Donnerstag 08.03.12, 09:11 Uhr
Ein Comic-Kunst-Projekt von Gilbert Geister und Matthias Schamp

„Das partizipative Geflecht“


Unter „Beteiligung von 76 BürgerInnen sowie einem Hund, die die Reise in eine gezeichnete Welt angetreten haben“ haben Matthias Schamp als Autor und Gilbert Geister als Zeichner „Das partizipative Geflecht“ verwirklicht. Matthias Schamp ist Inhaber einer kleinen, gutgehenden Sinnsucherei in Bochum. Mit seinem Partner konnte er das Projekt im Rahmen eines Projektstipendiums im Kunsthaus Kloster Gravenhorst. Hierbei machten zahlreiche BesucherInnen von dem Angebot Gebrauch, selber in einem Comic aufzutauchen. Bei Porträtsitzungen entstanden Bilder, die in dem Comic eingebaut wurden. Die TeilnehmerInnen durften hinsichtlich ihres Auftretens Wünsche äußern. Im partizipativen Geflecht wurden sie wahr!
Über die Handlung des Buches heißt es in der Ankündigung:
»Geisterman und Schampman – die beiden gezeichneten Alter Egos der Macher Gilbert Geister (Bild) und Matthias Schamp (Story) – sind auf den Weg nach Gravenhorst. Im Kunsthaus wartet bereits eine Menge Leute, die in dem Comic mitspielen wollen. Alle haben spezielle Wünsche, die Schampman und Geisterman wahr machen wollen. Dabei entwickelt sich die Handlung sehr chaotisch.
Und es gibt zwei geheimnisvolle Gegenspieler, die ein Ungetüm freilassen: Das partizipative Geflecht! Nach und nach lässt das partizipative Geflecht sämtliche Teilnehmer verschwinden. Und zwar in den Zwischenraum: Das ist der imaginäre Bereich zwischen zwei aufeinanderfolgenden Comic-Bildern, in dem die logische Verknüpfung stattfindet – der aber selber unsichtbar bleibt.
Mehr und mehr entgleitet die Handlung Geistermans und Schampmans Kontrolle. Im Gegenzug gewinnen ihre Gegenspieler an Macht.
Wenn das Partizipative Geflecht sämtliche Inhalte aus einem Panels gesaugt hat, klappt dieses um. Die Rückseite ist schwarz.
Als von der ursprünglichen gezeichneten Comicwelt nur noch eine Brücke mit Schampman und Geisterman übrig ist, kommt es auf den Seiten 31 und 32, die beim Vor- und Zurückblättern ein Geheimnis offenbaren, zum Showdown. Endlich zeigen die Gegenspieler ihr wahres Gesicht.

Der künstlerische Gedanke
Bei allem anarchisch-chaotischen Witz entpuppt sich der Comic als tiefgründige Analyse. Wie schon bei ihrem Comic Der Gulp, den das Duo 2008 für den Dortmunder Kunstverein realisierte, wird eine Situation in sich selbst gespiegelt und dadurch hinterfragt. Dort war die Ausgangslage eine Ausstellung, hier ist es ein partizipatorisches Kunstprojekt.
Was treibt die Menschen an, sich an so einem Projekt zu beteiligen? Die Personen, die in dem Comic auftreten, sollten vorher ihr Verhältnis zum Medium Comic skizzieren. Einige der Äußerungen finden sich in den Sprechblasen ihrer Porträts wieder: „Wunschwelten ohne Grenzen, die Umsetzung ewiger Träume“. Oder: „Als Kind habe ich stundenlang Comics gelesen und dabei Süßigkeiten genascht, die ich von meinem Taschengeld gekauft habe. Das war meine kleine Glückswelt.“
In welchem Verhältnis stehen Abbild und Abgebildetes? Die realen Personen, die in den Comic reisen, treffen dort auf Comicfiguren, die davon träumen, in die dreidimensionale Wirklichkeit vorzustoßen.
Die spezielle Räumlichkeit des Comics wird geradezu seziert: Dem Zwischenraum zwischen den Panels kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Und selbst der Raum, der durch die Dicke eines Blattes gebildet wird, diese winzige Spanne, die die eine Seite Bedruckung von der anderen Seite Bedruckung scheidet, wird ins Spiel gesetzt…
Zudem finden alle möglichen Arten von Verschachtelungen statt. Das Matruschka-Prinzip: Wer dem gezeichneten Zeichner in einem Panel über die Schulter schaut, entdeckt auf dem Tisch dieselbe Seite – an der er offenbar gerade arbeitet – in minituarisierter Form. Eine unendliche Progression…
So wird die Architektur des Mediums aufgebrochen. Spiegelungen – ob in Gewässern oder in einer Zauberkugel – spielen eine große Rolle. Und sind nicht auch die Wünsche der Beteiligten Projektionen, also Bilder, mit denen sie sich (egal ob realistisch oder nicht) in die Welt hinein entwerfen? „In einem Sissy-Kleid eine lange Treppe runterschreiten“. Oder: „Mit der ganzen Familie auf einem fliegenden Teppich reisen“. Oder: „Eine Ameise sein, die ein Vielfaches ihres Körpergewichts tragen kann“.
Im partizipativen Geflecht werden diese Wünsche wahr!

Das partizipative Geflecht
Matthias Schamp (Autor), Gilbert Geister (Zeichner)
Verlag: DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst / Kreis Steinfurt
Erscheinungstermin: Februar 2012
ISBN 978-3-926619-91-4
Auflage: 1500 Exemplare
44 Seiten, Softcover, Preis: 12 €

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