Themenvorschläge zum Gespräch mit Torsten Withake am 9. Juni 2008
Montag 09.06.08, 18:00 Uhr

Fragen an die ARGE


I. fürsorgerechtliche Verpflichtung der ARGE – „Leistungssicherungsprinzip“

Als Folge der „Zusammenlegung“ der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe stellt sich das SGB II heute dar als die „Sozialhilfe für Erwerbsfähige“ und damit vorrangig als Teil des Fürsorgerechtes (die auch schon im BSHG und dem entsprechenden Teil des AFG enthaltenen arbeitsmarktrelevanten Anteile seine hier außer acht gelassen). Fürsorgerechtliche Verpflichtung ist zunächst immer den Lebensunterhalt zu sichern, und zwar unverzüglich. Entsprechend dem Urteil des BVerfG vom 12. 05.2005 auch dann, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Anspruchs bestehen. Denn: „Ein Mensch kann verhungern, eine Behörde nicht“ (Dr. Brand, Präs. LSG NRW)..

Aufgabe sei die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese „Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt. Dabei sei nur auf die gegenwärtige Lage abzustellen.“ (BVerfG).

Dieser Aufgabe kommt die ARGE Bochum in etlichen uns bekannten Einzelfällen nicht nach. Wir wollen hier einige „Standardfälle“ auflisten, aber zunächst die im Sozialrechtswesen vorherrschende Meinung darstellen, wie sie in einem Praktiker-Workshop zu Problemen des SGB II des Deutscher Sozialgerichtstag am 16. 1. 2008 einhellig vertreten wurde:

„Wendet sich ein Hilfebedürftiger an die SGB II-Behörde, so gilt nach § 21 SGB XII und § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II (ist und nicht: WAR) der/die Hilfebedürftige ( bis zum 65. Lj.) so lange als erwerbsfähig, wie nicht das Gegenteil festgestellt ist. Erst ab der (unwidersprochenen) Feststellung der Nicht-Erwerbsfähigkeit tritt der SGB XII – Leistungsträger ein. Die bis dahin geltende fingierte Erwerbsfähigkeit wird auch nicht rückwirkend aufgehoben, der Anspruch bestand tatsächlich. Leistungen nach dem 3. Kap. SGB XII sind dann bekanntlich dem Grunde nach ausgeschlossen. …

Auch § 28 SGB II erfordert für nicht erwerbsfähige Angehörige die rechtswirksame Einstufung der übrigen Angehörigen. Nur wenn nach § 41 SGB XII alle Menschen in einer BG nicht erwerbsfähig sind, kommen allein Leistungen nach dem SGB XII in Frage.

Solange kein Antrag nach § 41 SGB XII gestellt ist, muss ohne Antragserfordernis Leistung nach dem 3. Kap. SGB XII oder (mit Antragserfordernis) nach § 28 SGB II erbracht werden.

§ 45 SGB XII bezieht sich allein auf die Feststellung des RV-Trägers auf dauerhafte Erwerbsunfähigkeit.

Wendet sich einE HilfebedürftigeR an die SGB XII-Behörde, so muss sie natürlich umgehend Hilfe leisten, kann den/die HilfesuchendeN aber ganz schnell an die SGB II-Behörde loswerden (s. oben) oder selbst den Antrag auf SGB II – Leistungen stellen. Alle, die aus der SGB II-Berechtigung herausfallen fallen prinzipiell in die Zuständigkeit des SGB XII. …

Es gibt zwischen dem SGB II und dem SGB XII kein Vorrang – /Nachrangverhältnis, beide existieren gleichwertig nebeneinander. Die Antragserfordernis nach § 37 SGB II ist zwar Verfahrensvoraussetzung im SGB II, aber nicht – auf beide Rechtsgebiete insgesamt bezogen – Leistungsvoraussetzung.

Ggf. wäre entsprechend dem Meistbegünstigungsprinzip davon auszugehen, dass ein notwendiger Antrag automatisch bei allen in Frage kommenden Stellen gestellt worden ist (§ 16 Abs. 2 SGB I (unzuständiger Leistungsträger) u. § 28 SGB X (nachträglicher Antrag bei Aufhebung einer nachrangigen Leistung); § 44 SGB X wurde bekanntlich vom BSG für voll anwendungsfähig auch im SGB XII erklärt! Ggf. wäre auch dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu entsprechen.

Es gilt SGB XII § 18 (Kenntnisgrundsatz im 3. und 5.-8. Kapitel SGB XII). Dabei wurde auch das Stichwort „Leistungssicherungsprinzip“ genannt.

1. ggf. Vorschuss – Schnittstelle ARGE /Sozialamt

Wir erleben immer wieder, dass Antragstellende regelrecht „abgewimmelt“ werden oder die Antragsbearbeitung wird verschleppt, weil angeblich immer wieder Unterlagen fehlen. Auch werden Hilfesuchende „von Pontius zu Pilatus“ geschickt. Dieser Zustand ist fürsorgerechtlich nicht haltbar. Hier wäre ggf. der Lebensunterhalt für die ersten Tage umgehend gemäß § 42 SGB I durch einen Vorschuss sicherzustellen. Danach, so unser Vorschlag, ist durch eine Schnittstelle ARGE /Sozialamt das weitere Vorgehen unverzüglich einzuleiten. Andernorts kommt es bereits zu Vorwürfen unterlassener Hilfeleistung mit billigender In-Kauf-Nahme der Körperverletzung.

2. Ist der ARGE die „Nothelfer-Regelung“ des § 25 SGB XII bekannt? Wäre die ARGE in Zukunft bereit, der Rechtslage entsprechend die Hilfen, die wir bereits in Einzelfällen als Zuschuss erbracht haben, zu erstatten?

2. Leistungsverweigerung durch Sanktionen

a. Menschen mit besonderem Hilfebedarf

Sanktionen sind keine Strafe oder „Bußgeld“, sondern haben einen (sozial-) pädagogischen, auf einen individuellen erzieherischen Effekt abzielende Zweck (Eicher/Spellbrink, § 31, RdNr 1, 60). Sie sind allein eine Maßnahme, um ein für die Betroffenen günstiges Verhalten herbeizuführen (vgl. dazu die ausführlichen Stellungnahmen von Prof. Berlit, Richter am Bundesverwaltungsgericht, und Lauterbach, vors. Richter am LSG Halle). Kann das Ziel damit nicht erreicht werden, ist von der Sanktion abzusehen. Das erfordert eine eingehende Ermittlung des Sachverhaltes und der Situation der Betroffenen einschliesslich einer Anhörung. Wir vermissen hier ein qualifiziertes und sachgerechtes Vorgehen vor allem bei über 25jährigen Betroffenen, während bei der Gruppe der U 25 eine geeignete Zusammenarbeit mit dem Jugendamt besteht. Aber auch über 25jährige können in besonderem Maße hilfebedürftig sein. Hier bedarf es sozialarbeiterischer Qualifikation.

b. Absenkungen

Für den Fall von Absenkungen um mehr als 30 % können ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden. Die BA-Hinweise vermerken dazu: „ … Innerhalb dieses Rahmens sind Lebensmittelgutscheine auf den für Ernährung und Gesundheitspflege vorgesehenen Anteil der Regelleistung zu beschränken …“.

Verfassungsrechtlich ist aber eine Absenkung unter das physische Existenzminimum nicht zulässig. Das physische Existenzminimum umfasst mehr als nur Ernährung und Gesundheitspflege, dazu gehören auch z. B. Kleidung, Haushaltsenergie usw. und auch ein gewisser Barbetrag (z.B. für Fahrtkosten, Praxisgebühr usw.). In der Literatur ist vorherrschend, dass das physische Existenzminimum bei etwa 70 % der RL (incl. Sachleistungen oder geldwerte Leistungen) liegt. Wohnungskosten dürfen selbstverständlich niemals verweigert werden, können (wie Energiekosten) aber durchaus direkt an Vermieter oder Energielieferant gezahlt werden.

In BGs ist darauf zu achten, dass es durch Sanktionen gegen einzelne Mitglieder der BG nicht zu einer unzulässigen „Sippenhaft“ kommt. „Absenkungen finanzieller Leistungen“ sind „insoweit unzulässig sind, als sie sich negativ auf Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft auswirken, die keinen die Absenkung auch gegenüber ihnen legitimierenden Pflichtverstoß begangen haben.“ (a.a.O).

Außerordentlich fraglich ist auch, ob Menschen, die nur durch § 9 Abs. 2 S. 3 hilfebedürftig werden überhaupt sanktionsfähig sind.

3. Leistungsverweigerung wg. „fehlender Mitwirkung“ (§ 66 SGB I)

Regelmässig finden wir auf Anforderungen von auch relativ unbedeutenden Belegen/Bescheinigungen den Hinweis, bei Nicht-Folgeleistung würde die gesamte Leistung eingestellt. Das ist nicht zulässig (vgl. oben: Urteil des BVerfG). Es kann höchstens die Leistung in Bezug auf den fehlenden Nachweis versagt werden (z.B.: Nebenkostenabrechnung), solange damit nicht das physische Existenzminimum berührt wird.

Es kommt dabei auch zu Vorkommnissen, die bei unseren AnwältInnen den Anfangsverdacht der falschen Verdächtigung und der Nötigung mit bedingtem Vorsatz erwecken.

II. Zielvereinbarung -­ behördeninterne Kommunikation – Schulung

Wie bekannt, verlangt die Unabhängige Sozialberatung die Veröffentlichung der Zielvereinbarung 2008 und Zurückliegender auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes. Wir bitten auch um Überlassung interner Dienstanweisungen. Wir bezweifeln, daß die behördeninterne Kommunikation und Ausbildung/ Fortbildung den Erfordernissen entspricht. Auch wird der Pflicht zur aktiven Beratung nicht Genüge getan. (Beispiel: selbständige DozentInnen und „Übungsleiterpauschale“). Hilfreich wären situationsbezogene Merkblätter (wir stellen gerne unsere Vorlagen zur Verfügung); es sollte auch hingewiesen werden auf das Recht zur Akteneinsicht nach § 25 SGB X (auch zur Einsicht in die elektronische Akte), um Unstimmigkeiten korrigieren zu können. Die Rechtsbehelfsbelehrungen sind z.T. unzureichend (§ 85 Abs. 3 SGG).

III. Mietbescheinigungen – Auskünfte von WG-Mitgliedern

Widerrechtlich werden Bescheinigungen der Vermieter auf ARGE-Formularen verlangt. Das ist höchstens zulässig, wenn Mietverträge nicht mehr leserlich sind. Im Normalfall reicht der Mietvertrag und ein entsprechender Kontoauszug. Die Betroffenen haben das Recht , dass Vermieter nicht von ihrer Hartz IV-Abhängigkeit erfahren. Gleiches gilt in einer WG: erstens besteht auch hier das informelle Selbstbestimmungsrecht auch gegenüber den WG-MitbewohnerInnen; zweitens sagt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvR 1962/04 vom 2.9.2004):

„Im Antrag auf Arbeitslosengeld II muss der Antragsteller keine Angaben über die persönlichen Verhältnisse eines bloßen Mitbewohners machen. Es reicht in solchen Fällen – einer reinen Wohngemeinschaft – aus, wenn der Antragsteller im Formular den von ihm getragenen Mietanteil benennt oder die Untermietzahlung als Einkommen angibt.“

Und nebenbei: die ARGE Bochum gebraucht als Mietbescheinigung ein Formular aus dem Rechtsbereich Wohngeldgesetz. Das ist nicht zulässig, insbesondere bei der dort aufgeführten Androhung einer Strafverfolgung handelt es sich um unzulässige Nötigung. (http://www.arge-bochum.de/index.php?id=195 )

IV. Heizung – Warmwasser – Wohnungskosten

1. In Bescheiden kommen es zu Kürzungen der KdU ohne Begründung und ohne Aufgliederung der KdU. Das ist nicht zulässig. Auch Direktzahlungen an Vermieter oder Energielieferanten werden nicht ausreichend deklariert. Insgesamt sind die Bescheide immer noch, wie wir schon Anfang 2005 in einem Schreiben an Herrn Wolterhoff feststellten, „unter aller Sau“. Das dürfen Sie nicht auf A2LL schieben, sie alleine sind in der Pflicht, und müssen das möglicherweise durch ein zusätzliches Schreiben oder im freien Textfeld der Bescheide darstellen. Wir befürchten, dass die Undurchschaubarkeit der Bescheide in Ihrem Hause nicht ungern gesehen wird und raten regelmäßig zu Widerspruch und Klage.

2. Heizkosten (-nachzahlungen) werden immer noch nicht regelmäßig in voller Höhe übernommen (liegt das nur an Punkt II – mangelnde Schulung ?).

3. Ist der ARGE das sog. „Warmwasser-Urteil“ des BSG bekannt (27.2.2008, B 14/11b AS 15/07 R)? Demnach darf bei einer Gewinnung des Warmwassers aus der gleichen „Quelle“ wie die Heizungswärme kein Pauschalabzug von 18 % von den Heizungskosten vorgenommen werden, sondern es dürfen maximal 6,22 Euro berücksichtigt werden. Wie gedenkt die ARGE damit umzugehen?

V. Sonstige Beschwernisse:1. Das leidige Thema „Empfangsbestätigung“: Wir fragen uns, in welchem Land (und in welcher Epoche) wir uns befinden, dass die ARGE sich traut, Empfangsbestätigungen zu verweigern: „Diese Art von Bescheinigungen ist in den gesetzlichen Vorschriften nicht vorgesehen und bedeutet für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der täglichen Arbeit unnötigen Mehraufwand.“ (Homepage ARGE Bochum – unsere Antwort darauf: „Weitere Schäbigkeit der ARGE Bochum“ (https://www.bo-alternativ.de/sozialberatung ). Dort finden Sie auch einen Auszug aus dem „Europäischer Kodex für gutes Verwaltungshandeln“, dem sich zumindest die BA verpflichtet hat, und der natürlich Empfangsbestätigungen vorsieht. Immer noch verschwinden Papiere in den unergründlichen Tiefen der ARGE … Herrn Kuckuks Bemerkung dazu spricht Bände …; wir können das natürlich nicht beweisen und wollen sie deshalb hier nicht zitieren. Sie darf aber auf Anfrage gerne mündlich wiedergegeben werden.

Freundliche ARGEn verfügen über einer Poststelle, die eine Kopie des eingereichten Schreibens mit einem Eingangsstempel versieht.

2. Thema „Klassenfahrt“: in Bochum unzulässigerweise gedeckelt bei 260 Euro. Es ist Aufgabe der Verwaltung, von sich aus auf eine Korrektur der Richtlinie hinzuwirken. Das Gleiche gilt für die Erstausstattung bei Schwangerschaft, die mit 130 Euro nicht der Rechtslage (150,– Euro) entspricht

3. Vorladung von SchülerInnen trotz vorliegender Schulbescheinigung

4. Ist der ARGE die HEGA 05/08 – 20 (Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung der BA) vom 20.5. 2008 (Geschäftszeichen: SP II 21 – II-1404, GA Nr. 16/2008) bekannt, wonach ein Widerspruch zu einer Rückforderung aufschiebende Wirkung habe? Werden die Betroffenen darüber aufgeklärt?

5. Ist der ARGE die HEGA 05/08 – 23 vom 02.5. 2008 (Geschäftszeichen: SP II 21 – II-1303.4) bekannt, wonach von den Empfehlungen des DV zur Höhe des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nur in begründeten Einzelfällen abgewichen werden darf? Werden die Betroffenen darüber aufgeklärt?

6. Ist der ARGE bekannt, dass manche der Hartz IV-Abhängigen der deutschen Sprache nicht mächtig sind und andere gar nicht lesen können? Trotzdem sollen sie dies und das (EGV) unterschreiben? Wann richtet die ARGE ein mit DolmetscherInnen ausgestattetes spezielles Team ein?

7. Bei Arbeitsaufnahme entfällt der Leistungsanspruch. Es kann aber gemäß § 23 Abs. 4 SGB II zur Überbrückung ein Darlehen gewährt werden. Zur Eingliederung können gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 Im SGB III vorgesehene Leistungen erbracht werden, u. a. auch eine Mobilitätsbeihilfe. Ist das der ARGE bekannt, werden die Betroffenen entsprechend informiert (Merkblatt)?

8. Nach § 2 Abs. 3 S. 1 Alg II-V kann bei laufenden Einnahmen in unterschiedlicher Höhe ein Durchschnittseinkommen zu Grund gelegt werden. Das wird regelmäßig zu hoch angesetzt. Daraus resultierende Nachzahlungen erfolgen so spät, dass die Betroffenen in ein nicht zulässiges Defizit geraten. Auch im folgenden Bewilligungszeitraum wird regelmäßig wieder ein zu hohes Durchschnittseinkommen angerechnet.

9. Kommt es zu einer Überzahlung, die nicht entsprechend § 43 S. 1 SGB II durch die Betroffenen veranlasst ist, fordern Sie trotzdem die Zustimmung zu einer nicht zulässigen Aufrechnung. Zudem unterstellen Sie den zu Recht empörten Betroffenen unrechtes handeln.