Rede von Elke Koling am 25. April 2011 auf dem Ostermarsch in Bochum-Werne
Dienstag 26.04.11, 07:06 Uhr

Atomenergie und Atombomben:
Zwei Seiten einer Medaille


Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, ich bin als Mitglied des Bochumer Friedensplenums und der IPPNW, das sind die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges und in sozialer Verantwortung gebeten worden, heute hier zu reden. Am Tag der heutigen Ostermontagsdemo finden gleichzeitig an zahlreichen Orten Proteste gegen Atomkraft statt, anlässlich des morgigenen traurigen 25. Jahrestages der Tschernobylkatastrophe. Viele Friedensfreundinnen und Friedensfreunde werden sich deshalb in diesem Jahr nicht wie gewohnt aufmachen, um nach Dortmund zu marschieren, sondern stattdessen mit dem Bus zur Anti-Atomdemo nach Gronau fahren, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu fordern. Felix und ich haben an dieser und andere Stelle schon oft etwas zu Atombomben in Deutschland gesagt, die lagern ja weiterhin hier. Heute möchte ich den Brückenschlag machen zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie, sowie auch dieser Ostermarsch und Ostermontag eine Art Brückenschlag zwischen den Themen und zwischen den Orten Dortmund und Gronau ist. Als die IPPNW 1980 – immerhin zur Hochzeit des kalten Krieges- von jeweils drei berühmten amerikanischen und sowjetischen Kardiologen ins Leben gerufen wurde- war der Gründungsgedanke, dass Ärzte die Menschen nicht vor einem Atomkrieg schützen können. In der Präambel heißt es: „Ein Atomkrieg wäre die letzte Katastrophe für Menschheit und Umwelt. Das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit würden unmittelbar und langfristig in einem noch nie dagewesenen Ausmaß zerstört, wodurch das Überleben der Zivilisation selbst bedroht wäre. Die Gefahr eines Ausbruchs besteht in einem hohen Maße, und sie nimmt ständig zu. Selbst ohne dass es zu einem Atomkrieg kommt, werden unschätzbare und begrenzte Ressourcen unproduktiv auf das nukleare Wettrüsten verschwendet, wobei wesentliche menschliche, soziale, medizinische und ökonomische Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Aus diesen Gründen müssen die Ärzte in allen Ländern für die Verhinderung eines Atomkriegs kämpfen und sich für die Beseitigung aller Atomwaffen einsetzen. Die Ärzte können eine besonders wichtige Rolle spielen, weil sie

  1. zur Verhinderung von Krankheiten, zur Heilung der Kranken und zum Schutz des menschlichen Lebens berufen sind;
  2. besondere Erkenntnisse über die Probleme der medizinischen Versorgung im Atomkrieg besitzen;
  3. ohne Rücksicht auf nationale Grenzen mit ihren Kollegen zusammenarbeiten können;
  4. Erzieher sind, die sich selbst, ihre Kollegen im Heilberuf und die allgemeine Öffentlichkeit informieren können.“

Mehr und mehr wurde dann sowohl in der IPPNW wie gesamtgesellschaftlich deutlich, dass die zivile und die friedliche Nutzung der Atomenergie nur zwei Seiten der gleichen Medallie sind. Gerade die Urananreicherungsalage in Gronau verdeutlicht, dass die zivile Nutzung der Atomenergie nicht von der militärischen Nutzung getrennt werden kann. Die Möglichkeit wie in Gronau Uran anzureichern, braucht man nicht nur für Atomkraftwerke, sondern auch für Atombomben. Auch das entstehende „Abfallprodukt“ das abgereicherte Uran wird als Munition u.a. in Panzern genutzt. Es wird vermutet, dass solches abgereichertes Uran z.B. im 2. Irakkrieg eingesetzt wurde und unter anderem für das „Golfskriegssyndrom“ der Soldaten verantwortlich war. Die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie wie in Gronau sorgt dafür, dass viele Staaten sowohl über das technische Know-how wie auch das Wissen verfügen waffenfähiges Material zu produzieren und damit theoretisch jederzeit Atombomben bauen könnten. Zivile und militärische Nutzung der Atomkraft lassen sich nicht eindeutig trennen- man denke an das große Dilemma, mit dem gerade politisch in Vergessenheit geratenen Iran. (….die wollten auch nur Uran anreichern, wie in Gronau….). Hieran wird deutlich: „Eine Welt ohne Atomwaffen bleibt solange eine Illusion, solange es Atomkraftwerke gibt. Wer aus der Kernenergie aussteigt, tut etwas für die atomare Abrüstung. Energiepolitik ist Friedenspolitik. „ Seit den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima wird klar, dass die Bedrohung durch Atomkraftwerke sich kaum von der Bedrohung durch Atombomben unterscheidet. Sie ist weder kalkulierbar noch beherrschbar. Sowohl bei Atombomben, wie bei Atomkraftwerken entscheiden einige Wenige über das Überleben von Hunderttausenden. Inzwischen sind die Folgen der Atomunfalls in Tschernobyl relativ gut erfasst, die von Fukushima nur zu erahnen. Ich zähle beispielhaft einige Folgen der Tschernobylkatastrophe vor fast 25. Jahren auf. Die Zahlen sind einem gemeinsamen Bericht der IPPNW und der Gesellschaft für Strahlenschutz aus dem Jahre 2006 entnommen. Zu dessen Vorstand gehört unter anderem Professor Lengfelder, der als Strahlenexperte nach der Katastrophe von Fukuschima ständig auf zahlreichen Fernsehkanälen befragt wurde:

  • 90% der in Tschernobyl eingesetzten Liquidatoren sind Invaliden oder bereits verstorben (ihnen verdanken wir möglicherweise in einem nicht unerheblichen Ausmaß unser eigenes Überleben);
  • in Europa kam es strahlenbedingt bis zum Jahre 2006 zu fast 10.000 zusätzlichen schweren Fehlbildungen;
  • in Westeuropa gab es wahrscheinlich 100.000- 200.000 zusätzliche Abtreibungen;
  • etwa 10.000 Menschen sind in Belorussland zusätzlich an Schilddrüsenkrebs erkrankt;
  • einen signifikanten Anstieg der Leukämieerkrankungen gab es in Deutschland, Griechenland, Schottland und Rumänien.

Diese Aufzählung lässt sich natürlich noch erheblich fortsetzen. Völlig unbeachtet gelassen habe ich die Folgen der Atomenergie ohne Katastrophe wie z.B. die Häufung der Leukämiefälle um Krümmel, wie die Folgen der bekannten und nicht bekannten Atombombentest. Deshalb fordere ich besonders an diesem Ostermontag, der sowohl großer Tag der Friedensbewegung ist, wie an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erinnern soll, zum Wohle aller Menschen und wegen des Friedens in der Welt: Schluss mit der militärischen und zivilen Nutzung der Atomenergie! Keine Atomkraftwerke mehr, keine Atombomben mehr, keine Wiederaufbereitungsanlagen mehr. Egal, ob ihr nach Dortmund lauft oder nach Gronau fahrt, es ist gut richtig und sinnvoll!