Donnerstag 31.08.17, 21:32 Uhr

Gedenken an Betti Hartmann


Zum Gedenken an Betti Hartmann, die jüdische Wattenscheider Schülerin, die mit 15 Jahren in Auschwitz ermordet worden ist, hat das Kuratorium „Stelen der Erinnerung“ heute an ihrem 75. Todestag auf dem Betti-Hartmann-Platz vor dem Wattenscheider Rathaus Blumen niedergelegt. Der zweite Vorsitzende des Kuratoriums Christoph Nitsch schilderte in einem Redebeitrag  die Verfolgung und Ermordung von Mitgliedern der Familie Hartmann vor dem Hintergrund der faschistischen Deportationen der jüdischen Bevölkerung Belgiens:

»Heute vor genau 75 Jahren wurde Betti Hartmann von den Faschisten in Auschwitz ermordet; sie war mit 15 Jahren das jüngste Wattenscheider Opfer der Shoah.

Das, was wir über Betti Hartmann und ihre Familie wissen, verdanken wir den SchülerInnen der Maria- Sybilla- Merian- Schule und der Märkischen Schule, die Betti Hartmanns Todesurkunde in Auschwitz auffanden und nach Wattenscheid brachten und vor Allem der unermüdlichen Recherche unseres Freundes Felix Lipski, dem es in doppelter Hinsicht gelang, Betti Hartmann und ihrer Familie wieder ein Gesicht zu geben.

Diese Rede soll der Versuch sein, die Verfolgung und Ermordung von Mitgliedern der Familie Hartmann auf dem Hintergrund der faschistischen Deportationen der jüdischen Bevölkerung Belgiens darzustellen.

Die auf der später so genannten „Wannseekonferenz“vom 20.Januar 1942 und ihren Folgekonferenzen beschlossene systematische Deportation der europäischen Jüdinnen und Juden begann in Belgien, wie auch in Frankreich und den Niederlanden, am 17. Juli 1942.

Der Chef der Militärverwaltung von Belgien und Nordfrankreich General Alexander von Falkenhausen, Nazigegner und im Dunstkreis des militärischen Widerstands gegen Hitler, weigerte sich zunächst entschieden, diese Deportationen umzusetzen.

Sein Untergebener, der hochrangige Jurist und SS- Gruppenführer Eggert Reeder ersann also einen scheinbaren Kompromiss, um einerseits dem Drängen auf Umsetzung der Deportationsbefehle aus Berlin, andererseits den Skrupeln von Falkenhausens gerecht zu werden.

Es wurden zunächst nur die in Belgien wohnhaften ausländischen Jüdinnen und Juden deportiert.

In Wirklichkeit waren allerdings nur ca. 6 % von annähernd 70.000 bis 90.000 aller in Belgien lebenden Juden belgische Staatsangehörige.

Zwar konnten etwa 10.000 bis 20.000 der ausländischen Jüdinnen und Juden aus Belgien fliehen, dennoch zeichneten von Falkenhausen und Reeder für die Deportation von etwa 30.000 Menschen nach Auschwitz und somit deren Tod verantwortlich.

Auch die Familie Hartmann befand sich zu diesem Zeitpunkt in Belgien.

Betti und ihre jüngeren Brüder Sigmund und Manfred waren nach einer Odyssee durch verschiedene niederländische Schulen und Waisenhäuser zu ihren Eltern Mendel Max und Schajndl Charlotte Hartmann zurückgekehrt.

Ende Juli 1942 erließen die deutschen Besatzer einen „Arbeitseinsatzbefehl“für alle Jüdinnen und Juden ab 15 Jahren. Zu dieser Zeit machten Gerüchte die Runde, dass Angehörige, die sich freiwillig zum Arbeitseinsatz am Sammelpunkt in der Kaserne Dossin meldeten, dadurch ein Bleiberecht für ihre Familien in ihren Wohnungen erwirken könnten.

In der Kaserne Dossin in der flämischen Stadt Mechelen, französisch Malines, hatten die Deutschen zum Zeitpunkt des Beginns der Deportationen das „SS- Sammellager Mechelen“ eingerichtet, von dem aus die jüdische Bevölkerung nach Auschwitz verbracht wurde.

Der erste Deportationszug mit 998 Insassen verließ bereits am 4. August 1942 das Lager. Zwei Drittel aller jüdischen Deportierten wurde in den nächsten drei Monaten nach Polen verschleppt. Vom 4. August 1942 bis zum 31. Juli 1944 fuhren 28 Züge von Mechelen nach Auschwitz , 27 davon ausschließlich mit Jüdinnen und Juden. Die Deportation der ebenfalls in Mechelen internierten Sinti und Roma nach Auschwitz- Birkenau erfolgte am 15. Januar 1944.

Insgesamt wurden von Mechelen aus 24 916 Jüdinnen und Juden und 351 Sinti und Roma deportiert. Von dort wurde auch die jüdische Bevölkerung aus den beiden von Militärbefehlshaber von Falkenhausen in Belgien und Nordfrankreich mitverwalteten nordfranzösischen Departements Nord und Pas-de-Calais in den Osten verschleppt. 24 046 , also 42%, der 56 186 registrierten Jüdinnen und Juden wurden von den Faschisten ermordet. Nur 1 221 der insgesamt 25 267 Deportierten erlebten den 8.Mai 1945.

Andere Quellen sprechen von 28.518 jüdischen Opfern, darunter 5430 Kindern, die von Belgien aus in den Tod geschickt wurden und gehen von 1640 Überlebenden aus.

Was nun das weitere Schicksal der Familie Hartmann angeht, so begab sich Betti Hartmann, in der irrigen Annahme dadurch ihre Familie retten zu können, freiwillig zum Sammelpunkt in der Kaserne Dossin. Sie wurde am 4.August 1942 mit einem der ersten von 28 Transporten von Mechelen nach Auschwitz deportiert.

Betti Hartmann wurde am 31.August.1942 um 14.40 Uhr in der Gaskammer ermordert.

Bettis Vater Mendel Max Hartmann wurde ebenfalls von den Besatzern festgenommen und in das

Konzentrationslager Fort Breendonk, das bereits seit September 1940 von den Deutschen betrieben wurde, gebracht.

Am 5. September 1942 gelangte Mendel Max Hartmann in das SS- Sammellager Mechelen.

Von dort aus wurde er am 12. September 1942 nach Auschwitz deportiert und dort am 30. September 1942 in der Gaskammer ermordet.

Betti Hartmanns jüngere Brüder Sigmund und Manfred entgingen der Verfolgung mithilfe einer illegalen jüdischen Selbstschutzorganisation, die sich direkt nach dem Beginn der Massendeportation nichtbelgischer Jüdinnen und Juden gebildet hatte.

Dieser Organisation gelang es fast 4000 Kinder zu retten,indem sie sie in hunderten von Internaten, Kinderhäusern, Klöstern, Kinderkurorten und Privathaushalten unterbrachte, mit falschen Papieren versorgte und die Helfer der Kinder finanziell unterstützte.

Auf diese Weise überlebten auch Sigmund und Manfred Hartmann den Krieg, sie kamen in einem Kloster unter und wurden römisch- katholisch getauft.

Schajndl Charlotte Hartmann überlebte die Zeit der Verfolgung, indem sie, die nur geringe Franzosischkenntnisse besaß, ihrer Umgebung eine taubstumme Frau vorspielte.

Liebe Anwesende, gerade in einer Zeit wie heute, in der rassistische und faschistische Demagogen überall in Europa und den USA erneut Menschen gegen Menschen hetzen, ist das Gedenken an die unfassbaren Gräuel der Faschistischen Vernichtungspolitik wichtiger denn je.

Wir gedenken Betti Hartmanns, deren junges Leben viel zu früh durch faschistische Verbrecher beendet wurde.

Wir gedenken Ihrer als Person und stellvertretend für alle Jüdinnen und Juden, die dem Rassenwahn der Faschisten zum Opfer fielen.

Lasst uns nun einen stillen Moment lang all jener Opfer gedenken.«