Am kommenden Freitag, den 1.7. wird der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge um 19 Uhr im Bahnhof Langendreer zum Thema Armut und Reichtum im Zeitalter der Globalisierung sprechen. Es ist die Auftaktveranstaltung zum Filmfestival ueber Mut. In der Ankündigung heißt es: »„Armut” gehört zu den Begriffen, die zwar fest im Alltagsbewusstsein verankert sind, unter denen aber jede/r etwas anderes versteht. Politik, Publizistik und Wissenschaft ergeht es nicht viel anders. Armut ist mehr, als wenig Geld zu haben. Sie beraubt Menschen ihrer materiellen Unabhängigkeit und damit der Freiheit, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden. Wenn man die Armut als extremste Ausprägung der sozialen Ungleichheit und als einseitige Negation der Bedarfsgerechtigkeit begreift, gerät neben den Betroffenen das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als Verursacher in den Blick. Zwar können individuelle Lösungsansätze im konkreten Einzelfall helfen, Armut zu lindern, sie greifen jedoch zu kurz, wenn es darum geht, deren Entstehungsursachen zu beseitigen.
Die gegenwärtige Dramatik der Armut wird erst verständlich vor dem Hintergrund einer verschärften Weltmarktdynamik. Man kann von „Globalisierungsarmut” als einem neuen Armutstyp sprechen. Während die Gewinner der neoliberalen Modernisierung unvorstellbaren Reichtum anhäufen, dringen die Armut und die Angst vor sozialem Abstieg bis in das Zentrum der Gesellschaft vor. Einerseits reicht das Armutsrisiko bis in die Mittelschicht hinein, was sich in der Überschuldung von Existenzgründer(inne)n und Selbstständigen genauso manifestiert wie in den prekären Lebenslagen jener Menschen, die fürchten müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und praktisch über Nacht unter die Armutsschwelle zu sinken. Andererseits weitet sich jener Sektor aus, in dem Perspektivlosigkeit, Not und Verelendung die Lebenslagen der Menschen bestimmen.
Aufgrund der „US-Amerikanisierung” der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und des Wohlfahrtsstaates zeichnet sich heute in Deutschland auch eine „US-Amerikanisierung” der Sozialstruktur ab. An die Stelle einer Politik des „sozialen Ausgleichs”, wie sie das Grundgesetz fordert, trat seit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 eine Politik der Ausgrenzung von Bedürftigen, Benachteiligten und Behinderten, die sich im Gefolge der Wiedervereinigung 1989/90 sowie der Globalisierung des Kapitals, der Finanzmärkte und des Handels radikalisierte. Sozialpolitik erscheint dem Neoliberalis-mus als heute dominanter Wirtschaftstheorie und Gesellschaftsphilosophie nicht als Mittel, um die Integration der Gesellschaft zu garantieren, sondern als Ballast und purer Luxus, den sich keine Volkswirtschaft mehr leisten könne.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge, geb. 1951, lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine letzten Buchveröffentlichungen: Krise und Zukunft des Sozialstaates, 3. Aufl. Wiesbaden 2006; Kinderarmut in Ost- und Westdeutschland, 2. Aufl. Wiesbaden 2008 (alle: VS – Verlag für Sozialwissenschaften); Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird, 2. Aufl. Frankfurt am Main/New York 2011 (Campus Verlag)«
Mittwoch 29.06.11, 12:04 Uhr