Mittwoch 28.01.09, 15:00 Uhr
Medizinische Flüchtlingshilfe fordert:

Aufnahme ehemaliger Gefangener aus Guantánamo


In einem Offenen Brief an Innenminister Schäuble schreiben die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum und ihre internationale Kampagne Gerechtigkeit heilt: „Wie aus der Presse zu entnehmen war, wird die Bundesregierung in dieser Woche eine Entscheidung in Bezug auf die Aufnahme ehemaliger Häftlinge aus Guantánamo fällen. Mit Empörung haben wir als Menschenrechtsorganisation, die sich weltweit für das absolute Folterverbot und die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschheit einsetzt, Ihre Äußerung zu Beginn der Woche vernommen. Zu behaupten, dass unschuldige Personen, die über Jahre hinweg in Guantánamo festgehalten wurden, heute deshalb als gefährlich einzustufen seien, weil sie über Jahre hinweg gefoltert und misshandelt wurden, verhöhnt die Folteropfer in nicht hinzunehmender Weise und steht der rechtsstaatlichen Kultur einer Demokratie in ähnlicher Weise entgegen, wie seinerzeit die Politik der Regierung Bush in den USA. Acht Jahre Bush-Regierung bedeuteten eine weltweite Epoche schwerster Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Mit dem Amtsantritt Barack Obamas als neuem US-Präsidenten scheint nun endlich die erhoffte menschenrechtspolitische Kehrtwende begonnen zu haben. Nicht nur, dass Obama anordnete, binnen eines Jahres das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen und rechtliche Schritte u. a. gegen Ex-Präsident Bush prüfen zu lassen. Darüber hinaus erließ Obama auch unmittelbar das von internationalen Menschenrechtsorganisationen seit Jahren geforderte Verbot jeglicher Form von Folter und Missbrauch. Die von seinem Amtsvorgänger als „härtere Verhörmethoden“ schöngeredeten Folterpraktiken verbot der neue US-Präsident ausdrücklich. Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum und ihre Kampagne „Gerechtigkeit heilt“ begrüßen diese Schritte Obamas.
Heute werden im Folterlager Guantánamo noch immer etwa 250 Personen festgehalten. Unter rechtsstaatlichen Aspekten sind sie UNSCHULDIG, denn sie wurden zu keiner Zeit in einem rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren verurteilt. Um ihre Freilassung zu beschleunigen, ist es zwingend erforderlich, dass sich verschiedene Länder bereit erklären, die Gefangenen aufzunehmen. Denn für viele der Betroffenen ist es aus psychologischen Gründen unzumutbar in den USA zu bleiben. Auch in ihre Herkunftsländer können sie oftmals nicht zurück, weil ihnen dort erneute Inhaftierung, Folter und Lebensgefahr drohen.
Die Bundesrepublik Deutschland steht in einer besonderen Verantwortung, sich zügig und unbürokratisch an der Aufnahme dieser schutzbedürftigen Menschen zu beteiligen. Ein moralisches Versagen, wie im Fall Murat Kurnaz, dessen Rückkehr aus Guantánamo die rotgrüne Bundesregierung seinerzeit systematisch blockierte, darf sich nicht wiederholen.
Bundesaußenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier hielt zu jener Zeit als Kanzleramtsminister der rotgrünen Koalition die politischen Fäden, die zur Verlängerung von Kurnaz’ Haft führten, in der Hand. Neben Ex-Außenminister Fischer und Ex-Innenminister Schily trifft ihn eine besondere politische Verantwortung für das menschenrechtspolitische Versagen der damaligen Bundesregierung. Auch der ebenfalls in ein Folterlager entführte deutsche Staatsbürger El Masri erhielt seinerzeit nicht die notwendige Unterstützung durch die deutsche Diplomatie. Hieraus und aus der Tolerierung der CIA-Folterflüge auf deutschen Flughäfen resultiert demnach eine besondere politische und moralische Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Folterpraxis der USA.
Heute scheint sich Steinmeier der politischen Kurskorrektur Obamas anzuschließen. Auch ohne konkrete Anfrage durch die US-Regierung gab der Außenminister bekannt, dass Deutschland grundsätzlich bereit sei, ehemalige Häftlinge aus Guantánamo aufzunehmen. Nun sind Sie es, der die humanitären und menschenrechtlichen Pflichten der Bundesregierung zu ignorieren droht.
Die Medizinische Flüchtlingshilfe fordert die Bundesregierung und speziell Sie als Bundesinnenminister auf, alles daran zu setzen, die unschuldig in Guantánamo Inhaftierten unverzüglich nach Deutschland zu holen, ihnen einen langfristig sicheren Aufenthalt zu garantieren und ihnen hier die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Nur so kann den Betroffenen eine Aufarbeitung der körperlichen und seelischen Schäden, verursacht durch ihre Gefangenschaft in dem illegalen Haftlager, und ein menschenwürdiges neues Leben ermöglicht werden.