Der diesjährige Ostermarsch an Rhein und Ruhr unterscheide sich von denen in den 50 Jahren zuvor. Die Bewegungen gegen die Kernkraft und die gegen die Atomwaffen handeln erstmals wieder gemeinsam, seitdem es Anfang der 60er Jahre hieß: Kampf dem Atomtod. Das stellte Ulrich Sander (Foto), Bundessprecher der VVN-BdA und einer der Mitorganisatoren des ersten deutschen Ostermarsches von 1960 bei seiner heutigen Rede in Bochum-Wattenscheid fest. Er sprach sich auch dafür aus, die Antifa- und die Friedensbewegungen eng zu verzahnen. Damit wolle man heute anfangen, da es gegen die NPD gehe, die hier in Wattenscheid ein Hauptquartier besitze. Er forderte das Verbot der NPD und die Absage an den Rassismus a la Sarrazin. Die Rede von Uli Sander Im Wortlaut:
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
dieser Ostermarsch an Rhein und Ruhr unterscheidet sich von denen in 50 Jahren zuvor. Die Bewegungen gegen die Kernkraft und die gegen die Atomwaffen handeln erstmals wieder gemeinsam, seitdem es Anfang der 60er Jahre hieß: Kampf dem Atomtod.
Es ist zu hoffen, dass die Grünen, die derzeit die Antikernkraftbewegung für sich parteipolitisch instrumentalisieren, sich auch auf ihre Antikriegstraditionen besinnen. Dasselbe gilt für die SPD. Fischer und Scharping trennten 1999 die Losung „Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus” und logen dreist: Nie wieder Auschwitz bedeute, nun endlich wieder Krieg zu führen. Das war die neue Auschwitzlüge. Von der haben sie sich nie distanziert, so absurd sie auch war. Sie haben sich auch nie von Daniel Cohn-Bendit distanziert, der sogar für die Atombomben Verwendung hat, so wenn er davon sprach, die EU und damit indirekt auch Deutschland mit Atomwaffen auszurüsten. Derzeit rufen sie nach deutschen Waffengängen in Nordafrika und sie kritisieren die Bundesregierung, weil sie mal einen Krieg aussetzte.
Wir haben die Losung „Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus” mit ihren beiden Seiten wieder herzustellen. Deshalb setzen sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Friedensbewegung dafür ein, den Konsens der Bewegungen gegen rechts und für den Frieden wiederherzustellen.
Fangen wir damit an. Hier in Wattenscheid befindet sich die Zentrale der nordrhein-westfälischen NPD. Wir fordern das Verbot der NPD und sagen: Ein wichtiger Schritt dazu wäre die Schließung der hiesigen NPD-Zentrale. Die neue Rot-Grüne Landesregierung sollte sich bald auf Initiativen für das NPD-Verbot orientieren. Sie sollte sich endlich auch mit dem befassen, was hier in Bochum und Wattenscheid passiert.
Nazis treten nicht nur mit provozierenden NPD-Anfragen im Stadtrat auf.
Sie verbreiten rassistische Propaganda und greifen gewaltsam Antifaschistinnen und Antifaschisten an.
Die Gewaltbereitschaft der jungen und alten Neonazis hat in den letzten Jahren stark zugenommen.
Die ekelhaften Vorfälle erhielten Auftrieb mit der Wahl des langjährigen aktiven Neonazis Claus Cremer in den Bochumer Stadtrat. Der rühmte sich, die erste Antisynagogenaktion seit 1945 veranstaltet zu haben. Bekanntlich ließ die Polizei das zu. Damit wurde Bochum unrühmlich bundesweit bekannt. Damals hatte die bis heute übliche Praxis der Polizei und Justiz einen Höhepunkt erreicht, die Naziausmärsche unter den Schutz der Versammlungsfreiheit zu stellen, während der Schutz der Bürgerrechte der Antifaschisten wenig gilt. Derzeit werden auch durch die regierungsamtlich verordnete Extremismuspolitik der Faschismus und der linke Antifaschismus gleichgesetzt, was einem behördlichen Schutz für die Nazis gleichkommt.
Einen traurigen Höhepunkt der Naziaktivitäten stellte die Schändung des Wattenscheider jüdischen Friedhofs mit Hakenkreuzen und SS-Runen Ende November 2010 dar. In derselben Nacht wurde auch das Denkmal, das an die Zerstörung der Bochumer Synagoge 1938 erinnert, ebenfalls beschädigt.
Auch das Soziale Zentrum in Bochum wurde mit Hakenkreuzen beschmiert.
Zudem wurden Adressen im Internet verbreitet, um junge Antifaschisten für vogelfrei zu erklären. Diese erhielten Mails, in denen der Mord an linken Aktivist/innen angedroht wurde.
Hier in NRW findet alljährlich der „Nationale Antikriegstag” der Faschisten statt. Dagegen tätig zu werden, auch dazu rufen wir die Landesregierung auf. Doch noch wichtiger ist, dass wir selber handeln. Die Friedensbewegung muss als Antifa-Bewegung tätig bleiben.
Die Militärdoktrin des Neonazismus und der anderen Kräfte der Rechten bleibt zumeist unbeachtet, ist aber brandgefährlich. Die Antifaschisten sollten nicht nur rufen: „Nazis raus aus unserer Stadt”. Die Gewalt der Faschisten äußert sich nicht nur auf den Straßen, sie betreiben auch Kriegsbereitschaft und Kriegshetze. Sie haben seit 1990 mindestens 130 Morde an Andersdenkenden und sog. Fremdländischen zu verantworten – aber nie sollte vergessen werden, dass die Nazis 55 Millionen Tote in Krieg und Holocaust verursachten.
Ältere Antifaschistinnen und Antifaschisten stellen sich Jahr für Jahr dem Nazitreiben zum „nationalen Antikriegstag” entgegen, indem sie betonen:
„Aktion 65 plus – Wir haben es erlebt. Nie wieder.
Bombennächte. Ständige Angst. Hausdurchsuchungen. Die Eltern im KZ. Verwandte sterben im Krieg. Nachbarn mit dem gelben Stern werden abgeholt.
Nachts träumen wir davon.
Die Nachfolger der Nazibande, die das verschuldete, erheben wieder ihr Haupt.
Jahr für Jahr kommen sie nach Dortmund. Sie rufen „Nie wieder Krieg” und fügen hinzu: „ … nach unserem Sieg, dem Sieg des ‚nationalen Sozialismus'”.
Das Maß ist voll.
Sie reden von Frieden, Antikapitalismus, ja Sozialismus. Das taten Hitler und Goebbels auch. Es kam zum furchtbarsten aller Kriege.
Zur schlimmsten Form des Kapitalismus: Nicht nur Ausbeutung durch Arbeit, sondern Vernichtung durch Arbeit. Es kam zur Versklavung und zum Holocaust.
Wir sehen nicht mehr zu.”
Die Antifaschistinnen und Antifaschisten und der Ostermarsch fordern das Verbot der Nazi-Aufmärsche zum „Nationalen Antikriegstag” an diesem 3. September. Sie erinnern: Am 1. September 1939 überfiel Nazideutschland Polen. Die Nachfolger der Nazis, die in ihren Programmen die Beseitigung der polnischen Nachkriegsgrenzen und das Annektieren polnischen Gebietes fordern, sie wünschen erneut den Feldzug gen Osten. Anstelle der Globalisierung verlangen die heutigen Nazis den weltweiten Sieg des Nationalsozialismus, den sie „nationalen Sozialismus” nennen; auf die Frage, was dann aus dem jüdischen, dem „auserwählten” Volk werde; wird geantwortet, ihm gehöre dann doch „das Himmelreich”.
Die Staatsanwaltschaft verfügt über Unterlagen über solche Äußerungen. Doch die Staatsanwaltschaft erklärte, derartiges ist „noch” nicht Volksverhetzung. Offenbar ist in den Augen der deutschen Justiz die Kriegshetze keine Volksverhetzung, nachdem Deutschland wieder an zahlreichen Kriegen beteiligt ist.
Bei einer der Dortmunder „Antikriegskundgebungen” der Neonazis sagte ein ausländischer Redner: Er wolle nicht den Holocaust leugnen, nein, er beglückwünsche die deutschen Kameraden zu ihrer Geschichte und zu Auschwitz. Auch diese Äußerung blieb ohne juristische Konsequenz.
Die Ankündigung des weltweiten Sieges des ‚nationalen Sozialismus’ durch die heutigen Nazis erweist sich also als die Drohung mit Krieg, Faschismus, Völkermord und Massenmord an den Juden und Sinti und Roma.
Die Nazis verbreiten heuchlerisch auch Friedenslosungen, doch sie sind allenfalls gegen die derzeitigen deutschen NATO-Kriege. Sie wollen ihre eigenen deutschen Kriege.
Die Neonazis – und da unterscheiden sie sich nicht von der offiziellen deutschen Militärpolitik, dem deutschen Militarismus – sind für eine starke Bundeswehr, gegen Abrüstung, für den Kampf um deutsche Interessen. Sie drängen in die Bundeswehr, allein schon um das „Waffenhandwerk” zu erlernen.
Sie sind zahlreich in den Reservistenverbänden vertreten. Sie stehen in der Tradition der Wehrmacht.
Deshalb fordern wir: Kein Fußbreit Boden den Faschisten und Militaristen.
Und auch kein Fußbreit Boden den Rassisten.
Ich las in der BILD-Zeitung: „Wir wollen ein deutliches Signal nach Osteuropa senden, um den weiteren Zuzug von Bulgaren und Roma zu verhindern. Dazu müssen wir die Haupteinnahmequelle trockenlegen. Multikulti ist vorbei.” BILD schrieb diesen Spruch einem Sprecher der Dortmunder SPD zu. Osteuropäer und Roma, die einst millionenfach hierher gebracht wurden, die eine Haupteinnahmequelle des deutschen Kapitals wurden, um dann per Vernichtung durch Arbeit beseitigt zu werden, sie sind heute im freien grenzenlosen Europa nicht mehr willkommen? Und auch nicht in NRW? Als Torschützen für Borussia vielleicht, aber nicht als arme Leute. Wie kann man so über die Roma sprechen, die gleich den Juden dem Holocaust ausgeliefert waren?
Vor drei Tagen wurde entschieden, den Rassisten Thilo Sarrazin in der SPD zu belassen. Die Begründung, die ein prominenter Kommunalpolitiker dazu gab, war diese: Wir müssen die Ängste der Bevölkerung berücksichtigen. Zur Bevölkerung zählt er nur die Deutschen. Die Ängste der Nichtdeutschen, die Sarrazin durch seine Hetze auslöste, die sind den Leuten egal?
Jetzt sagen alle, die SPD sei durch die Sarrazin-Entscheidung blamiert. Aber hat der SPD-Vorsitzende nicht schon sehr früh eine Sarrazin-Forderung aufgegriffen, als er sagte: Wer sich nicht anständig aufführt und „integriert” muss des Landes verwiesen werden.
Ist es den Leuten wirklich egal, wie es den anderen geht? Wer nicht unter Hartz IV fällt, geht nicht auf Protestdemos. Wem keine Bomben auf den Kopf fallen, dem sind die deutschen und die NATO-Kriege in aller Welt egal? Wir produzieren Waffen für den Rüstungsexport, es geht ja um unsere Arbeitsplätze. Bei anderen geht es um ihr Leben.
Ich möchte schließen mit einem Ausspruch von Elie Wiesel: “Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.” Schweigen wir nicht. Ergreifen wir Partei für die Flüchtlinge von Lampedusa, aber auch bei uns!
Wir müssen uns auch immer wieder das Wort der Geschwister Scholl in Erinnerung rufen: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch ehe es zu spät ist!”
Sonntag 24.04.11, 20:32 Uhr
Ostermarschrede von Ulrich Sander, VVN-BdA in Wattenscheid