Vortrag von Wolfgang Dominik am 8.4.2007 auf dem Ostermarsch in Bochum
Sonntag 08.04.07, 21:30 Uhr

„Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen“


Liebe FriedensfreundInnen,weil Reiner Braun, Geschäftsführer der IALANA und Vorstandsmitglied der Naturwissenschaftlerinitiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit kurzfristig seine Teilnahme absagen musste, hat das Friedensplenum mich beauftragt, Reiner Brauns Redebeitrag heute vorzulesen.

Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne meine individuelle Note in Referate, Vorträge, Thesenpapiere bringen und deswegen bin ich mit Martin Budich übereingekommen, Reiner Brauns Beitrag etwas aus meiner Perspektive zu modifizieren: Ich weise ausdrücklich daraufhin, dass am Sinn des Beitrags von Reiner Braun nichts verändert wird.

Vor ein paar Wochen hat selbst mich eine Nachricht schwer erschreckt: Der Generalsekretär der internationalen Atomenergiebehörde El Baradei hat davon gesprochen, dass die Atomkriegsgefahr heute so groß wie noch nie seit 1945 ist. In den meisten Medien ist die Meldung erst gar nicht aufgetaucht. Nach 1990 ist die Atomkriegsgefahr-Uhr, die von Wissenschaftlern geführt wird, um die Gefahr eines Atomkriegs sozusagen sinnlich erfahrbar zu machen, auf 15 Minuten vor 12 zurückgestellt worden, jetzt ist es wieder 5 vor 12. Also 11 Stunden und 55 Minuten sind abgelaufen.

Ca. 35 000 einsatzbereite Sprengköpfe werden von 8 Ländern bereit gehalten, 4000 davon in höchster Alarmbereitschaft.

In den letzten 10 Jahren gab es fast nur Rückschläge für eine potenzielle atomare Abrüstung. Ich halte mich weitgehend an die Liste von Reiner Braun:
1. Der umfassende Atomwaffenteststoppvertrag ist nicht in Kraft getreten. Die USA haben angekündigt, ihre Atombombenversuche in der Wüste von Nevada bald wieder aufzunehmen.
2. Die USA haben 50 Milliarden Dollar für die Weiterentwicklung ihrer Atomwaffen bereit gestellt. Besonders verniedlichend wird mal wieder von Atomwaffen sozusagen im Westentaschenformat, Mini-Nukes, geredet, die dem Vernehmen nach nur eine Sprengkraft wie die Hiroshima-Bombe haben sollen. In „asymmetrischen Kriegen“, von denen auch das neue Weißbuch der Bundesregierung spricht, sollen diese Bomben einsetzbar sein. Die Älteren hier erinnern sich noch an die Diskussionen um die Neutronen-Bombe, die nur(!) alles Leben durch Strahlung zerstört, deren Sprengkraft aber so gering ist, dass z.B. Ölraffinerien kaum beschädigt werden.
3. In Großbritannien sollen 20 Milliarden Dollar für die Modernisierung, so nennt man das, wenn die Over-Kill-Quote extrem gesteigert wird, die Mordmaschinerie also perfekter und effektiver gemacht wird. bereitgestellt werden. Um sich die Dimensionen dieser Summen klarzumachen: Der gesamte Kriegshaushalt der Bundesrepublik beläuft sich auf ca. 30 Milliarden Euro.
4. Die USA haben einseitig den ABM-Vertrag, Anti-Ballistic-Missiles waren verboten, gekündigt, d.h. man kann das alte Reagen`sche Programm von Star Wars, Krieg im Weltall, wiederaufnehmen.
5. Die US Nuclear Posture Review von 2003 schlägt den Einsatz von Atombomben als Reaktion eines Angriffs mit biologischen und /oder chemischen Waffen vor. Wir erinnern uns an die Milzbrandaffaire nach dem 11.9.2001, als z.T. von US-Politikern und –Militärs das als ein Angriff Saddam Husseins dargestellt wurde. Hätten sich diese Leute durchgesetzt, hätten die USA einen Atomkrieg gegen den Irak rechtfertigen können.
6. Auf Grund der US-Initiativen wird eine Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt: Russland z.B. wird START II, die Beschränkung von Interkontinentalraketen, nicht ratifizieren. Auch da kann die Aufrüstung weitergehen.
7. In einem großen Deal unterstützen die USA Indien bei der Weiterentwicklung seiner atomaren Kapazitäten, obwohl Indien sich weigert, internationalen Verträgen beizutreten. Das zeigt schön, dass es auf die geostrategischen, geoökonomischen und geopolitischen Interessen der USA ankommt, wer Atomkraftwerke und z.B. Uran-Anreicherungsanlagen haben darf und wer nicht. Oder welche Atombomben sozuagen gerecht und welche ungerecht sind.
8. Die neuen Raketenstationierungsprogramme der USA in Polen und Tschechien drehen die Eskalationsschraube wieder ein paar Runden höher. Selbst treue US-Partner wie die Bundesregierung äußern schwere Bedenken, die aber von den USA mit dem Hinweis: „Wir verteidigen Europa, ob es will oder nicht!“ vom Tisch gefegt werden.
9. Der US-amerikanische militärkritische Journalist Jorge Hirsch formuliert zugespitzt einen drohenden Atomkrieg gegen den Iran: „Nuklear Strike in Iran is still on the Agenda“.
10. Es gibt aber auch etwas Positives: Länder, die von den USA zum US-nationalen Interessengebiet erklärt worden sind, weigern sich zunehmend, trotz ökonomischer Erpressungsversuche der NATO, alles mitzumachen. Usbekistan kündigte einen Stationierungsvertrag mit den USA und andere US-Interessengebiete einschließlich Usbekistan erklärten sich am 8. September 2006 zur „Atomwaffenfreien Zone“: Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und –wie gesagt- Usbekistan. Das ist schon erstaunlich, weil immerhin diese Gebiete wegen ihres Ölreichtums und wegen ihrer Erdgasvorkommen , aber auch wegen ihrer günstigen strategischen Lage zu Russland und China als wichtig für die nationale Sicherheit der USA erklärt worden sind.
11. Positiv auch: Im letzten Jahr bekräftigte die UN-Vollversammlung die Notwendigkeit der atomaren Abrüstung. Die 118 Nicht-Paktgebundenen Staaten forderten im September 2006 in Havanna die Abschaffung aller Atomwaffen. Eine Resolution einer Konferenz, die in unseren Medien gar nicht erwähnt wurde, obwohl es die große Mehrheit der Staaten der Erde war.

Für die GeschichtslehrerInnen unter den hier Anwesenden, aber nicht nur für die: Heute in 4 Tagen jährt sich der 50 Jahrestag des Göttinger Appells. Am 13. April 1957 haben 18 bekannte Atomwissenschaftler die Bundesregierung aufgefordert, im Interesse des Weltfriedens auf den Besitz von Atomwaffen zu verzichten. Damals fand dieser Appell national und international ein großes positives Echo, innenpolitisch wurden die Göttinger 18 schwersten Diffamierungen ausgesetzt. Inzwischen ist der Appell auch aus den führenden Geschichtsbüchern, die die zukünftige main-stream-Ausrichtung der Köpfe durch das Zentralabitur z.B. repräsentieren, verschwunden. Tatsächlich ist der Appell so aktuell wie eh zuvor.

In der Bundesrepublik lagern 150 US-amerikanische Atomsprengköpfe, 130 stehen einsatzbereit in Ramstein zur Verfügung, 20 sind im Rahmen der so genannten nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik an einem möglichen Einsatz dieser Waffen in Büchel stationiert. Ein Teil davon wird sicher von deutschen Tornados „im Ernstfall“ transportiert werden. Bernd Hahnfeld, ein Gründungs- und Vorstandsmitglied der seit 1988 bestehenden deutschen Sektion der IALANA weist auf einen ständigen Völkerrechtsbruch der Bundesregierung hin (vgl. ausführlich Bernd Hahnfeld, Atomwaffenfreies Deutschland, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2007, S. 471-477).
Auf Grund internationaler Gutachten zum Beispiel des IGH (Internationaler Gerichtshofs) von 1996 und vielen anderen internationalen Abkommen dürften in der Bundesrepublik Atomwaffen wie auch biologische und chemische Waffen weder produziert noch gelagert noch transportiert noch über ihren Einsatz mitbestimmt werden.
Hahnfeld weist darauf hin, dass unbedingt ein Artikel 26 a (Verzichts auf Massenvernichtungsmittel) in das Grundgesetz aufgenommen werden müsste (Österreich hat das z.B. 1999 getan!).
Aber Hahnfeld zeigt auch, dass historisch seit über 50 Jahren die verschiedenen Bundesregierungen mit ihren Kriegsministern entweder nach Atomwaffen gieren oder aber sich Hintertürchen, um an den Besitz von Atombomben zu kommen, offen halten.
Der 2 plus 4-Vertrag vom 12. September 1990 enthält den Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über A-, B-, C-Waffen!
Und jetzt kommt das große ABER:
In den Vertrag sollte –so die 4 „Großmächte“ – das Wort „immerwährend“ aufgenommen werden. Die Bundesregierung konnte das „immerwährend“ in den Verhandlungen streichen und damit wurde nur unter Vorbehalt auf A-,B-,C-Waffen verzichtet und wenn die Umstände es erfordern, kann man diese anschaffen oder darüber verfügen. Das Weißbuch von 2006 spricht ganz selbstverständlich von „nuklearer Teilhabe“ im Rahmen der NATO.
Die IALANA plant ein „World Court Project II“. Darin soll die UNO noch einmal aufgefordert werden, Kriterien zu erarbeiten, die eventuell mit mehr Nachdruck Verpflichtungen zur Abschaffung von Atomwaffen herstellen können.

Zunächst aber gilt es, erst einmal die Bundesrepublik atomwaffenfrei zu machen. Das ist eigentlich juristisch kein Problem, weil man nur entsprechende Rechte, die längst existieren, in die Praxis umsetzen müsste. Selbst ein Hardliner wie der Ex-Kriegsminister der USA, Donald Rumsfeld, hat 2005 in einem Spiegel-Interview eingestanden, dass es allein die Entscheidung der deutschen Regierung ist, wenn Atombomben in Deutschland stationiert sind. Die USA müssten die Atomwaffen abziehen, wenn die Bundesregierung die USA auffordern würde, ihre Atomwaffen aus der BRD unverzüglich abzuziehen.
Ähnliche Anträge mit unterschiedlicher Begründung wurden von den 3 Oppositionsparteien im Bundestag im April 2005 eingebracht. Darüber ist im Bundestag gerade einmal eine halbe Stunde debattiert worden. CDU/CSU und SPD haben sich gegen diese Anträge gewendet. Wie oft üblich, wurde alles Weitere dann an Ausschüsse gegeben, mit deren Ablehnung der Forderung, US-Atombomben abzuziehen, gerechnet werden muss.

Trotz alledem: Reiner Braun schreibt:
Frieden mit Atomwaffen wird und kann es nicht geben, deshalb ist die Friedensbewegung nicht nur, aber auch zu Ostern immer eine Bewegung gegen Atomwaffen!
Nur wer den Mut hat zum Träumen hat auch die Kraft zum Kämpfen!
Reiner Brauns Traum, dem vielleicht die eine oder der andere hier anschließen kann:
Ostern 2010, 1. Meldung in der Tagesschau: “Dies Jahr sind die Ostermärsche der Friedensbewegung erstmals nicht nur eine Protestaktion gegen Kriege und Atomwaffen, sondern eine riesige, dezentrale hunderttausendfach besuchte Friedensfeiern: es gibt keine Atomwaffen mehr auf deutschem Boden und die UNO hat letzte Nacht die Nuklearwaffenkonvention für die Abschaffung aller Atomwaffen bis 2020 beschlossen.

Dieses Ziel ist der Grund erneut zu sagen:

Unser Marsch ist eine gute Sache: Visionen werden Realität durch uns!