Donnerstag 04.02.10, 08:00 Uhr
Neoliberale Wirtschaftwissenschaftler wissen immer, wo es lang geht?

Die „Montagsökonomen“ der WAZ


Vor dem großen Finanz- und Wirtschaftscrash verkündeten sie allwöchentlich ex cathedra ihre Dogmen „Privatisierung/Deregulierung/schlanker Staat/Sozialabbau/mehr Selbstverantwortung/Kampf den Lohnexzessen/Hauptsache Arbeit usw. usf.“ Der Crash hat sie dann kalt erwischt. Sie haben ihn weder kommen sehen, noch können sie bis heute seine Entstehungszusammenhänge auch nur ansatzweise schlüssig erklären. Diese Ahnungslosigkeit teilen sie allerdings mit der großen Mehrheit des wirtschaftswissenschaftlichen Personals, das sich in den letzten Jahrzehnten in den Unis und Instituten breit machen konnte. Das peinliche Schweigen der Alleswisser währte jedoch nicht lange. Selbst als Joseph Ackermann überraschend den „freien Markt“ für unfähig erklärte, seine eigenen Probleme (geschweige denn gesellschaftliche) zu lösen, und als Banken und Konzerne zur Verstaatlichung anstanden, führte das nur kurz zu Irritationen. Alsbald wussten die „Montagsökonomen“ schon wieder, wo es lang geht. Generalnenner: reichlich Staatsknete für Banken und Konzerne, aber nicht übertreiben bei den staatlichen Eingriffen in die „Wirtschaft“. Und: die monströse öffentliche Verschuldung muss – koste es, was es wolle – durch Einsparungen (gemeint ist: Einsparungen bei der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge – nicht etwa beim Militär oder bei der Wirtschaftsförderung etc.) abgebaut werden.
Trotzdem war der Lack der neoliberalen Ideologen zwischendurch ein bisschen ab. Zwischenzeitlich bekamen denn auch gewerkschaftsnahe Ökonomen eine winzige Chance zu Gegendarstellungen. Jetzt aber kann die staunende Leserschaft allmontäglich in der WAZ wieder erfahren, wie die Krise wirklich überwunden werden kann: die „Montagsökonomen“ ventilieren wesentlich die alten neoliberalen Angebotskonzepte, die schon Begleitursachen des aktuellen Crashs gewesen sind.
Dennoch häufen sich allmählich die Erklärungsnöte der bürgerlichen Ökonomie. Denn: im Innern ist nichts erklärt und nichts geklärt. Und jetzt knallt es auch noch im Euro-Verbund. Am letzten Montag musste Prof. Ansgar Belke als „Montagsökonom“ in der WAZ ran.
Thema: „Insolvenzverfahren auch für Staaten“
Was tun mit den „PIIGS-Staaten“ der Euro-Zone, (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien), die „finanziell am Abgrund“ stünden? Belke referiert gleich am Anfang süffisant, dass die „Finanzmärkte“ den Begriff „PIIGS“ (engl. Pigs = Schweine) ersonnen haben. Und dass diese Problemstaaten allein für ihre Haushaltspolitik verantwortlich seien und daher mit ihren Problemen selbst fertig werden müssten. Damit benennt er nicht nur den aktuellen Standpunkt der Mainstream-Presse, sondern auch die Grundsätze der EU-Verträge.
Nach einigem Für und Wider kommt Währungsexperte Belke zu dem Ergebnis, dass auf keinen Fall zu rechnen sei mit freiwilliger Selbst-Sanierung der hochverschuldeten „Wachstumsschlusslichter“. Und schon gar nicht mit „angebotsseitigen“ (= neoliberalen) Reformen oder Ausgaben-Kürzungen. Also muss mehr Druck her – natürlich von den „Finanzmärkten“. Aber vor allem durch die Androhung eines „Insolvenzverfahrens“, „damit das finanzpolitische Gebaren dieser Länder endlich solide und seriöser wird“.
Dieses Mobbing der „PIIGS-Staaten“ scheint demnach die Richtigen zu treffen, nämlich all jene EU- (und Euro-) Mitgliedsländer, die sich mit der von Brüssel, Berlin und London verordneten Neoliberalisierung von Politik und Wirtschaft schwer getan haben. Nun werden die Schmuddelkinder der Eurozone an den Pranger gestellt. Allen voran Griechenland, dessen Schuldenprobleme sich zuspitzen.
Was der Montagsökonom und mit ihm die Konzern- und Mainstream-Medien verschweigen:
Dieses Kernproblem Griechenlands war absehbar. Es wurde vor allem durch den Beitritt zur Euro-Zone hervorgerufen.
Spätestens damit waren alle Euro-Länder – bewusst oder unbewusst – verpflichtet, eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik einzuführen. Und zwar bei Strafe, niederkonkurriert und abgehängt zu werden.
Während diese Politik im Norden der EU, speziell in der größten EU-Wirtschaftsmacht Deutschland, rabiat in Form von Lohn- und Sozialkürzungen bis heute durchgezogen wird, hatten die Regierungen von Portugal, Irland, Italien, Spanien und vor allem Griechenland damit Probleme: aus Angst vor sozialen Unruhen. In der Folge entwickelten sich Produktivitäten und Profitraten in der EU noch gegenläufiger, als sie es vorher schon getan hatten. Gerade in Griechenland konnten notwendige Staatsaufgaben nur noch durch gigantische Verschuldung finanziert werden. Mittlerweile liegt sie bei 125 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts (BIP).
In früheren Zeiten hätte die Regierung solche Probleme durch sukzessive Abwertung der Währung zum Teil in den Griff bekommen können. Seit Einführung des Euros ist dieser Weg allerdings verschlossen. Dieses systemische Dilemma konnte spätestens jede und jeder kennen, die die Abwicklung der DDR-Wirtschaft nach Anschluss an die DM-Zone verfolgt haben.
Was jetzt? Rauswurf aus der Euro-Zone oder rabiate Anwendung der bekannten neoliberalen Foltermethoden, die der Montagsökonom Belke „solide und seriöse Gebaren“ nennt.
Derzeit scheint die neue Regierung in Athen nicht bereit, den verlangten „Euro-Stabilitätsplan“ komplett zu vollziehen. Und zwar aus Angst. Nach drei Generalstreiks im letzten Jahr drohen die Lohnabhängigen weiterhin, zur Verteidigung ihrer sozialen Errungenschaften massenhaft auf die Straße zu gehen.
Wirkliche Unterstützung der bedrohten Bevölkerung in den „Problemstaaten“ hieße somit, dass auch hier, in den kapitalistischen Kernstaaten der EU, der im vollen Gange befindliche Abbau von sozialen und demokratischen Standards stärker bekämpft wird. Derartige „Solidarität von unten“ sehen die Montagsökonomen der WAZ allerdings genau so ungern wie ihre ideellen Schirmherren in den Medien- und anderen Konzernen.