Montag 05.09.16, 17:49 Uhr

Amnesty International: Solidarität mit den Geflüchteten vor dem Bochumer Rathaus


Die Bochumer Gruppen von Amnesty International solidarisieren sich mit dem Protest der Geflüchteten gegen das Integrationsgesetz und schreiben: »Am 7. Juli hat der Bundestag das sogenannte „Integrationsgesetz“ beschlossen. Die Intention des Gesetzes, die Integration von Flüchtlingen zu fördern, ist grundsätzlich begrüßenswert. Auch enthält der Gesetzentwurf vereinzelt Verbesserungen. Wie wenig das Gesetz jedoch insgesamt die Integration fördert, zeigt sich aktuell an den Protesten Geflüchteter vor dem Bochumer Rathaus gegen die im Gesetz enthaltene Wohnsitzauflage. Diese Wohnsitzauflage (§ 12a Aufenthaltsgesetz) besagt, dass Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutz sich nur an dem Wohnort niederlassen dürfen, den Behörden ihnen zugewiesen haben. Das ist eine Einschränkung der Freizügigkeit, also dem Recht, seinen Wohnort frei wählen zu dürfen. Die Freizügigkeit ist in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verankert.
Der Widerspruch zwischen Integrationsgesetz und GFK hat daher schon vor Inkrafttreten des Gesetzes die Gerichte beschäftigt. In einem Urteil hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass es eine Rechtfertigung geben muss, um dieses Recht einzuschränken. Diese Rechtfertigung hat der Gesetzgeber nun vorgeblich in der Stärkung der Integration der Flüchtlinge gefunden, ohne jedoch darzulegen, inwiefern eine Wohnsitzauflage einen positiven Effekt auf die Integration haben soll.
Auf die Spitze getrieben wird die Situation dadurch, dass das Gesetz sogar rückwirkend angewendet werden soll. Dies führt konkret in Bochum dazu, dass zahlreiche Geflüchtete, die hier bereits eine Wohnung gefunden haben, deren Kinder hier zur Schule gehen, und die sich hier ein neues Leben aufgebaut haben, all dies nun wieder aufgeben sollen. Zum Stichtag 1. September erhielten sie eine Aufforderung der Stadt, Bochum zu verlassen. Das Jobcenter stellt zugleich jegliche Zahlung ein. In Bochum sind etwa 1000 Menschen betroffen.
Die offensichtliche Absurdität und integrationsfeindliche Wirkung des Integrationsgesetzes hat in anderen Städten wie Essen und Berlin bereits dafür gesorgt, dass wenigstens Geflüchtete, die bis August in ihrem neuen zuhause angemeldet waren, bleiben können. Dieser Schritt sollte eine Selbstverständlichkeit sein, doch selbst dazu konnte sich Bochum bisher nicht durchringen.
Solange der Gesetzgeber nicht darlegt, wie die Wohnsitzauflage die Integration fördern soll, sollte sich die Stadt Bochum darüber hinaus dafür einsetzen, sie abzuschaffen. Aus Sicht von Amnesty International bestehen begründete Bedenken aus völker- und europarechtlicher Sicht gegen die Wohnsitzauflage. Eine freie Wahl des Wohnsitzes dürfte für die Integration eher förderlich sein. So erfolgen beispielsweise das Finden eines Arbeitsplatzes und die Kenntnis von Integrationsangeboten oft über Verwandte und Netzwerke. Diese Mechanismen könnten durch eine Wohnsitzauflage unterbunden werden.
Auch andere Aspekte des Integrationsgesetzes sind kritisch zu sehen. So erschwert es etwa Flüchtlingen, eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten; es sieht Leistungskürzungen vor, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widersprechen; und es schränkt den Zugang zum Asylverfahren ein und legt die Verfahren potentiell in die Hände von nicht ausreichend geschultem Personal.
Amnesty International fordert, dass diese menschenrechtlichen Bedenken berücksichtigt werden und das Gesetz entsprechend geändert wird. Die Bochumer Amnesty-Gruppen solidarisieren sich mit den Protesten gegen das Integrationsgesetz.«