Montag 12.11.07, 16:00 Uhr

Ästhetisierung des Krieges mißlungen


Die Kriegslesung von Norbert Lammert und Jürgen Flimm ging im Bochumer Schauspielhaus nicht so glatt – wie noch wenige Wochen zuvor bei der Ruhrtriennale in Duisburg – über die Bühne. Das Bochumer Friedensplenum störte die geplante Ästhetisierung des Krieges. Eine Hundertschaft der Polizei in der Saladin-Schmitt-Straße, die sich später dezent in den Innenhof des Schauspielhauses verkroch, kahlköpfige Sicherheitskräfte an allen Türen des Zuschauerraums, die manchen Gästen des Theaters nur mit einer Personenkontrolle den Zugang gewährten, boten das pittoreske Ambiente einer „Friedenslesung“.
Ein schweiß-nasser und nervöser Bundestagspräsident und ein wendehalsiger Flimm demonstrierten erfreulich klar, dass es zumindest noch nicht “normal” ist, wenn ein Kriegs- und Rüstungsbefürworter die Bühne der Kammerspiele erklimmt, um sich literarisch zum Thema Krieg und Frieden zu produzieren.
Die Mitglieder des Friedensplenums hatten zunächst im Foyer des Theaters ihr Programmbuch an alle BesucherInnen verteilt. Das Textbuch dokumentiert den Briefwechsel zwischen dem Bochumer Theaterchef Elmar Goerden und dem früheren Intendanten Frank-Patrick Steckel, der in einem Offenen Brief gefragt hatte, was es anders sein könne als Heuchelei, wenn Angehörige der kriegstreibenden Bundestagsparteien Texte gegen den Krieg lesen.
Das Textbuch erinnert daran, welche entscheidende Rolle Lammert für Rüstungsvorhaben wie den Eurofighter und als Ja-Sager zu den Kriegen im Irak, Jugoslawien und in Afghanistan spielte.
Im Saal der Kammerspiele entfaltete das Friedensplenum vor der Bühne ein 10 Meter breites Transparent mit dem Gedicht von Bert Brecht: „Wenn die Oberen vom Frieden reden / Weiß das gemein Volk / Daß es Krieg gibt.”
Zu Beginn der Veranstaltung erläuterte Annemarie Grajetzky für das Friedensplenum die Rolle Lammerts als Paten der Hochrüstung und die Rolle eines Theaters, das einem solchen Politiker die Bühne für Friedensgedichte bietet und ihn begehren lässt, nicht schuld an den von ihm befürworteten Kriegen zu sein.
Den noch in Duisburg gemeinsam gesprochene Satz »Wir Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint.« fehlte in Bochum. Einzig bemerkenswert waren die vielen AufpasserInnen im Saal, die sofort reagierten, wenn auch nur gehüstelt oder getuschelt wurde. Ein langjähriger Theaterbesucher meinte: „So was habe ich noch nie erlebt.“
Die abschließende Diskussion machte deutlich, dass Lammert ein Podium zur Selbstdarstellung gesucht hatte, Flimm sich am liebsten selbst als guten Onkel inszenierte, der versuchte seine Kritiker zu umarmen. Lammert, der nicht als Heuchler gelten möchte, konstatierte, mit einem Kant-Zitat bedrängt, dass die UNO als völkerrechtliches Instrument nicht handlungsfähig sei. Folglich ist für Lammert der kriegerischer Einsatz militärischer Bündnisse ohne UNO-Mandat legitim. Zu seiner Rechtfertigung völkerrechtswidriger Kriegseinsätze der NATO und europäischer Einsatztruppen sagte er, dass die Länder ja nicht wie früher einfach überfallen werden. „Ein Blick in unser Programmbuch,“ so eine Sprecherin des Friedensplenum, „hätte Lammert gezeigt, dass vergangene Kriege, wie z.B. der 1. Weltkrieg, immer ethisch, moralisch und kulturell gerechtfertigt wurden. Das gehört zur Anatomie des Krieges.“ Weitere Fotos von der Aktion.

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