Sonntag 01.02.09, 18:35 Uhr

Rechtliche Begutachtung der Klage von Dirk Schmidt gegen bo-alternativ.de


Der Kläger Dirk Schmidt ist CDU-Stadrat in Bochum, dort Mitglied der Ausschüsse für Soziales, Migration und Integration, Fraktionsgeschäftsführer der CDU in der Versammlung des Kommunalverbandes Ruhr und Ortsvorsitzender der CDU in Querenburg/Steinkuhl. Er gehört zu den führenden Mitgliedern der Jungen Union in Bochum. Im Frühjahr 2007 gründete er gemeinsam mit Hendrik Schäfer, Kreisschatzmeister der Jungen Union, und Sascha Bednarz, Vorsitzender der RCDS-Hochschulgruppe, eine Ortsgruppe der Jungen Union in Querenburg/Steinkuhl. Mitte August 2007 begründeten Schmidt als Domaininhaber und Schäfer als Administrator, wie es hieß mit einem „Team von Mitgliedern der Jungen Union und der CDU“, das Weblog „Bochum gegen Links“. Veröffentlichungen dort und auf der offiziellen Internetseite der Jungen Union lösten eine Kontroverse mit linken Gegner über Grenzüberschreitungen der Jungen Union zum Rechtsextremismus aus. Der Beklagte verantwortliche Redakteur berichtete darüber in dem von ihm betriebene Internetportal bo-alternativ, das täglich meist mehrere Beiträge zur Lokalpolitik aus links-alternativer Sicht veröffentlicht, ebenso die Bochumer Lokalzeitungen. Danach sah sich Dirk Schmidt wachsender öffentlicher Kritik auch innerhalb seiner Partei ausgesetzt, der er damit zu entgehen suchte, er – nur Domaininhaber – habe den Inhalt der kritisierten Texte nicht gekannt. In dieser Phase der Auseinandersetzung veröffentlichte der Beklagte auf bo-alternativ einen mit „Schau mir auf den weblog Kleines“ überschriebenen „etwas längeren öffentlichen Brief“ von namentlich nicht näher genannten Antifa`s. Der Brief berichtete durch Auswertung und zum Teil wörtliche Zitate über rechtslastige Beiträge auf den Websites „BO gegen Links“, der Homepage der Jungen Union Bochum und in anderen lokalen JU- und CDU-Medien.Dort wurde etwa die CDU „angesichts der NPD aufgefordert, ihr konservatives Tafelsilber nicht zu verscherbeln. Sie darf nicht jede Kapriole des Zeitgeistes mitmachen und zu einer Partei der Prinzipienlosigkeit werden. Der Linksdrift der Union muß generell gestoppt werden… die deutsche Leitkultur offensiv eingefordert werden… CDU und CSU müssen Parteien des gesunden Nationalstolzes und der Werteorientierung bleiben. Das alles verträgt sich nun mal nicht mit gesellschaftlichen Entartungserscheinungen wie der Schwulenehe. Und auch nicht mit Multikulti.“ Das Nein zu einem NPD-Verbot wurde damit begründete, dass es, wäre die NPD 1969 in den Bundestag eingezogen, „keinen Kanzler Willy Brandt gegeben hätte. Die Politik des Ausverkaufs der ehemaligen deutschen Ostgebiete durch die Sozialdemokratie hätte sich unter einem Kanzler Kiesinger oder Barzel von der CDU nicht derart schamlos vollzogen wie es unter Brandt geschah“. JU-Kreisschatzmeister Schäfer begleitete den breiten Widerstand gegen den Nazi-Kleiderladen Thor-Steinar mit der Beobachtung: „Seit der Eröffnung des Ladens „Goliath“ in Bochum-Ehrenfeld (tropft) allen Berufsbetroffenen die aufrichtige Empörung ununterbrochen aus allen Poren.“ Die Verbindung zum neonazistischen Lifestyle dokumentierte der offene Antifa-Brief mit einem auf der JU-Hompage veröffentlichten Foto eines Bayrischen Abends der Jungen Union, zu dem ihr Geschäftsführer aus Linden-Dahlhausen, Jens Buschmann, mit einem Thor-Steinar-T-Shirt erschienen war.

Als Reaktion auf die Einlassung des Klägers Dirk Schmidt, er habe nichts gewusst, und als Beleg für das Gegenteil enthielt der Brief ein von der JU-Homepage übernommenes Foto einer öffentlichen Werbeveranstaltung in Bochum-Steinkuhl, das Schmidt, Schäfer und Bednarz, von den Briefverfassern als Dreigestirn bezeichnet, gemeinsam hinter JU-Luftballons erkennen lässt. Interessierte Leser können den Brief mit dieser und anderen Fotografien aus Internetseiten der Jungen Union und CDU-Bochum weiterhin im Archiv von bo-alternativ aufsuchen. Der Kläger Dirk Schmidt verlangt vom Beklagten, das „Dreigestirn-Bild“ dort zu entfernen und künftige Veröffentlichungen zu unterlassen. Eine erste anwaltliche Abmahnung begründete er noch mit dem so genannten Recht am eigenen Bild. Nach dem Hinweis des Beklagten, gemäß § 23 Kunsturhebergesetz sei dieses Recht eingeschränkt, weil der Kläger die bildliche Veröffentlichung seiner politischen Aktivitäten als so genannte „relative Person der Zeitgeschichte“ hinnehmen müsse, ließ er sich, so seine Behauptung, das Urheberrecht an dieser Fotografie von einem befreundeten Amateurfotografen übertragen, und macht nun geltend, als Inhaber des Urheberrechts könne er – wie etwa ein freier Pressefotograf – darüber bestimmen, ob und wie das ihm gehörende fotografische Werk veröffentlicht werde.

Die Klage ist aus §§ 97 Urhebergesetz, 1004, 823 BGB nur dann begründet, wenn die Veröffentlichung des Fotos auf bo-alternativ rechtswidrig ist. Diese Frage ist nicht allein einfachrechtlich nach dem Urhebergesetz zu beantworten, sondern auch und vor allem in ihrem verfassungsrechtlichen Brennpunkt : der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Grundgesetz und Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die verfassungsrechtliche Frage ist rechtlich vorrangig nicht nur aus dem formalen Grund, weil die Verfassung dem einfachen Recht übergeordnet ist, sondern weil der Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze (Art. 5 II GG) auf Verfassungsebene notwendig zu der Abwägung führen muss, ob eine Einschränkung der Pressefreiheit als Ergebnis der Anwendung des einfachen Rechts im Einzelfall in der Konkurrenz zu einem anderen ebenfalls grundgesetzlich geschützten Interesse, hier dem durch das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 erfassten Urheberrecht, erforderlich und verhältnismäßig ist.Meinungs- und Pressefreiheit sind die Grundvoraussetzung der Demokratie, insbesondere wenn es um die Kritik an politischen Vorgängen und den dabei handelnden Akteuren geht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nennt die Presse wiederholt treffend den Wachhund der Demokratie. Wer sich als Politiker gleich auf welcher Ebene äußert, hat sich um der Demokratie willen mit dieser Äußerung der öffentlichen vor allem durch Presse und Medien vermittelten Kritik zu stellen. Daraus folgt als wesentliches Element der Pressefreiheit, dass Presse und Medien die öffentlichen Äußerungen von Politikern wiedergeben dürfen. Für Reden – an sich vom Urheberrecht erfasste geschützte Werke im Sinn des § 2 Urhebergesetz – ist dies einfachrechtlich in § 48 Urheberrecht ausdrücklich vorgesehen; sie dürfen ohne Zustimmung des Redners ganz oder teilweise zitiert werden. Ohne § 48 Urhebergesetz ergäbe sich die gleiche Rechtsfolge unmittelbar aus Art. 5 Grundgesetz. Auch die Veröffentlichung des nach seiner Behauptung nun ihm gehörenden Fotos auf der Homepage der Jungen Union Bochum ist in Ursprung und Zielsetzung eine öffentliche Äußerung des Lokalpolitikers Dirk Schmidt. Sie geschah mit seiner Kenntnis und Billigung, wenn nicht gar auf seine Initiative und verbreitet an die allgemeine Öffentlichkeit gerichtet die Botschaft, dass das dort in Erscheinung tretende „Dreigestirn“ zu politisch befreundeten und besonders aktiven Mitgliedern der Jungen Union gehört. Mit dieser politischen Äußerung in Form einer Fotografie und daran anknüpfenden Schlussfolgerungen muss sich der Kläger Dirk Schmidt indes im Lichte des Art. 5 GG in gleichem Umfang der öffentlichen Kritik stellen wie mit einer öffentlichen Rede: Wer öffentlich redet, darf von der Presse zitiert werden, wer ein eigenes politisch relevantes Foto auf eine Internetseite setzt, muss ein Bildzitat in kritischer Berichterstattung darüber ebenso hinnehmen. Es ist kein verfassungsrechtlich tragfähiger mit Art. 5 GG vereinbarer Grund dafür zu erkennen, die öffentliche Äußerung in einer Rede anders zu behandeln als die durch eine eigene veröffentlichte Fotografie. Anders als das des Pressefotografen ist das Urheberrecht des Politikers selbst aus Gründen des Art. 5 GG von Verfassungs wegen eingeschränkt, wenn dieser eine eigene Fotografie veröffentlicht. Würde man durch Anwendung oder Auslegung des einfachen Rechts zu einem anderen Ergebnis kommen, so wäre dies ein nicht rechtfertigungsfähiger Eingriff in den Kernbereich der Pressefreiheit.

Dieser wäre zudem bei grundrechtlicher Abwägung der beiderseits geschützten Interessen unverhältnismäßig. Auf das mit einem Urheberrecht auch geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2,1 GG) kann sich der Kläger aus tatsächlichen Gründen nicht berufen weil es durch die wertneutrale Wiedergabe des Bildes nicht verletzt wird, wie auch die einfachrechtliche Wertung dieses Interessenkonflikts durch § 23 Kunsturhebergesetz zeigt. Das Eigentumsrecht des Klägers in seiner materiell-kommerziellen Dimension wäre bei realistischer Betrachtung so gut wie nicht beeinträchtigt, weil die in ihrer Qualität begrenzte Amateurfotografie keinen realisierbaren Marktwert hat. Dies gilt um so mehr, als mit einem Link auf die Homepage der Jungen Union auch ohne Bildzitat praktisch der gleiche Effekt zu erzielen war. Dann überwöge aber das durch die Pressefreiheit legitimierte Interesse des Beklagten, das Bildzitat in dem Beitrag zum Beleg dafür zu verwenden, dass angesichts der sichtbaren engen Zusammenarbeit „des Dreigestirns“ der Kläger als Mitwisser und Mittäter für rechtsextreme Tendenzen in der Bochumer Jungen Union – entgegen seinem Abwiegeln in der öffentlichen Diskussion – Mitverantwortung trägt.

Einfachrechtlich ist die Veröffentlichung des Bildzitats gemäß § 50 Urhebergesetz gerechtfertigt. Dabei dürfen bei Berichten über Tagesereignisse in Zeitungen und Zeitschriften, die im wesentlichen den Tagesinteressen Rechnung tragen, urheberrechtlich geschützte Werke wie eine Fotografie, die im Verlauf der Vorgänge, über die berichtet wird, wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang öffentlich wiedergegeben werden.

Zu den privilegierten Medien zählen in erweiternder Auslegung entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift und im Hinblick auf die herausragende Funktion der Pressefreiheit in der Demokratie alle Medien mit Berichterstattung über Tagesereignisse, also auch Internetforen mit dieser Zielsetzung wie bo-alternativ ( vgl. Schricker-Vogel, Urheberrecht, § 50 RNr. 11,12). Bo-alternativ ist nämlich ein Internetmedium mit täglicher tagesaktueller Berichterstattung über Ereignisse, die für das linksalternative Spektrum von Interesse sind und in der Lokalpresse stiefmütterlich, mainstream-orientiert oder gar nicht behandelt werden.

Der Brief der Antifa`s ist im Kern ein Bericht über die Darbietung rechtsradikaler Äußerungen junger Lokalpolitiker der CDU Bochum und die Personen selbst, die man beim Surfen durch einschlägige Internetseiten entdecken konnte. Das war Berichterstattung über ein Tagesereignis. Darunter ist nach gängiger Definition eine aktuelle Begebenheit zu verstehen, die für die Allgemeinheit von Interesse ist. Die Tagesaktualität der einschlägigen Internetseiten kann nicht deshalb in Zweifel gezogen werden, weil ihre Erstveröffentlichung schon einige Zeit zurück lag. Im Internet waren sie nach wie vor tagesaktuell verfügbar und vor allem waren sie bei Veröffentlichung des Antifa-Briefes immer noch Gegenstand der tagesaktuellen Diskussion – kurz zuvor in der Lokalpresse und angesichts der politischen Brisanz gerade auch in der Partei des Klägers. Die Berichterstattung darüber, welche rechtsextremen Beiträge man auf der Reise durch Internetseiten junger Bochumer Christdemokraten entdecken konnte, ist in ihrer Tagesaktualität jedenfalls vergleichbar dem Bericht über eine temporäre Kunstausstellung, der – durch § 50 Urhebergesetz erlaubt – Fotografien dort ausgestellter Bilder nicht nur in einem engen zeitlichen Kontext mit der Ausstellungseröffnung enthalten darf, sondern auch noch später, solange die Ausstellung für den Leser noch tagesaktuelle Bedeutung hat, weil sie noch stattfindet. Zudem verliert der Bericht über ein öffentlich bereits diskutiertes Thema nicht deshalb an Tagesaktualität, weil er nach weiterer Recherche erst einige Zeit nach dem ersten Berichtsanlass mit neuen Rechercheergebnissen erscheint.

Das „Dreigestirn“-Foto ist schließlich im Verlauf der Reise durch einschlägige Internetseiten, über die berichtet wird, also im Verlauf des berichtsgegenständlichen Vorgangs, wahrnehmbar geworden. Diese zeigen nicht nur die rechtsextremen Texte, sondern mit dem inkriminierten Foto zugleich die Verantwortlichen, darunter den CDU-Ratsherrn Dirk Schmidt.

Rechtsfolge des § 50 Urhebergesetz ist, dass selbst ein dritter Urheberrechtsinhaber die Wiedergabe des Fotos dulden müsste. Um so mehr – und unabhängig von der Anwendung und Auslegung des § 50 – muss dies bei eigenem Urheberrecht aus den im Vordergrund stehenden verfassungsrechtlichen Gründen der Lokalpolitiker Dirk Schmidt. Sein Versuch, der demokratischen Diskussion über rechtsextreme Tendenzen in der Bochumer Jungen Union – mit dem juristischen Kunstgriff eines abgetretenen Urheberrechts am Beweismittel – den sichtbaren Beleg seiner Mitverantwortung zu entziehen, muss an der Pressefreiheit scheitern.