Dienstag 27.09.11, 06:00 Uhr
Drogenkonsumraum: Darf die Krisenhilfe in der Innenstadt bleiben?

Aus den Augen, aus dem Sinn


In der am morgigen Mittwoch erscheinenden BSZ Nr. 880 schildern Hanno Jentzsch und Karsten Finke die erneuten Versuche, die Bochumer Drogenberatungsstelle von ihrem jetzigen zentralen Standort zu vertreiben:  Die Bochumer Krisenhilfe hat regen Zulauf, 365 Tage im Jahr. Sie bietet Abhängigen einen sicheren Raum zum Konsumieren von Heroin und anderen Drogen. Unmittelbar in der Nähe des neu entstehenden Viktoria-Quatiers ist das Vielen ein Dorn im Auge. Der Bebauungsplan sieht dort ein „Kreativquartier“ vor, in dem „hochwertige Nutzung“ Priorität habe. Oder anders: Wenn in ein paar Jahren das Konzerthaus entstehen soll, müssten die Besucher_innen mit dem direkten Blick auf drogenabhängige Menschen leben. Manche finden das offensichtlich unzumutbar: Mitglieder der CDU und FDP haben nun erneut angeregt, die Krisenhilfe zu verlagern, spätestens, wenn der Mietvertrag in drei Jahren ausläuft.
Die Krisenhilfe ist in ihrer Arbeit allerdings auf einen Standort in der Innenstadt angewiesen. „Es wäre unsinnig, den Ort zu wechseln, wenn die Abhängigen hier sind“, sagt Geschäftsführer Friedhelm Lemm. Die Krisenhilfe hat so viel Zulauf wie noch nie in ihrer 35jährigen Geschichte. Dies hängt auch mit dem Standort zusammen: Ob die Gegner_innen es wollen oder nicht: Dort, im angeblichen Kreativquartier, findet der Handel mit Drogen statt. Die Innenstadtlage bietet die nötige Anonymität, um das Hilfsangebot halbwegs angstfrei nutzen zu können, und die meisten Abhängigen wohnen hier. Außerdem gibt es bereits Erfahrungswerte aus anderen Städten: In Bielefeld wurde die Drogenhilfe aus der Innenstadt in den Randbereich verlegt. Der neue Ort wird kaum aufgesucht. „Es muss darum gehen, den Menschen zu helfen und nicht darum, sie einfach nicht zu sehen“, so Dr. Heinrich Elsner, Leiter der Methadon­ambulanz in der Krisenhilfe.
Der Drogenkonsumraum ist das Herzstück der Krisenhilfe. Hier können drogenabhängige Menschen seit mittlerweile zehn Jahren unter Aufsicht von Krankenpfleger_innen ihre mitgebrachten Drogen konsumieren und dadurch ihre Gesundheitsrisiken zumindest etwas reduzieren. Die Klient_innen müssen sich anmelden und bekommen sterile Nadeln. Immer wieder kommt es nach dem Heroinkonsum zu Kreislaufzusammenbrüchen oder Atemstillstand. Manchmal müssen die medizinischen Helfer_innen die Abhängigen sogar wiederbeleben.
Ein Jahrzehnt voller Anfeindungen
Schon 2001 versuchten Bermuda-Geschäftsleute, die Krisenhilfe mit einer Unterschriftenkampagne zu vertreiben. „Aggressiv und abstoßend“ seien die Abhäng­igen, hieß es damals. Die Kampagne scheiterte jedoch am Widerstand engagierter Anwohner_innen. Auch heute ist die Standortinitiative Bermudadreieck (ISG) noch gegen den Standort der Krisenhilfe. Über eine Verlegung wäre man „natürlich dankbar“, sagt Anke Heinemann von der ISG.
CDU-Ratsherr Roland Mitschke hat die Debatte um die Krisenhilfe nun auch in der Politik wieder angestoßen. Auf der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses stellte Mitschke in Frage, ob die Krisenhilfe noch in das geplante „Kreativquartier“ passe. Wenn dort hochwertige Ansiedlungen gewünscht seien, müsse man für ein entsprechendes Umfeld sorgen. Heike Steigersdorfer, Referentin bei der CDU-Ratsfraktion, relativierte die harschen Aussagen auf Anfrage der bsz: „Niemand will die Krisenhilfe loswerden. Aber weil der Mietvertrag in drei Jahren ausläuft, ist die Gelegenheit gekommen, über Alternativen nachzudenken.“
Das Problem: Diese Alternativen sind kaum zu finden. Auch die Krisenhilfe selbst hat sich nach einem neuen Standort umgesehen – allerdings vor allem deswegen, weil auf den Drogenraum eine Sanierung zukommt, die bis zu 50.000 Euro kosten könnte. Die Suche verlief erfolglos: „Eigentlich können wir nur in städtische Gebäude, andere Vermieter schrecken zurück“, so Friedhelm Lemm von der Krisenhilfe.
Weil die Verdrängung aus der Innenstadt mit einer sinnvollen Arbeit nicht zu vereinen ist, habe man sich also damit abgefunden, in den Räumen in der Viktoriastraße zu bleiben.
Etwa 185 Personen besuchen den Raum pro Tag. „Leider dürfen wir die Drogen, die von den Klientinnen und Klienten mitgebracht werden, nicht testen“, sagt Dr. Heinrich Elsner. „Deswegen ist immer schwierig abzuschätzen, wie groß die Heroin-Konzentration ist. Viele spritzen sich eher Pfützendreck mit etwas Heroin.“ Wegen der großen Gefahren, die von unfreiwilligen Überdosen und Beimischungen ausgehen, fordert Elsner auch die Möglichkeit, Heroin geregelt abgeben zu dürfen. Der Ersatzstoff Methadon dämpfe nur die körperlichen Entzugserscheinungen. Klient_innen, die die Droge aus psychischen Gründen konsumieren, könnten damit schlecht erreicht werden. Sie setzen vielfach weiter auf den Hochrisiko-Stoff von der Straße. Bisher kann sich jedoch keine einzige Drogenhilfe in Deutschland eine Ambulanz leisten, die kontrolliert sauberes Heroin abgibt. „Wir bräuchten alleine eine zusätzliche Anschubfinanzierung von 500.000 Euro und erhebliche Mittel für Folgekosten“, so Friedhelm Lemm. Zurzeit ist die Stadt Bochum mit einem Zuschuss von einer Million Euro die größte Unterstützerin der Krisenhilfe.