Samstag 30.03.13, 08:29 Uhr

Neues Deutschland: Polizei gegen Religionsfreie?


34 Jahre hat die dogmatismus-kritische Komödie »Das Leben des Brian« mittlerweile auf dem Buckel, doch in Bochum sorgt eine für den heutigen Karfreitag geplante Aufführung des Films für einigen Wirbel. »Bochumer Atheisten provozieren mit ›Das Leben des Brian‹«, titeln an durchaus prominenter Stelle die im Ruhrpott bedeutsamen Medien der WAZ-Gruppe. Dürfen aufgeklärte Menschen in einem angeblich säkularen Land auch an jenem Tag unterhaltsame Filme aufschauen, an dem Christen in aller Welt des angeblichen Kreuzigungtodes ihres »Heilandes« gedenken? Oder wird die Polizei ausrücken, dies zu unterbinden? Mit dem Aktivisten Martin Budich, der den geplanten Filmabend als »gezielte Provokation« mitorganisiert, sprach für »nd« Marcus Meier.
Martin Budich ist Politaktivist aus Bochum und Mitbetreiber des Webportals bo-alternativ.de. Seit 25 Jahren leitet er das Ludwig Quidde Forum, eine staatlich anerkannte radikaldemokratische Weiterbildungseinrichtung
nd: Die Initiative »Religionsfrei im Revier« will heute, zwei Tage vor dem Hasenfest, jenem Tag also, der manchen gläubigen Christen als Karfreitag gilt, den Film das »Leben des Brian« der Komikertruppe Monty Python aufführen. Vorab entspann sich ein reger Briefwechsel mit diversen Behörden. Warum?
Martin Budich: Der Wortlaut des Feiertagsgesetzes NRW hatte uns zu Fragen angeregt. Dort heißt es, dass am Karfreitag »die Vorführung von Filmen, die nicht vom Kultusminister oder der von ihm bestimmten Stelle als zur Aufführung am Karfreitag geeignet anerkannt sind«, verboten ist. Da wollten wir gern wissen, welches die »bestimmte Stelle« ist und ob es einen Katalog von »geeigneten Filmen« gibt. Die Bezirksregierung hat uns dann mitgeteilt, dass die »Freiwillige Kontrolle der Filmwirtschaft« die zuständige Zensureinrichtung sei. Korrekt heißt die Firma »Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH« (FSK). Die FSK betonte allerdings, dass sie ausschließlich Aussagen für die Filmwirtschaft treffe. Sie prüfe die Eignung für kommerzielle öffentliche Filmvorführungen. Sie treffe ausdrücklich keine Aussagen über die Eignung für private Filmvorführungen. Die Bezirksregierung hat dann wiederum verlauten lassen, dass das Kultusministerium die Feststellung zur Eignung von Filmen für alle Bereich übernehme.
Verstehe ich Sie richtig? Eine GmbH, die für die private Filmwirtschaft spricht, übernimmt für den Staat quasi-hoheitliche Aufgaben, indem sie bestimmt, welche Filme an Karfreitag aufgeführt werden dürfen. So werden die Interessen der Kirche im Jahr 2013 gewahrt?
Die FSK ist eine komplizierte Konstruktion, die in erster Linie den Jugendschutz, das heißt konkret die Altersbeschränkungen für Filmbesucher und Filmbesucherinnen verbindlich regelt. Die Zensurfunktion für die stillen Feiertage wie den Karfreitag ist eine lästige Nebenaufgabe. Wer möchte schon Zensur- oder gar Inquistionsbehörde sein? Ich denke, das Gesetz ist der Skandal, nicht seine fragwürdige Umsetzung.
Entscheidend bei der juristischen Bewertung ist die Frage, ob es sich um eine öffentliche Filmaufführung handelt oder eine in privatem Rahmen. Sie bewerben den Film öffentlich und die Aufführung soll, für jedermann zugänglich, im Sozialen Zentrum Bochum stattfinden. Auch die im Ruhrgebiet mächtigen Medien des WAZ-Konzernes berichten sehr prominent über die geplante Veranstaltung. Das ist ziemlich öffentlich, oder?
Der Karfreitag ist der am härtesten eingeschränkte Feiertag. Hier wird die Verbotsgrenze in NRW nicht zwischen öffentlich und privat gezogen, sondern zwischen Wohnung und außerhalb der eigenen vier Wände. Mit unserer Anfrage wollten wir uns bestätigen lassen, dass am Karfreitag sogar die nicht-öffentliche Vorführung eines inkriminierten Filmes verboten ist, wenn dies außerhalb einer Privatwohnung geschieht.
Die Obrigkeit haben Sie selbst vorgewarnt. Rechnen Sie damit, dass die Polizei oder eine andere Ordnungsbehörde die Filmaufführung unterbinden wird?
Bochum hat mit dem völlig überzogenen Stadtwerke-Honorar für Peer Steinbrück und mit der drohenden Drittklassigkeit des VFL Bochums in letzter Zeit schon genug blamable überregionale Aufmerksamkeit erzeugt. Ich vermute unsere Einladung, sich ein weiteres Mal zu blamieren, wird nicht angenommen.
Jeder dritte Deutsche gehört mittlerweile keiner der beiden großen Amtskirchen mehr an. Von denen, die noch verblieben sind, hadern viele mit ihrer Kirche. Dieses Land wähnt sich aufgeklärt. Ist das Aufführungsverbot da nicht ein Anachronismus?
Aufgeklärt? Das Aufführungsverbot, beziehungsweise das gesamte Feiertagsgesetz mit seinen anderen Verboten ist ja nur ein besonders gut geeignetes Objekt, um auf eine Vielzahl solcher Anachronismen hinzuweisen. Die seit mehr als 200 Jahre vom Staat an die Kirchen geleisteten »Staatsleistungen« sind ein viel größerer Skandal. Andere Beispiele sind die Befreiung der Kirchen von der Grundsteuer, die staatliche Bezahlung der Polizei- und Militärseelsorge, die kostenlosen Werbesendungen der Kirchen im Fernsehen und Rundfunk, der »Gotteslästerungs«-Paragraph 166 des Strafgesetzbuches, die staatlichen Konfessionsschulen oder die christlichen Vorschriften bei den Friedhofsordnungen.
Sind wir denn aus Ihrer Sicht nirgendwo säkular?
Nicht nur bei erfolgreichen Revolutionen haben wir Defizite. In Sachen Aufklärung und Säkularisierung ist man uns in vielen Nachbarländern weit voraus. Dies hängt unter anderem mit dem Hitler-Vatikan-Pakt zusammen. Das Reichskonkordat als erstes internationales Abkommen des deutschen Faschismus hat den Kirchen wichtige Privilegien verschafft. Die evangelische Kirche als engagierter Wegbereiter Hitlers war indirekter Nutznießer des Konkordates. Keine anderen großen Organisationen haben so unbeschadet den Faschismus überstanden, während die kirchenkritischen Kräfte in SPD und KPD physisch vernichtet wurden. Die Legislaturperiode Ende der 50-Jahre, in der Adenauer respektive die Union über die absolute Mehrheit im Bundestag verfügten, hat die Aufklärung dann endgültig um fast ein Jahrhundert zurückgeworfen.
Inwiefern?
Beispiele hierfür sind: Der staatlicher Kirchensteuereinzug, die Übereignung des Sozialwesens durch das Subsidiaritätsprinzip an die Kirchen, ein Arbeitsrecht, das heute mehr als 1,2 Millionen Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen vom Betriebsverfassungsgesetz ausschließt – und das in Einrichtungen, die weitgehend vom Staat finanziert werden! Aber auch staatliche Konfessionsschulen, in denen SchülerInnen und LehrerInnen auf Grund ihres Glaubens legal diskriminiert werden dürfen, sind in anderen nicht-fundamentalistischen Ländern kaum denkbar. Auch die Mitgliederschulung der Kirchen an unseren Schulen, die unter dem Namen Religionsunterricht angeboten wird, ist in Frankreich oder selbst den USA ein Ding der Unmöglichkeit.
Das »Leben des Brian« attackiert nicht nur Wahn, Sektierertum und Dogmatismus religiöser, sondern auch Menschen linken, tja, Glaubens. Vielleicht sind die entsprechenden Passagen sogar noch böser und komischer. Warum fühlen sich vom Monty-Python-Film Religiöse immer wieder provoziert und beleidigt, während die meisten Linken darüber lachen herzhaft können?
Das liegt daran, dass es die Kirchen geschafft haben, Kritik an ihnen und ihrer Ideologie zu tabuisieren, während Kritik an politischen Gruppen und Positionen normal ist. In den letzten Monaten sind in der ARD Sendungen gelaufen, da hätte sich der bayrische Rundfunk vor 15 Jahren noch aus dem gemeinsamen Programm ausgeschaltet.
Herr Budich, Sie bezeichnen sich selbst als »staatlich anerkannter Gottesläster«. Was hat es damit auf sich?
Ich denke, wer letztinstanzlich rechtskräftig nach dem Paragrafen 166 StGB, dem alten Gotteslästerungsparagraphen verurteilt worden ist, der hat das Recht, sich mit diesem Titel zu schmücken.
Warum genau wurden Sie verurteilt?
Die Arbeiterwohlfahrt hatte Ende der 70er-Jahre eine Beratungsstelle für Schwangerschaftsabbrüche in Essen geplant, in der auch Abtreibungen vorgenommen werden sollten. Der katholische Mob lief Amok. Gleichzeitig bezeichnete Kardinal Höfner Frauen, die abtreiben: Sie seien schlimmer als als KZ-Mörder. Es gab eine Demo in Essen, bei der Frauen ein Transparent trugen mit der Aufschrift »Maria, hättest Du abgetrieben, der Papst wär ›uns erspart geblieben‹«. Ich saß damals im nordrhein-westfälischen Landesvostand der Jungdemokraten…
… der seinerzeit durchaus ausgesprochen linken Jugendorganisation der FDP…
… und eine Vorstandskollegin schrieb einen Artikel über die Demo für die Landesverbandszeitung, für die ich verantwortlich war. Ich fand der Spruch treffend und setzte ihn als Überschrift über den Artikel. Monate später hat ein empörter Vater einer Jungdemokratin die Zeitung mit dem besagten Artikel an die katholische »Bildpost« geschickt. Die veröffentlichte den Artikel im Faksimile.
Wie nett!
Nun ja. Es gab mehr als 150 Anzeigen aus der gesamten BRD. Allein aus einem bayrischen Dorf kam ein Dutzend Anzeigen. Der Bischof von Regensburg klagte wegen »Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes«.
Also des Papstes.
Der Bischof war aber nicht antragsberechtigt. Der Rest waren Klagen nach Paragraf 166.
Der Richter fand den Paragrafen nicht sonderlich prickelnd und konnte schmunzeln, als ich im Schlussplädoyer erleichtert feststellte, dass vor dem Gerichtsgebäude kein Scheiterhaufen aufgebaut sei. 150 Anzeigen machten seiner Ansicht nach deutlich, dass der Beitrag geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören. Dass die Bildpost den Unfrieden gestiftet hatte, spielte keine Rolle. So wurde ich zu 200 DM auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungshilfe hat nie Kontakt zu mir aufgenommen, wie man heute noch feststellen kann.
Ihre Resozialisierung steht also noch aus.
Offensichtlich…
Der Paragraph 166 des Strafgesetzbuches soll die Beschimpfung nicht nur von Religionsgesellschaften, sondern auch von nicht-religiösen Bekenntnissen und Weltanschauungsvereinigungen unterbinden. Zeigt der Staat sich da nicht vorbildlich säkular, indem er zumindest auf dem Papier Katholiken, UFO-Gläubige und Maoisten gleichermaßen vor unbotmäßiger Kritik schützt?
Ich bin ziemlich gut über die Praxis des Paragrafen 166 informiert. Mir ist kein einziger Fall bekannt, bei dem auch nur Anklage erhoben worden ist, weil eine marxistische Weltanschauung verunglimpft wurde. Das wäre auch ein Paradoxon. Ursprünglich sollte der Paragraph Gott vor Schmähungen der Menschen schützen. Ein paar Hundert Jahre später erkannten Kirchengelehrte, dass es ziemlich blasphemisch ist, wenn sich Menschen anmaßen, den angeblich Allmächtigen zu schützen.
Also galt der »Gotteslästerungs«-Paragraf plötzlich selbst als gotteslästerlich…
Exakt. Schutzgegenstand des Paragraphen wurden dann zunächst die Menschen, die nun durch den Paragraphen vor dem Zorn Gottes bewahrt wurden. In der Strafrechtsreform vor 50 Jahren erhielt der Paragraph ein neues zu schützendes Etwas: den öffentlichen Frieden. Strafbar ist seitdem, Religionen oder Weltanschauungen in einer Art und Weise zu verunglimpfen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Ein Straftatbestand, der immerhin zu Abwehr von Bürgerkriegen und ähnlichem Ungemach eingeführt worden ist.
Hand aufs Herz: Hätten Sie erwartet, mit solch einem ollen Filmschinken wie »Das Leben des Brian« solches Aufsehen zu erregen?
Ich denke, der kleine Trick, der bei uns funktioniert hat, war, dass wir die zuständigen Zensurbehörden als solche tituliert haben, bei ihnen öffentlich angefragt haben, wie die Anwendungspraxis des Feiertagsgesetzes aussieht. Nicht der Film sondern die Existenz des Feiertagsgesetzes erregt Aufsehen. Der Film ist dabei ein hervorragender Sympathie-Träger, um deutlich zu machen, wie anachronistisch das Gesetz ist.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/817216.polizei-gegen-religionsfreie.html