Freitag 15.10.10, 16:53 Uhr
Erst antifaschistisch gedenken, dann solidarisch tanzen

Volles AntiFa-Programm am Samstag


Am morgigen Samstag, den 16. Oktober, finden gleich zwei antifaschistische Veranstaltungen in Bochum statt. Zunächst ruft die Antifaschistische Jugend Bochum (AJB) für 15 Uhr vor dem Bochumer HBF zur dritten Gedenkdemonstration für Josef Anton Gera auf. Im Anschluss daran sorgen im AusländerInnen-Zentrum an der Ruhr-Uni gleich fünf Live-Acts dafür, dass die Soli-Kasse klingelt. Die AJB schreibt dazu: „Die Gera-Demonstration findet seit 2008 jedes Jahr im Oktober statt. Damals wurden AktivistInnen auf das Datum 14. Oktober 1997 hingewiesen, an dem es einen Mord an einem Homosexuellen in Bochum gegeben hat. Das Opfer heißt Josef Anton Gera. Als Frührentner verbrachte er einige Zeit im „Wohnungslosen-Milieu“, obwohl er selbst eine kleine Wohnung hatte. An besagtem Abend versammelten sich ein halbes Dutzend Leute in einer kleinen Hütte auf dem Brachgelände an der Klosterstraße um zu feiern. Josef Gera, der in der „Szene“ als Schwuler bekannt war, fing an einem der Anwesenden sexuelle Avancen zu machen, woraufhin er von zwei Leuten attackiert und mit Eisenstangen tracktiert wurde. Drei Tage später, am 17. Oktober 1997, erlag Gera seinen schweren inneren Verletzungen im Elisabeth-Hospital. Die beiden Neonazis Uwe K. und Patrick K. wurden später als Täter festgenommen und verurteilt, allerdings nicht weil sie einen Hass auf Schwule gehabt hätten, sondern wegen „einer Menge Frust und viel Alkohol“, so der damalige Bochumer Staatsanwalt Justinsky. Die Indizien und Beweise, ja sogar das Geständnis der Mörder, waren für die Behörden kein Grund, diese Tat als rechtsradikal einzustufen. Deshalb veranstaltet die AJB im dritten Jahr ein öffentliches Gedenken, welches sie beispielhaft der Verdrängung und dem Vergessen von rechtsradikalen Morden in der näheren Vergangenheit entgegensetzen will. Außerdem sollen in diesem Jahr neben dem Thema Homophobie, welches in der westlichen Gesellschaft immer noch tagesaktuell ist (siehe Belgrad Pride Parade) auch das Thema der sozialen Ausgrenzung in Reden und Flugblättern angebracht werden. „Es ist heute wieder an der Zeit, auf der Straße genau hinzuschauen und in Gesprächen genau hinzuhören, wenn PopulistInnen mit einem gewissen Erfolg mit verbalem Brandbeschleuniger nicht nur auf ‚Nicht-Deutsche‘, sondern auch auf Erwerbslose zielen“, warnt Kevin Waschkowitz, Sprecher der AJB. „In den vergangenen 20 Jahren sind nicht zufällig mindestens 26 Wohnungslose durch rechten Hass ums Leben gekommen“, so Kevin Waschkowitz weiter. Neben dem ernsthaften Anlass der Demonstration gibt es für diesen Tag noch einen weiteren: die zunehmende Kriminalisierung und Diffamierung antifaschistischen Engagements in Bochum und bundesweit.
Nach der Demonstration findet im AusländerInnen-Zentrum ein Benfiz-Konzert statt, dessen Einnahmen für die Prozesskosten von Betroffenen verwendet werden sollen. Die AJB lädt dazu ein, mit dem Besuch des Konzerts dabei zu helfen, die anfallenden Kosten von Einzelnen auf Viele zu verteilen. Im März diesen Jahres erlebten jugendliche AntifaschistInnen nach einer erfolgreichen Blockade gegen RechtspopulistInnen ein Höchstmaß an Gewalt und Repression. Die AJB bemüht sich seitdem auf rechtswidrige Gewalt der Polizei aufmerksam zu machen. Laut einem aktuellen Bericht von Amnesty International lassen sich Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei in Deutschland nicht nur in Einzelfällen ausmachen, sondern sind nachweislich strukturell bedingt. „Wir können hunderprozentig die Wut nachempfinden, welche den BlockiererInnen hochkam, sie mussten im März ähnliche Übergriffe ertragen, wie jene Menschen im Stuttgarter Schlossgarten am 20. September. Dort wurde ebenfalls mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“, merkt Kevin Waschkowitz an. Ähnliche Szenen spielten sich zwei Wochen später am 10.4. vor dem Bochumer Polizeipräsidium bei einer polizeikritischen Demonstration ab, bei der die eingesetzten Beamten von Anfang an auf Eskalation setzten. „Was verhältnismäßig ist können ja nachher die Gerichte bestimmen!“ antwortete ein Polizeibeamter damals auf kritische Nachfragen eines Außenstehenden. Seit September müssen sich die TeilnehmerInnen in einzeln geführten Verfahren vor Gericht verantworten. In dieser Woche standen allein fünf von ihnen vor Gericht. Zwei wurden zu Geldstrafen von je 1200 und 800 Euro verurteilt, ein Minderjähriger wurde vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen, einer bekam 60 Sozialstunden. Ein weiteres Verfahren gegen einen Minderjährigen wurde ohne Auflagen eingestellt. Nachdem ein 20jähriger Mindener, der vorher noch keine Erfahrung mit Demonstrationen und dem Verhalten von Polizeibeamten hatte, bei beiden Anlässen festgenommen wurde, gestand er am Montag vor dem Amtsgericht, mit überzogener Gewalt reagiert zu haben. Er behält sich noch vor, jetzt nach seinem Urteil, Strafantrag gegen einen Polizeibeamten zu stellen. Dieser hatte ihn am 10.4. beim Abführen von hinten mit einem Tonfa auf den Kopf geschlagen hatte. „Der erwerbslose Mindener muss leider damit rechnen, quasi-automatisch eine Gegenanzeige wegen ‚falscher Verdächtigung‘ zu kassieren“, weiß Nicole Sievers vom Ermittlungsausschuss Bochum-Ehrenfeld. „denn es ist das Glaubensbekenntnis der Staatsanwaltschaft, dass PolizistInnen niemals rechtswidrig handeln, weil ihre Arbeit davon ebenfalls betroffen wäre, einfach ausgedrückt: was nicht sein darf, kann auch nicht sein“, so Sievers weiter. Die Antifaschistische Jugend Bochum kündigt an, ihrer politischen Verantwortung für jugendliche politisch Engagierte gerecht zu werden und in den nächsten Monaten die Prozesse genau zu verfolgen.
„Einer der spannendsten Prozesse wird vermutlich der gegen einen 24-jährigen Bochumer sein“, erläutert Nicole Sievers. Dieser ist angeklagt, als er beim Protestieren gegen einen NPD-Stand im Mai diesen Jahres festgenommen worden zu sein, auf dem Präsidium gegen den TV-Polizisten „Harry“ gewalttätig worden zu sein. „Man mag sich fragen, ob Harry es mit der Wahrheit genauso ernst nimmt mit, wie sein TV-Partner Toto, der wegen Falschaussage schon vorbestraft ist.“