(Der Text ist die Rekonstruktion einer freien Rede.)
Liebe Atomkraftgegnerinnen und -gegner!
Wir sind uns alle einig in der Forderung nach einem schnellstmöglichen Atomausstieg und einer EnergieWende. „Schnellstmöglich“ ist aber eine Gummiformel und auch der Begriff EnergieWende ist nicht klar. Ich möchte ein paar Präzisierungen anbringen.
1. Sofortausstieg aus der Atomenergie bis 2013
Heute berät die Ethik-Kommission der Bundesregierung über den Zeitraum des Atomausstiegs. Ihre Empfehlung läuft auf einen Zehn-Jahres-Korridor für den Ausstieg hinaus, d.h. dass bis 2021 alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen. Es steht zu befürchten, dass die Bundesregierung am Sonntag kein endgültiges Ausstiegsjahr festlegt und damit der Atomlobby die Hintertür offen lässt, bei passender Gelegenheit wieder eine Verlängerung der Laufzeiten nicht stillgelegter AKWs durchzusetzen.
Unsere erste Forderung muss daher eine klare Jahresangabe für die endgültige Stilllegung aller Atomkraftwerke sein.
Fukushima hat gezeigt, dass bei jedem Atomkraftwerk auf der Welt jederzeit ein GAU bzw. ein Super-GAU eintreten kann. Daher ist für uns ein Ausstieg in zehn Jahren völlig indiskutabel.
Das Umweltbundesamt hat schon vor vielen Wochen eine Studie vorgelegt, die ein Abschalten aller AKWs bis 2017 für möglich hält, und das ohne Probleme für die sichere Stromversorgung, die Stromnetze und tragbare Strompreise. Bis heute hält Umweltminister Röttgen diese Studie unter Verschluss. Die GRÜNEN haben sich per Parteibeschluss diesen Zeitraum für die Abschaltung der Atomkraftwerke zu eigen gemacht.
Die GRÜNEN hatten – damals war ich bei ihnen noch an verantwortlicher Stelle aktiv – nach Tschernobyl ein Konzept vorgelegt, nach dem ein Atomausstieg innerhalb eines Jahres dargestellt und gefordert wurde. Ich frage mich, frage die GRÜNEN und frage euch: Was hat sich nach Fukushima geändert, dass man sich nun für den Ausstieg noch sechs Jahre Zeit lassen will? Die GRÜNEN fordern Sicherheitsnachrüstungen für die AKWs, die nicht sofort stillgelegt werden. Ich bin der Meinung, dass die Milliarden Euro, die dafür erforderlich wären, sinnvoller in die EnergieWende investiert würden.
Die Umweltminister von Bund und Ländern haben in diesen Tagen vorgeschlagen, die sieben Atomkraftwerke, die im Rahmen des Atommoratoriums stillgelegt wurden, samt Krümmel endgültig stillzulegen. Dies ist zu begrüßen. Derzeit sind aber nicht nur acht, sondern dreizehn von siebzehn Atomkraftwerken in Deutschland außer Betrieb. Und wie wir hören, funktionieren die Lautsprecher und noch keine Birne ist in den letzten Tagen ausgegangen.
Es ist daher zu fordern: Diese dreizehn Atomkraftwerke bleiben endgültig stillgelegt. Dann wären´s nur noch vier. Diese vier werden dann bis spätestens 2013, also auf jeden Fall in dieser Legislaturperiode, stillgelegt. Sofortausstieg heißt also Ausstieg bis spätestens 2013.
Die Bundesnetzagentur verbreitet schon für den Fall, dass nur acht AKWs jetzt stillgelegt werden, Horrorszenarien wegen einer Überforderung der Kapazitäten der Stromnetze im Winter mit Schäden in Milliardenhöhe. Was ist zu tun?
2. EnergieWende heißt Stromeinsparung
Es ist unstrittig: EnergieWende bedeutet, dass in Erneuerbare Energien und in Effizienz-technologien investiert wird. Dies kann aber nicht die erste Priorität sein.
Am vergangenen Wochenende war ich in Berlin auf einem Kongress zum Thema Wachstumskritik, den Attac mit vielen Bündnispartnern durchgeführt hat. Es waren dort 2.500 TeilnehmerInnen, sehr viele junge Leute. Bei der vielfältigen Kritik am Wirtschafts-wachstum war auch von der „imperialen Lebensweise“ die Rede: Wir Menschen in den hochindustrialisierten Gesellschaften leben und produzieren, indem wir die Rohstoffe und Ressourcen ausplündern, insbesondere aus den Ländern des Südens, und indem wir mit Abfällen und Abgasen aller Art die Umwelt belasten. Beispiel: der Treibhauseffekt, unter dem arme Länder des Südens mehr als wir zu leiden haben.
Es ist eine Illusion zu glauben, die Erneuerbare Energien seien ökologisch unbedenklich. Die Produktion von Tausenden von Windrädern oder Photovoltaikanlagen verbraucht erhebliche Mengen an Ressourcen und Energie. Diese Art von EnergieWende ist nicht die ökologische Unschuld. Die Konsequenz aus unserer imperialen Lebensweise, ich möchte zuspitzen: aus unserer imperialistischen Lebensweise, muss daher eine EnergieWende sein, die in allererster Linie auf die Einsparung von Strom und Energie setzt. Darauf sollten wir alle politische Phantasie richten. Ein Blick zurück kann dabei helfen.
1973: Auf den israelisch-arabischen Jom-Kippur-Krieg folgte der erste Ölpreisschock. Daraufhin gab es in der Bundesrepublik im November und Dezember vier autofreie Sonntage, um Öl zu sparen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir dies in Frankfurt genossen haben. Was spricht dagegen, heute pro Monat einen autofreien Sonntag einzuführen? Wir erinnern uns, wie im Sommer vergangenen Jahres die A 40 für einen Tag gesperrt war und man auf ihr das Gefühl von Ruhrgebietsgemeinschaft erleben konnte. Wenn die Wirtschaft in vielen Städten einen verkaufsoffenen Sonntag pro Monat fordert, sollten wir dagegen einen autofreien Sonntag im Monat fordern.
1980: Da wurde in Westdeutschland – wie in einigen EG-Ländern zuvor – die Sommerzeit eingeführt, und zwar zu dem Zweck, durch die Verlängerung der hellen Tagzeit Energie zu sparen. Wir haben uns längst daran gewöhnt.
Wir sollten alle unsere politische Phantasie darauf richten, Vorschläge zur Einsparung von Strom und Energie zu entwickeln. Durch eine politische Gestaltung des Strompreises könnte erheblich Strom gespart werden: Ein Grundbedarf an Strom steht preisgünstig zur Verfügung, insbesondere für die Armen in der Gesellschaft, darauf aufbauend steigt der Strompreis mit zunehmendem Verbrauch, analog zur progressiven Einkommensteuer. Dann hätte der elende Stand-by-Betrieb ein Ende, womit wir allein ein bis zwei Atomkraftwerke wegsparen könnten. Und in den Dezember-Monaten, der Zeit mit dem höchsten Stromverbrauch, ist es besser, die Produktion von Aluminium, Stahl und Zement kurzfristig runter zu fahren als Atomkraftwerke hoch zu fahren.
3. Demokratische Energiewirtschaft
Was für eine Art von Energiewirtschaft braucht die EnergieWende?
Vor wenigen Tagen warnte Jürgen Großmann, der Vorstandsvorsitzende von REW, dem wir ja gleich einen Besuch abstatten, vor dem Wirtschaftsrat der CDU davor, dass selbst bei einem Atomausstieg, wie ihn die Bundesregierung unter Angela Merkel plane, in Deutschland eine Ökodiktatur drohe. Gerade Großmann warnt also vor einer Ökodiktatur.
Ich sage: Ökodiktatur ist, wenn RWE und die anderen Atomkonzerne gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung den Betrieb von Atomkraftwerken mit Zähnen und Klauen verteidigen. Ökodiktatur ist, wenn RWE in der Braunkohleregion zwischen Köln und Aachen ganze Dorfgemeinschaften, die über lange Zeit gewachsen sind, zwangsumsiedeln lässt, um an die billige Braunkohle zu kommen.
Wir brauchen eine demokratische Energiewirtschaft. Und die ist dezentral und kommunal. Die Energie muss nach Möglichkeit dezentral, vor Ort, produziert werden. Es macht keinen Sinn, in der Nord- und Ostsee riesige Windparks zu bauen, um von dort den Strom mittels hunderte von Kilometer langen Stromleitungen nach Süddeutschland zu transportieren, Stromleitungen, die dann gegen den Widerstand vor Ort durchgesetzt werden müssen. Und diese riesigen Windparks konservieren dann wieder die Macht der Stromkonzerne, die diese errichten.
Die Stromkonzerne müssen wie auch die Ölkonzerne entflochten werden. Und die Stromnetze müssen vollständig von den Stromerzeugern getrennt werden, damit diese auf die Stromnetze keinerlei Einfluss ausüben können.
Wir brauchen starke kommunale Stadtwerke. Aber nicht so, wie sie sich heute darstellen. Viele Stadtwerke im Ruhrgebiet und Rheinland – von Duisburg über Essen, Bochum bis Dortmund – sind mit Aktienpaketen an RWE beteiligt und beziehen über 20 Prozent ihres Stroms, den sie an die Haushaltskunden weiter verteilen, aus Atomkraftwerken. Diese Stadtwerke sind Komplizen der Atomwirtschaft. Zum Beispiel erhalten die Stadtwerke Bochum aus ihren RWE-Aktien jährlich über 20 Millionen Euro an Dividende, auf die sie nicht verzichten wollen. In Bochum hat sich nach Fukushima ein Bündnis „Bochum atomstromfrei“ gegründet. Vor einer Woche hat sich der Mieterverein Bochum diesem Bündnis angeschlossen. Wir fordern: Die Stadtwerke sollen kurzfristig – innerhalb von ein bis zwei Jahren – auf den Bezug von Atomstrom verzichten und ihren Aktienanteil an RWE verkaufen. Dann hätten sie auch die Finanzmittel, um stark in die EnergieWende zu investieren, ohne sich die Mittel teuer auf dem Kapitalmarkt beschaffen zu müssen. Wir fordern: Stadtwerke – raus aus Atomstrom und RWE. Und solange die Stadtwerke dies nicht tun, fordern wir ihre Kunden auf, den Stromanbieter zu wechseln.
Wer von euch dies noch nicht getan hat, sollte dies noch an diesem Wochenende tun. Es geht schnell per online.
Atomausstieg bedeutet also einen Dreischritt:
- Sofortausstieg bis spätestens 2013
- EnergieWende heißt in erster Linie Einsparung von Strom und Energie.
- Eine demokratische Energiewirtschaft mit starken Stadtwerken. Und wenn die nicht wollen, dann Stromanbieterwechsel sofort!
Ich danke euch.