlen nicht zu begründen sind.
Der Flüchtlingsrat NRW fordert einen respektvollen Umgang mit Flüchtlingen und eine Anerkennung ihrer speziellen Lebenssituation. Niemand flieht freiwillig: Flucht ist ein Kampf gegen menschenrechtswidrige Lebensumstände.«